Hundsköpfige, Hermaphroditen und Städte aus Gold. Körper, Geschlecht und Materialität in vormodernen Reiseberichten und Länderbeschreibungen

Hundsköpfige, Hermaphroditen und Städte aus Gold. Körper, Geschlecht und Materialität in vormodernen Reiseberichten und Länderbeschreibungen

Veranstalter
Nina Gallion (Historisches Seminar, Johannes-Gutenberg-Universität Mainz), Christian Hoffarth (Historisches Seminar, Christian-Albrecht-Universität zu Kiel), Florian Kehm (Historisches Seminar, Johannes-Gutenberg Universität Mainz)
Veranstaltungsort
Landesmuseum Mainz, Große Bleiche 49-51
PLZ
55116
Ort
Mainz
Land
Deutschland
Findet statt
Hybrid
Vom - Bis
30.03.2023 - 01.04.2023
Von
Florian Tobias Kehm, Spätmittelalterliche Geschichte und Vergleichende Landesgeschichte, Johannes-Gutenberg-Universität Mainz

Körper, Geschlecht und Materialität sind allgegenwärtig in den Reiseberichten des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit anzutreffen und gelten in der Forschung weithin als zentrale Bausteine des ‚Anderen‘. Die dreitägige Tagung hat zum Ziel, die Rolle des Physischen in Reiseberichte und Länderbeschreibungen neu einzuordnen.

Hundsköpfige, Hermaphroditen und Städte aus Gold. Körper, Geschlecht und Materialität in vormodernen Reiseberichten und Länderbeschreibungen

Vormoderne Zeugnisse, die Kontakte einander fremder Kulturen schildern, bieten große Interpretationsspielräume und können daher nicht ohne weitere Prüfung beim Wort genommen werden. Diese Einsicht ist in der geschichts-, literatur- und kulturwissenschaftlichen Forschung seit Langem etabliert. Unter dem Einfluss konstruktivistischer und postkolonialistischer Anschauungen hat man mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Reisetexten aber sogar bisweilen eine Aussagekraft hinsichtlich der Räume, Kulturen und Menschen, von denen sie zu künden vorgeben, beinahe völlig abgesprochen. Dementsprechend hat es sich durchgesetzt, vormoderne Reiseberichte und Länderbeschreibungen in erster Linie nicht als Quellen für das in ihnen Beschriebene, sondern vielmehr für die epistemologischen und ideologischen Zustände ihrer Herkunftskulturen zu lesen. Das ‚Andere‘ erscheint durch diese Linse ganz hauptsächlich als Konstruktion zur Abgrenzung und Identifikation des ‚Eigenen‘. Als vorrangige Aufgabe der Forschung gilt demnach die Analyse der Mechanismen, mittels derer das ‚Eigene‘ und das ‚Andere‘ in den Texten konstruiert werden.
So berechtigt dieser Ansatz in einigen Fällen erscheinen mag, hat er doch auch die Konsequenz, dass die Erfahrungen und Beobachtungen, mithin das tatsächliche Erleben gereister Individuen weit in den Hintergrund gerückt sind. Dies betrifft vor allem Felder, an denen sich die kulturwissenschaftliche Dekonstruktion stets mit besonderem Nachdruck abgearbeitet hat. Körper, Geschlecht und Materialität nehmen in Reiseberichten und (proto-)ethnographischen Darstellungen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit naturgemäß eine große Rolle ein und werden in der Forschung weithin als zentrale Bausteine für das Bild des ‚Anderen‘ sowie als Grenzmarker zwischen ‚Anderem‘ und ‚Eigenem‘ verstanden. Dass sie als Motive von Reiseberichten und verwandten Texten diese Funktionen tatsächlich vielfach erfüllen, ist kaum in Zweifel zu ziehen. Dennoch drängt sich die Frage auf, ob durch die Dominanz dieser Perspektive der Blick auf die in den Quellen womöglich doch enthaltenen historisch wertvollen Informationen verstellt wird.
Die Tagung „Hundsköpfige, Hermaphroditen und Städte aus Gold. Körper, Geschlecht und Materialität in vormodernen Reiseberichten und Länderbeschreibungen“ will es sich angesichts dieser Ausgangslage zur Aufgabe machen, das Verhältnis der unterschiedlichen Deutungsmöglichkeiten auszuloten und den Wert ihrer sich ergänzenden, nicht aber sich ausschließenden Erkenntnisebenen herauszustellen. Fernab konstruktivistischer Vorurteile wie auch überholter positivistischer Auffassungen untersucht die Tagung gezielt die Themenfelder Körper, Geschlecht und Materialität und legt ihr Augenmerk insbesondere auf die Frage, welche Aussagen mittelalterliche und frühneuzeitliche Reiseberichte und Länderbeschreibungen zu diesen bereithalten. Vormoderne Quellen zu den Kontakten einander fremder Kulturen sollen also in Hinblick auf Aspekte des Physischen neu vermessen werden.

