Religion und Ökonomie in der Frühen Neuzeit

Religion und Ökonomie in der Frühen Neuzeit

Veranstalter
Verein für Reformationsgeschichte und Gesellschaft zur Herausgabe des Corpus Catholicorum
Veranstaltungsort
Augustanahaus, Im Annahof 4, Augsburg
Gefördert durch
Fritz Thyssen Stiftung
PLZ
86150
Ort
Augsburg
Land
Deutschland
Findet statt
In Präsenz
Vom - Bis
18.10.2023 - 21.10.2023
Von
Matthias Pohlig, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Der Verein für Reformationsgeschichte und die Gesellschaft zur Herausgabe des Corpus Catholicorum veranstalten vom 18. bis 21. Oktober dieses Jahres in Augsburg gemeinsam eine internationale Tagung zum Thema "Religion und Ökonomie in der Frühen Neuzeit".

Religion und Ökonomie in der Frühen Neuzeit

Ernsthafte Debatten um den Zusammenhang von Ökonomie und christlicher Religion werden seit den impulsbegebenden Beiträgen zur Religionssoziologie der klassischen Moderne geführt. Inwiefern religiöse Dispositionen und Mentalitäten und wirtschaftliches Planen und Agieren zusammenhängen, ja interagieren oder sich wechselseitig beeinflussen, gilt seither als umstritten. Unklar ist auch, wie die Zusammenhänge exakt zu beschreiben sind oder ob Religion und Ökonomie vielfach eher in kontingenter Weise nebeneinanderstehen. Religiöse Prägungen und ökonomische Prosperität im Sinne kausaler Bedingungsverhältnisse zu beschreiben lag insbesondere im Gefolge der sogenannten „Weber-These“ nahe. Sie ging mit einer dezidiert modernisierungstheoretischen Sicht auf den Protestantismus einher und schrieb insbesondere dem „Calvinismus“ förderliche Potentiale zur Entstehung kapitalistischer Wirtschaftsstrukturen und Erwerbsgesinnungen zu. Allerdings fehlte es auch nicht an Einwürfen und korrigierenden Studien, die die ökonomische Agilität auch des Luthertums oder des römischen Katholizismus betonten, regionalgeschichtliche Kontextualisierungen einbrachten, konfessionsunabhängige ökonomische Dynamiken akzentuierten und auch globalgeschichtliche Aspekte in die Transformationsprozesse der zeitgenössischen Wirtschaft Lateineuropas einbezogen. Seitens der Spätmittelalterforschung ist überdies geltend gemacht worden, dass Formen kumulativer, metrisch plausibilisierter Frömmigkeit etwa bei Stiftungen oder dem Ablass in einem genuinen Zusammenhang mit frühkapitalistischen Mentalitäten standen. In Bezug auf die Debatten um den Zinssatz, die kurz vor der Reformation geführt wurden, erscheinen profilierte Vertreter der Papstkirche wie Johannes Eck – und prosperierende, expansive Handelsunternehmer wie die Fugger – als ‚moderner‘ als etwa Luther. Dass sich die Reformation ihrerseits – unbeschadet der antikapitalistischen Agitation etwa des Wittenberger Reformators – eines besonderen Rückhaltes in den städtischen Wirtschaftszentren erfreute und auch über Handelswege verbreitet wurde, ja sich insbesondere der Dynamik einer frühkapitalistisch organisierten Wachstumsbranche, dem Buchdruck, verdankte, kann als opinio communis der einschlägigen Forschung gelten.

