Migration in der Moderne: Systeme – Wege – Erfahrungen – Konflikte

Migration in der Moderne: Systeme – Wege – Erfahrungen – Konflikte

Veranstalter
Archiv für Sozialgeschichte (Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung)
Ausrichter
Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung
Veranstaltungsort
Bonn
PLZ
53175
Ort
Bonn
Land
Deutschland
Findet statt
In Präsenz
Vom - Bis
23.10.2023 - 24.10.2023
Deadline
05.06.2023
Von
Anja Kruke, Archiv der sozialen Demokratie, Friedrich-Ebert-Stiftung

Migration in der Moderne: Systeme – Wege – Erfahrungen – Konflikte

Der neue Band des AfS lädt ein über ein Forschungsfeld nachzudenken, das sich in den letzten Jahren stark gewandelt hat. Migrationsgeschichte steht an der Schnittstelle unterschiedlicher methodischer Debatten und epochaler Zugangsweisen, sie hat sich von ihrem Ringen um Anerkennung emanzipiert, das anfangs noch stark davon geprägt war, mögliche „Leistungen“ der aufnehmenden Länder oder der Migrierenden betonen zu müssen. Der Band will die aktuellen Forschungstrends reflektieren.

Migration in Modern Times: Systems – Routes – Experiences – Conflicts

The next issue of Archiv of Sozialgeschichte invites contributions in a research field that has fundamentally changed during the last years. Migration history stands at the intersection of different methodological debates and epochal approaches. It has moved away from the struggle for recognition that was initially marked by the need to emphasise the potential ‘achievements’ of migrant receiving countries or migrants. The issue aims to consider current research trends and invites contributors from different (social-)historical disciplines to reflect on the future of the history of migration.

Migration in der Moderne: Systeme – Wege – Erfahrungen – Konflikte

Der neue Band des AfS will die aktuellen Forschungstrends reflektieren und lädt Autor:innen unterschiedlicher (sozial-)historisch arbeitender Disziplinen ein, sowohl empirisch als auch theoretisch über die Zukunft der Migrationsgeschichte nachzudenken. Zeitlich liegt der Schwerpunkt des Bandes auf der Zeit nach der Mitte des 18. Jahrhunderts, ohne weiter zurückreichende Beiträge vorab auszuschließen.

1. Migrationssysteme
Der Begriff des Migrationssystems ist in der Forschung seit langem etabliert und bezeichnet nach unserem Verständnis nicht mehr als über längere Zeiträume stabile Verknüpfungen zwischen (Welt-) Regionen durch Mobilität. Die im 15. Jahrhundert einsetzende Bewegung von Europäer:innen in die beiden Amerikas sowie in Kolonien in anderen Weltregionen bildete bis in die 1950er-Jahre hinein ebenso ein solches Muster wie der „schwarze Atlantik“, also die jahrhundertelange Verschleppung von Afrikaner:innen nach Lateinamerika und in den Süden der (späteren) USA bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. „Systeme“ der Migration sind nicht an die Freiwilligkeit der Migrierenden gebunden. Vielmehr wäre es wünschenswert, auch die in der jüngeren Forschung prominent behandelten und nicht zuletzt zahllose Migrierende aus Asien betreffenden Schuldknechtschaftsverhältnisse einzubeziehen. Deren de jure aber nicht immer de facto befristeter Charakter spricht die temporäre Dimension der Migration an, die nicht dauerhaft sein musste. Uns interessieren Rückwanderungsbewegungen ebenso wie saisonale Muster, gleich ob sie von Erntezyklen gesteuert waren oder von Aufenthaltsbestimmungen, deren Bedeutung z.B. bei den in Deutschland tätigen Pflegekräften aus Osteuropa offensichtlich ist. Auf der einen Seite verlangt die Frage nach Mustern die Einbeziehung der demo-ökonomischen Situation in den Ausgangsregionen und der unterschiedlich regulierten Arbeitsmärkte in den Zielregionen. Dadurch kommt der Staat als wichtige Lenkungsinstanz in den Blick, die angemessen zu berücksichtigen sein wird, ohne dass Migrationspolitik das primäre Interesse des Bandes ist. Auf der anderen Seite aber gilt es die Akteur:innen in den Blick zu nehmen, welche die Bewegung zwischen Ausgangs- und Zielregion organisieren, formal oder informell, legal, semilegal oder illegal. Nur in der Zusammenführung beider Seiten wird man z.B. die über lange Zeiträume stabile Rekrutierung von in Europa und Nordamerika tätigen Care-Arbeiterinnen aus der südostasiatischen Inselwelt verstehen können.

