Tagebücher im Horizont sozialer Praktiken

Tagebücher im Horizont sozialer Praktiken

Veranstalter
Dr. Jennifer Clare (Universität Hildesheim), Dr. Christine Fornoff-Petrowski (Universität für Musik und darstellende Kunst Wien) (Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) der Universität Bielefeld)
Ausrichter
Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) der Universität Bielefeld
PLZ
33615
Ort
Bielefeld
Land
Deutschland
Findet statt
In Präsenz
Vom - Bis
01.02.2024 - 03.02.2024
Deadline
15.08.2023
Von
Dr. Christine Fornoff-Petrowski, Universität für Musik und darstellende Kunst Wien

Mit dem Workshop widmen wir uns dem Führen von Tagebüchern aus der Perspektive verschiedener geistes-, kultur- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen als vielfältige soziale Praxis. Wir richten den Blick dabei auf die spezifischen familiären, alltäglichen, vielleicht professionellen Umgebungen, in denen Tagebücher geschrieben, materiell gestaltet, (vor-)gelesen, besprochen und publiziert werden sowie auf gemeinsam geführte Tagebuchformate.

Tagebücher im Horizont sozialer Praktiken

Tagebücher haben in vielen Disziplinen (u.a. Sprach- und Literaturwissenschaften, Geschichtswissenschaft, Kunst- und Musikwissenschaft, Erziehungswissenschaft, Soziologie, Psychologie) eine lange Tradition als Forschungsgegenstände. Sie werden untersucht als Dokumente historischer Ereignisse und gesellschaftlicher Diskurse, historischer Alltage, Körperlichkeit und Geschlechtlichkeit sowie künstlerischer, philosophischer, bildungsgeschichtlicher und therapeutischer Prozesse und Reflexionen (vgl. Steuwer/Graf 2015; Depkat/Pyta 2021). Sie werden außerdem in allen europäischen Philologien als literarische Textsorte mit eigener Ästhetik, historischer und kultureller Ausprägung betrachtet (vgl. grundlegend u.a. Dusini 2005; Lejeune 2006; Schönborn 2007). Tagebücher literarisch und künstlerisch einflussreicher Personen gelten darüber hinaus als editorisch zu erschließender Teil des künstlerischen Lebenswerks oder mindestens als für dessen Verständnis relevantes Selbstzeugnis.

Im Spektrum dieser vielfältigen Erkenntnisinteressen sind in den letzten fünf bis zehn Jahren im deutschsprachigen Raum zahlreiche Studien erschienen, die – auch unter Rezeption der anglo-amerikanischen Fachdiskurse um Auto/biographie und life writing (vgl. exemplarisch Cottham 2001; Smith/Watson 2010; Henderson 2019) – aus verschiedenen fachlichen Perspektiven die subjektivierenden Qualitäten von Tagebüchern betonen: Beim Führen eines Tagebuchs entstehen demnach nicht nur ein Text oder Artefakt, sondern auch die schreibenden und gestaltenden Personen als Subjekte einer bestimmten sozial-kulturellen Konstellation. Damit sind jegliche Tagebücher als komplex sozial eingebundene Phänomene zu begreifen, insofern sie ein (kulturell, gesellschaftlich, räumlich, intersubjektiv) verortetes Subjekt nicht nur abbilden, sondern es als solches mit hervorbringen. Vor diesem Hintergrund erscheint es zunehmend unzureichend, Tagebücher ausschließlich mit dem Fokus auf einzelne Individuen, ohne Einbezug der sozialen Kontexte ihrer Entstehung und Nutzung, zu untersuchen.

Aus diesem Grund befassen wir uns im geplanten Workshop systematisch und vor allem fachübergreifend mit Tagebüchern im Horizont sozialer Praktiken und nehmen folgende Arbeitsfragen zum Ausgangspunkt:

- Wie wird das Führen eines Tagebuchs als Praxis greifbar und theoretisierbar, d.h. als subjektivierender, intersubjektiver und kollektiv rückgebundener Vorgang?
- Inwiefern ist diese Praxis mit anderen Praxen verschränkt (etwa familiärer, alltäglicher, freundschaftlicher, professioneller Kommunikations-, Austausch- und Beziehungspraxis)? Welche historisch und gesellschaftlich verschiedenen Funktionen kommen Tagebüchern in diesem Sinne potenziell zu?
- Welche Szenarien des gemeinsamen Führens von Tagebüchern gibt es? Was lässt sich aus ihnen für eine erweiterte interdisziplinäre Theoriebildung ableiten?
- Welche rekonstruierbaren Szenarien gemeinschaftlicher und kollektiver Rezeptionspraxis (privater und semi-privater Austausch, etwa innerhalb von Familien, Freundeskreisen, Salons, Austausch mit Personen des professionellen Literaturbetriebs, posthume Rezeption und Edition etc. ...) gibt es für Tagebücher? Was lässt sich aus ihnen für eine erweiterte interdisziplinäre Theoriebildung ableiten?
- Inwiefern stehen Tagebuchpraktiken in Verbindung zu Institutionen, Kontexten und Praktiken z.B. des Wissenschafts-, Literatur- und Kunstbetriebs (Auswertung für professionelle literarische Projekte, Verhältnis zum „Werk“, Funktion der Dokumentation für die Nachwelt…)? In welche institutionellen Zusammenhänge werden Tagebücher eingebunden (z.B. Schule, Therapie, Forschung)?

Im Sinne einer vertieften Diskussion konzentrieren wir uns vor allem auf analoge Praxen des Tagebuchführens des 19. und 20. Jahrhunderts.

Der Workshop wird konzeptionell durch Kurzimpulse der Teilnehmenden auf Basis ihrer jeweiligen fachlichen Expertise sowie intensive Diskussionsphasen im Plenum strukturiert sein. Diskussionssprache ist Deutsch, Kurzimpulse in englischer Sprache sind möglich. Im Anschluss an den Workshop ist ein gemeinsames Themenheft des European Journal of Life Writing (https://ejlw.eu/) mit mehreren fachübergreifenden Gemeinschaftsbeiträgen geplant.

Für einzelne noch freie Plätze laden wir Wissenschaftler:innen aller Fachdisziplinen und Karrierestufen herzlich ein, die sich in ihrer Forschung mit dem Gegenstand Tagebuch, besonders dessen sozialen, kollektiven und praktischen Aspekten, beschäftigen und Interesse haben, ihre spezifische Expertise einzubringen und zugleich ihre Perspektive auf den Gegenstand in einem interdisziplinären Forschungskontext zu erweitern.

Interessierte bitten wir bis zum 15.08.2023 um ein Exposé von ca. eine Seite, welches den Bezug der eigenen Forschung zu Thema und Fragestellungen des Workshops herstellt, die eigenen Erkenntnisinteressen im Rahmen des Workshops sowie die wichtigsten theoretischen und methodischen Referenzpunkte der eigenen Forschungsperspektive skizziert.

Der Workshop findet vom 01. bis zum 03. Februar 2024 im Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) der Universität Bielefeld statt. Reise- und Unterkunftskosten für die Teilnehmenden werden vom ZiF übernommen.

Kontakt

Dr. Jennifer Clare
Universität Hildesheim
E-Mail: jennifer.clare@uni-hildesheim.de

Dr. Christine Fornoff-Petrowski
Universität für Musik und darstellende Kunst Wien
E-Mail: ch.fornoff.petrowski@gmail.com