Die konfessionskomparatistischen Forschungen im Zuge der Konfessionalisierungsdebatte, an denen sich die beiden veranstaltenden Vereine in besonderer Weise beteiligt haben, sind in Bezug auf das große Themenfeld „Religion und Ökonomie“ eigentümlich unproduktiv gewesen. Ob und inwiefern konfessionelle Prägungen und Konflikte das wirtschaftliche Verhalten einzelner Akteure und Akteursgruppen beeinflussten, ist allenfalls in Bezug auf einzelne paritätische Reichsstädte bearbeitet worden. Unbeschadet der durch punktuelle Tiefe, eine gewisse Vielfalt, aber auch erhebliche Disparität geprägten Forschungslage zu „Religion und Ökonomie“ in Reformation und Früher Neuzeit scheint die Diskussionssituation im Ganzen durch ein gewisses Desinteresse an wirtschaftsgeschichtlichen Fragestellungen gekennzeichnet zu sein. Ein dadurch entstandenes ‚Defizit‘ in Bezug auf wirtschaftsgeschichtlich akzentuierte Forschungen, das seit ca. drei Jahrzehnten besteht, bildet den Anlass für die Tagungsinitiative.

Für die Anlage der Tagung ist entscheidend, dass konfessions- und religionsvergleichende Aspekte verschränkt werden sollen. Dabei werden zum einen die jeweiligen normativen Konzepte eines ‚guten, gerechten Wirtschaftens‘ im Spiegel einschlägiger Quellen der christlichen Konfessionen herausgearbeitet. Dieser stärker ideen- und theologiegeschichtliche Zugang zielt darauf ab, die zentralen wirtschaftsethischen Vorstellungen innerhalb der jeweiligen religiösen bzw. konfessionellen Formation kennenzulernen. Ergeben sich aus diesen normativen Konzepten z.B. Konsequenzen etwa für den Handel mit fremdkonfessionellen und/oder -religiösen Personen? Und wie verhalten sich faktisches Wirtschaftsgebaren und konfessionell oder religiös grundierte Konzepte zueinander? Sodann sollen Räume, Netzwerke und Zentren des frühneuzeitlichen Wirtschaftens auch in komparatistischer Perspektive in den Blick geraten; gedacht ist an Vorträgen zu einzelnen Städten, aber auch an Beiträge zu den großen Handelskompanien und ihren Niederlassungen. Eine weitere Abteilung zielt auf eine systematische Analyse der globalen Verflechtungen ab. Welche Konsequenzen ergaben sich aus wirtschaftspolitischen Kräfteverschiebungen in der Levante? Wie, wann und wo werden direkte, wie, wann und wo indirekte oder mittelbare Wirkungen der lateinamerikanischen Expansion auf die europäischen und die globalen Wirtschaftsstrukturen bemerkbar? In welchen Formen schlagen sie sich nieder? Die bereits für das späte Mittelalter initiierte Forschung zum Verhältnis von Sozial- und Heilsökonomie soll in Bezug auf die Transformationsdynamik von Reformation und katholischer Reform bezogen und bedacht werden. Eine letzte Abteilung wird sich dem Themenfeld materielle Kultur und Konsum widmen. Hier ist nicht nur an eine Öffnung in Richtung auf den material turn gedacht; auch kunstgeschichtliche Perspektiven sollen aufgegriffen werden.

Programm

Mittwoch, 18. Oktober 2023

16.00 Uhr
Begrüßung
Thomas Kaufmann (Vorsitzender des Vereins für Reformationsgeschichte)
Günther Wassilowsky (Vorsitzender der Gesellschaft zur Herausgabe des Corpus Catholicorum)

Sektion I: Räume – Netzwerke – Zentren

16.30–16.45 Uhr
Einführung und Moderation: Irene Dingel (Mainz)

16.45–17.30 Uhr
Die Augsburger Fugger und Welser: Europäische Netzwerke – globale Initiativen – konfessionelle Haltungen
Mark Häberlein (Bamberg)

17.30–18.15 Uhr
Globale Finanzströme und Handelszentren
Philipp Robinson Rössner (Manchester)

19.00 Uhr
Empfang des Regionalbischofs des Kirchenkreises Augsburg und Schwaben
Bischof Axel Piper
Ort: UlrichsEck, Ulrichsplatz 17

Donnerstag, 19. Oktober 2023

09.00–09.45 Uhr
Räume, Netzwerke und Zentren im Osmanischen Reich
Henning Sievert (Heidelberg)

9.45–10.30 Uhr
Synthese, Kritik und Weiterführung
Birgit Emich (Frankfurt a.M.)