Die Veranstaltung wird auch als Livestream zur Verfügung gestellt. Den Link erhalten Sie auf Anfrage bei der Anmeldung. Eine Anmeldung ist bis zum 15. März möglich.

Programm

Donnerstag, 30. März 2023

14:00 Uhr Nina Gallion (Mainz): Begrüßung

Sektion 1: Körperlichkeit
Moderation: Nina Gallion

14:30 Uhr Christian Hoffarth (Kiel): Dermale Differenzmarker? Zu Beschreibung und Bedeutung von Haut im mittelalterlichen Reisebericht
15:15 Uhr Kaffeepause
15:45 Uhr Elena Brandenburg (Köln): „ok mundi hann tröll kallaðr vera, ef hann kœmi norðr hingat i heim“ – Konstruktionen der Alterität in den Literaturen des nordischen Mittelalters
16:30 Uhr Simon Mallas (Mainz): Renner, Brenner und Janitscharen. Die Darstellung des osmanischen Militärs in frühneuzeitlichen Reisebeschreibungen
17:15 Uhr Kaffeepause
17:45 Uhr Isabelle Schürch(Bern): Hybride Körper, fließende Grenzen – Tierbeschreibungen im Codex Florentinus
18:30 Uhr Jessica Cronshagen (Oldenburg): Wasserwesen als Reisebegleiter: Die Reisen der Missionar*innen der Herrnhuter Brüdergemeine über die Flüsse Surinames (2. Hälfte 18. Jahrhundert)
19:15 Uhr Abendessen

Freitag, 31. März 2023
Sektion 2: Geschlecht
Moderation: Christian Hoffarth

9:00 Uhr Julian Happes (Freiburg i.Br.): Der intersektionelle Blick des Jerusalempilgers – neue Zugänge und didaktische Perspektive
9:45 Uhr Norbert Finzsch (Köln): Thomas Artus und L’isle des Hermaphrodites, nouvellement decouverte (1605)
10:30 Uhr Kaffeepause
11:00 Uhr Florian Kehm (Mainz): Geschlecht und Sexualität als Wegweiser durch die Fremde. Zur Aufteilung des Raumes in Orientreiseberichten
11:45 Uhr Erik Wolf (Greifswald): Wundervölker im hohen Norden: Körperlichkeit und Geschlecht in der Historia Norwegie
12:30 Uhr Mittagspause
14:00 Uhr Lara Luisa Schott-Storch de Gracia (Mainz): „Die Surprise musste desto wahrer sein, weil man uns diese Prinzessin als hässlich, rothaarig und übel erzogen beschrieben hatte.“ – Weibliche Körper, Kontakterfahrungen und Höfe als fremde (Kultur-)Räume im 18. Jahrhundert
15:15 Uhr Führung durch die Martinus-Bibliothek des Bistums Mainz
18:00 Uhr Abendessen
20:00 Uhr Christof Rolker (Bamberg): Am Rand der Ordnung: Nahe und ferne Wunder um 1500 (Öffentlicher Abendvortrag; Moderation: Nina Gallion)

Samstag, 1. April 2023
Sektion 3: Materialität
Moderation: Florian Kehm

9:00 Uhr Lisa Woop (Erfurt): Was ist Luxus? Venezianisches Glas in den Reiseberichten von Felix Fabri und Pietro Casola
9:45 Uhr Dorothée Goetze (Sundsvall): Riding astride like Men: Geschlecht, Körperlichkeit und Materialität in der europäischen Peripherie im Reisebericht Aubry de la Motrayes
10:30 Uhr Kaffeepause
11:00 Uhr Christoph Mauntel (Tübingen): Du bist, was Du isst? Nahrung und Essenspraktiken als ethnographische Beschreibungskategorien in mittelalterlichen Reiseberichten
11:45 Uhr Simon Franzen (Jena): Nichts als Böhmische Dörfer? Raumwissen und Materialität in der Topographia Bohemiae Moraviae et Silesiae (1650) – eine GIS-gestützte Analyse
12:30 Uhr Mittagsimbiss
13:00 Uhr Bianca Frohne (Kiel): Zusammenfassung
13:45 Uhr Ende der Tagung

Kontakt

Florian Kehm, M. A.
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
FB 07 | Geschichts- und Kulturwissenschaften
Historisches Seminar
Spätmittelalterliche Geschichte und Vergleichende Landesgeschichte
Tel.: +49 (0)6131 39-23065
E-Mail: fkehm@uni-mainz.de

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Sprach(en) der Veranstaltung
Deutsch
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