2. Wege, Transportmittel, Netze
Die zuletzt angesprochenen Akteur:innen leiten über zu den Transportmitteln, die den Migrierenden zur Verfügung standen, den Wegen, die sie nutzten, und den Netzen, die sie unterstützten oder in denen sie gefangen blieben. Fußwege sind bis in die Gegenwart wichtig (und ihre Kenntnis ein Schlüssel des illegalen Grenzübertritts), aber der Schiffsverkehr, Eisenbahn- und Luftverkehrsverbindungen haben die Infrastruktur des Migrierens grundlegend verändert. Häfen, Bahnhöfe und Flughäfen sind zu zentralen Relaisstationen geworden, die indessen nicht allein als Schnittstellen zwischen verschiedenen Abschnitten der Migration fungieren, sondern häufig genug Letztere blockieren, weil seuchenpolizeiliche Vorschriften Quarantänen erzwingen oder asylrechtliche die Zwangsunterbringung in zum Teil extraterritorialen Unterkünften nach sich ziehen. Der damit angesprochenen Spannung zwischen Mobilisierung und Immobilisierung gilt das besondere Augenmerk des Bandes und macht zugleich deutlich, dass Ausgangs- und Zielregionen auch dann keine eindeutigen Anfangs- und Endpunkte von Migration bilden, wenn sie nicht – wie im Falle der Wanderarbeit – ohnehin auf das Engste verknüpft bleiben.

3. Erfahrungen, Wissen und Konflikte
Vor allem ist bei der Ankunft oft gar nicht klar, ob ein Ort – in der Regel eine Stadt – zum Endpunkt wird oder auch nur werden soll. Zeithorizonte, die von etwaigen Rückkehrwünschen maßgeblich mitbestimmt werden, prägen aber auch die Strategien von Migrierenden, die nicht zufällig häufig in Gastronomie und Handel Fuß zu fassen suchen. Solche Strategien gilt es systematischer zu erforschen und dabei die Bedeutung von ethnisch und oder religiös definierten Netzwerken einzubeziehen. Nicht zuletzt interessiert uns, welche Teilhaberechte inkl. des Wahlrechts wann eingeklagt werden und welche Reaktionen in der Mehrheitsgesellschaft zu beobachten sind. Die Teilhabe am Arbeitsmarkt wurde Migrierenden vonseiten der ansässigen Arbeiterschaft nicht selten verwehrt, eine ständige Herausforderung für gewerkschaftliche Organisationen, zumal die Arbeitgeberseite sich oft genug ethnisch oder rassistisch diskriminierter Gruppen als Streikbrecher bediente. Neben dem Arbeitsmarkt ist der Wohnungsmarkt ein besonders konfliktträchtiges Feld, auf dem gelegentlich auch aufscheint, dass Migration nicht durchgängig ein Armutsphänomen darstellt. Die nach Georgien geflüchteten Russen werden in Tiflis gelegentlich auch deshalb skeptisch beäugt, weil sie ob ihrer weit überdurchschnittlichen Berufsqualifikation sehr hohe Mieten bezahlen können. Systematisch werden sich die damit angedeuteten Konfliktfelder nicht ausleuchten lassen, doch erhoffen wir uns für den Band auch dazu konzeptionell weiterführende und empirisch dichte Beiträge.

Auf einer Tagung, die am 23./24. Oktober 2023 von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn ausgerichtet wird, möchten wir Beitragsideen, Themenangebote und gemeinsame Fragen des hier skizzierten Rahmenthemas des Archivs für Sozialgeschichte 64 (2024) entwickeln. Wir laden alle Interessierten ein, uns bis zum 5. Juni 2023 Vorschläge an afs@fes.de einzureichen. Sie sollten 3.000 Zeichen nicht überschreiten und können, ebenso wie die Vorträge und die späteren Texte, auf Deutsch oder Englisch verfasst werden. Die anschließend von der Redaktion für den Band ausgewählten Beiträge im Umfang von etwa 60.000 Zeichen sollten bis zum 31. Januar 2024 fertiggestellt werden.

Das Archiv für Sozialgeschichte wird herausgegeben von Claudia Gatzka, Kirsten Heinsohn, Thomas Kroll, Anja Kruke, Philipp Kufferath (geschäftsführend), Friedrich Lenger, Ute Planert, Dietmar Süß und Meik Woyke.

