Wissen, Praktiken und Technologien der Umweltgestaltung

Natur machen: Wissen, Praktiken und Technologien der Umweltgestaltung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts

Veranstalter
Noyan Dinçkal und Philipp Kröger
Veranstaltungsort
Universität Siegen, Herrengarten
Gefördert durch
European Society for Environmental History; Alfred Toepfer Stiftung
PLZ
57072
Ort
Siegen
Land
Deutschland
Findet statt
In Präsenz
Vom - Bis
30.06.2023 - 01.07.2023
Von
Philipp Kröger, Historisches Seminar, Universität Siegen

Im Zentrum des Workshops stehen Wissensformationen, Praktiken und Technologien der Umweltgestaltung. Sie unterscheiden sich von Eingriffen in den Landschafts- und Naturhaushalt im Allgemeinen sowie von länger eingeübten Praktiken, etwa der Melioration. Es geht nicht um die „Eroberung der Natur“ (Blackbourn), sondern um ihre bewusste (Re-)Konstruktion in Form artifizieller Natur-Replika.

Natur machen: Wissen, Praktiken und Technologien der Umweltgestaltung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts

Die 1950er-Jahre gelten als Zäsur der Umweltgeschichte. Davon zeugen Schlagworte wie jene des „1950er Syndroms“ (Pfister) und der „Großen Beschleunigung“ (McNeill/Engelke). Die tiefgreifenden Umwälzungen gesellschaftlicher Naturverhältnisse gingen indes einher mit einem weniger beachteten Wandel des Stellenwertes „der Natur“ innerhalb industrialisierter Gesellschaften. Natur war flächendeckend nicht mehr etwas, von dem es sich zu emanzipieren galt, noch etwas zu Konservierendes. Vielmehr rückte das Herstellen von Natur in den Fokus.

Exemplarisch dafür kann die Geschichte des Naturschutzes in beiden deutschen Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg betrachtet werden. In der Bundesrepublik stand der „Glasglockennaturschutz“ in der Kritik, die planerisch-gestalterische Landespflege setzte sich als Modernisierungsangebot durch. In der DDR galt der konservierende Naturschutz als Relikt bürgerlicher Naturästhetik und wurde in die Landschaftspflege integriert. Aus Naturschutzgebieten wurden „Freilandlaboratorien“, Wissenspraktiken wie jene der Vegetationskartierung ließen sich in ein anwendungsorientiertes Forschungsprogramm zur (Re-)Konstruktion von Ökosystemen umschreiben.

Die an diesem Prozess beteiligten Akteure begründeten die Notwendigkeit Natur herzustellen damit, dass sie ökonomische, medizinische sowie ökologische Funktionen erfülle. Natur galt als Mittel gegen jene negativen Effekte der „Großen Beschleunigung“. Nicht selten verknüpfte sich dieser Zugriff auf die äußere Natur des Menschen mit Vorstellungen seiner inneren. Naturpolitik und -gestaltung sind in diesem Sinne auch als Regierungs- und Sozialtechnologien zu analysieren.

Natur machen beschreibt dieses heterogene Ensemble. Im Zentrum des Workshops stehen Wissensformationen, Praktiken und Technologien der Umweltgestaltung. Sie unterscheiden sich von Eingriffen in den Landschafts- und Naturhaushalt im Allgemeinen sowie von länger eingeübten Praktiken, etwa der Melioration. Es geht nicht um die „Eroberung der Natur“ (Blackbourn), sondern um ihre bewusste (Re-)Konstruktion in Form artifizieller Natur-Replika.

Darin zeigt sich jedoch die Widersprüchlichkeit des Natur Machens. Einerseits lassen sich die neuen Naturen nur als techno-sozio-naturale Assemblagen denken, andererseits erfüllen sie ihre Funktion als Simulakrum darüber, dass sie ihre sozio- und technogenen Anteile verschleiern. Auch daher ging das Herstellen von Natur häufig einher mit ontologischen und ethischen Debatten darüber, was Natur ist – und was sie in der industrialisierten Gesellschaft sein soll.

Alle Interessierten sind herzlich eingeladen – um Anmeldung per E-Mail (martina.huttner@uni-siegen.de) wird gebeten.

Programm

Freitag, 30. Juni 2023

14.00–15.00 Uhr
Natur machen aus theoretischer Perspektive

Noyan Dinçkal / Philipp Kröger (Siegen): Natur machen – Einführung

Jens Lachmund (Maastricht): Stadt-Natur machen: Praktiken der Ko-produktion von Wissen, Politik und materieller Umwelt

15.00–15.20 Uhr
Kaffeepause

15.20–16.50 Uhr
Neue Landschaften: Rekultivierung und Renaturierung

Martin Baumert / Torsten Meyer (Bochum): „… ein Landschaftsbild, das wir nicht missen wollen.“ – Rekultivierungspraktiken und Imaginationen von Braunkohlenfolgelandschaften (am Beispiel des Senftenberger Sees)

Philipp Kröger (Siegen): Die Produktion von Hybriden: Überlegungen zur Geschichte der Ingenieurbiologie und eines Baggersees als Versuchsgelände des Natur Machens

Mariann Juha (Bochum): Neue Farbe: grün. Industriekultur und Landschaft

16.50–17.10 Uhr
Kaffeepause

17.10–18.40 Uhr
Natur machen als Politikform und Sozialtechnik

Noyan Dinçkal (Siegen): Die Produktion urbaner Umwelten als Versprechen guten Lebens, ca. 1970

Oliver Sukrow (Wien/Darmstadt): Gesund-machende Natur. Das sozialistische Kurortmilieu als gestalterische und ideologische Aufgabe der Umweltgestaltung der DDR

Mats Werchohlad (Erfurt): „Das Bauhaus […] eine Alchemistenküche“. Der Konflikt zu Natur und Umwelt am frühen staatlichen Bauhaus

Samstag, 01. Juli 2023

09.00–10.30 Uhr
Natur machen und Naturschutz

Henrik Schwanitz (Dresden): Ein Nationalpark für die Sächsische Schweiz? Oder: „Natur machen“ im Sozialismus

Philipp Kuster (München): Jenseits von Natur? Die Biosphärenreservate der Unesco in den 1970er- und 1980er-Jahren

Thorben Pieper (Bochum): „Wir brauchen ein Umweltwunder“ – Altlastsanierung und Umweltexpertise in der Umbruchs- und Transformationszeit

10.30–10.50 Uhr
Kaffeepause

10.50–12.20 Uhr
Technonaturen

Stefan Poser (Karlsruhe): Formaldehyd-Harze im Weinberg und Minibiotope in Kunststoffwannen. Der Einsatz von Kunststoffen zum „Natur-Machen“ und deren Rezeption

Eike-Christian Heine (München): Vom Leben im Unterwasserhaus. Zur technischen Herstellung menschlicher Habitate in extremen Umwelten

Julian Stalter (München): Das Kunstwerk als interaktiver Garten – Naturgestaltung in digitaler Kunst

Redaktion
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Land Veranstaltung
Sprach(en) der Veranstaltung
Deutsch
Sprache der Ankündigung