Migration in Modern Times: Systems – Routes – Experiences – Conflicts

The next issue of Archiv of Sozialgeschichte aims to consider current research trends and invites contributors from different (social-)historical disciplines to reflect on the future of the history of migration, both empirically and theoretically. The issue focuses on the time from the 18th century onwards, without excluding contributions on earlier periods.

1. Migration systems
The term migration system, which in our understanding only refers to stable connections between (world) regions through mobility over the course of long periods of time, has long been established in research. Since the 15th century the movement of Europeans to the Americas and to colonies in other regions of the world has formed a pattern well into the 1950s. Likewise, the centuries-long deportation of Africans to Latin America and the South of the (later) USA until the second half of the 19th century referred to as the ‘Black Atlantic’ describes a similar process.. Systems of migration do not only apply to the voluntary movement of migrants. Rather, it would be desirable to include debt-labour relationships, which have been the focus of much recent research and which affect numerous migrants from Asia. Bonded labour relations which are temporary de jure but not always de facto, allude to the temporary dimension of migration, which is not necessarily permanent. We are interested in return migration movements as well as seasonal patterns, regardless of whether they were controlled by harvest cycles of residence regulations, the importance of which is obvious, for example, for nurses from Eastern Europe working in Germany. On the one hand, the search for patterns requires the inclusion of the demo-economic situation in the regions of origin and the differently organised labour market in the target regions. This puts emphasis on the state as an important steering body that must be taken into account, without migration policy being the primary interest of the volume. On the other hand, it is important to take into account the actors who organise the movement between the region of origin and the target region, formally or informally, legally, semi-legally or illegally. Only by bringing both sides together will we be able to understand, for example, the long-term and stable recruitment of care workers from the South East Asian island countries to work in Europe and North America.

2. Routes, means of transportation, networks
The actors mentioned above consequently raise the questions of the means of transportation available to migrants, the routes they used and the networks they were supported by or remained trapped in. Footpaths are still important today (and the knowledge about them is a key to illegal border crossing), but shipping, rail and air links have fundamentally changed the infrastructure of migration. Ports, railway stations and airports have become central relay stations that do not only serve as interfaces between different sections of migration but also often block the latter because epidemic regulations enforce quarantines or entail forced accommodation in sometimes extraterritorial shelters under asylum law. The volume particularly addresses this tension between mobility and immobility, emphasising that regions of origin and target regions are not clear-cut starting and ending points of migration, which in some cases– such as migrant labour – remained closely linked.

3. Experiences, knowledge and conflicts
Above all, on arrival it is often uncertain whether a place – usually a city – will or even should become the final destination. Timeframes, largely determined by the potential wish to return, also shape migrants’ strategies. It is no coincidence that they often try to find employment in trade and gastronomy. Such strategies need to be examined more systematically, also taking the importance of ethnic or religious networks into account. Last but not least, we are interested in these participation rights, including the right to vote, are claimed and when, and what reactions can be observed in the majority society. Local workers have often denied migrants participation in the labour market – a constant challenge for trade union organisations, especially as employers have often used ethnically or racially discriminated groups as strike breakers. In addition to the labour market, the housing market is particularly prone to conflict, showing that migration does not invariably equate to poverty. The Russians who have fled to Georgia are sometimes viewed with suspicion because their above-average professional qualifications enable them to pay very high rents. While the volume will not be able to systematically analyse all of these fields of conflict, we do hope for conceptual and empirically rich contributions.

The Friedrich Ebert Foundation will host a conference on 23 and 24 October 2023 in Bonn to discuss ideas, themes and questions for contributions on the subject of AfS 64 as outlined above. We invite scholars to submit proposals of no more than 3,000 characters by 5 June 2023. Abstracts, conference papers and subsequent contributions may be submitted in German or English. Subsequently, the editors of the Archiv für Sozialgeschichte will select contributions, which should be approximately 60,000 characters (including footnotes). The submission deadline for contributions is 31 January 2024.

The Archiv für Sozialgeschichte is edited by Claudia Gatzka, Kirsten Heinsohn, Thomas Kroll, Anja Kruke, Philipp Kufferath (managing director), Friedrich Lenger, Ute Planert, Dietmar Süß and Meik Woyke.

Kontakt

Dr. Anja Kruke; afs@fes.de

https://www.fes.de/afs/