Kaffeepause

Sektion II: Globale Verflechtung

11.00–11.15 Uhr
Einführung und Moderation: Klaus Unterburger (München)

11.15–12.00 Uhr
Jüdische Kaufleute – jüdische Netzwerke? Transkultureller Handel bei aschkenasischen und sephardischen Juden und Jüdinnen
Cornelia Aust (Bielefeld/Essen)

12.00–12.45 Uhr
Einige Aspekte des Zusammenhangs von Theologie und Wirtschaft im Spanischen Weltreich
Mariano Delgado (Fribourg)

Mittagspause

14.15–15.00 Uhr
Der Grenzfluss Save als „globalisierter Wirtschaftsraum“ – religiös geprägte Wahrnehmungsmuster ökonomischen Handelns im 18. Jahrhundert.
Markus Koller (Bochum)

15.00–15.45 Uhr
Synthese, Kritik und Weiterführung
Kim Siebenhüner (Jena)

Donnerstag, 19. Oktober 2023

16.00 Uhr
Gang durch das frühneuzeitliche Augsburg
Führungen von Wolfgang Augustyn (Augsburg) und Rainald Becker (Augsburg)

Freitag, 20. Oktober 2023

Sektion III: Normative Grundlagen

09.00–09.15 Uhr
Einführung und Moderation: Günther Wassilowsky (Berlin)

09.15–10.00 Uhr
Wirtschaftsethik in der Reformation
Thomas Kaufmann (Göttingen)

10.00 Uhr–10.45 Uhr
Die Zinsfrage im konfessionellen Vergleich
Mathias Schmoeckel (Bonn)

Kaffeepause

11.15–12.00 Uhr
Recht in der Wirtschaft – der katholische Beitrag in der Frühen Neuzeit
Wim Decock (Louvain)

12.00–12.45 Uhr
Synthese, Kritik und Weiterführung
Christoph Strohm (Heidelberg)

Mittagspause

Freitag, 20. Oktober 2023

Sektion IV: Sozialökonomie und Heilsökonomie

14.15–14.30 Uhr
Einführung und Moderation: Matthias Asche (Potsdam) und Martin Keßler (Bonn)

14.30–15.15 Uhr
Stifterkulturen und Memoria im interreligiösen Vergleich
Michael Borgolte (Berlin)

15.15–16.00 Uhr
Sozialfürsorge bei Oekolampad
Martin Keßler (Bonn)

Kaffeepause

16.30–17.15 Uhr
Toleranz und Ökonomie? Migranten im Spannungsfeld religiöser Erwartungen und wirtschaftlicher Notwendigkeiten
Matthias Asche, Potsdam

17.15–18.00 Uhr
Synthese, Kritik und Weiterführung
Tim Lorentzen (Kiel)

20.00 Uhr
Öffentlicher Abendvortrag
Geld, Glauben, Macht. Religion und „große Divergenz"
Bernd Roeck (Zürich)

Samstag, 21. Oktober 2023

Sektion V: Konsum und materielle Kultur

09.00–09.15 Uhr
Einführung und Moderation: Matthias Pohlig (Berlin)

09.15–10.00 Uhr
Ökonomische Perspektiven auf religiöse Kunst
Birgit Münch (Bonn)

10.00–10.45 Uhr
Werbung und Spenden für die lutherische Indienmission – Heilserwartung im kolonialen Horizont
Ulrike Gleixner (Wolfenbüttel)

Kaffeepause

11.15–12.00 Uhr
Buchdruck und Buchmarkt im 16. Jahrhundert
Saskia Limbach (Göttingen)

12.00–12.45 Uhr
Synthese, Kritik und Weiterführung
Alexandra Walsham (Cambridge)

12.45–13.15 Uhr
Resümee und Schlussworte
Thomas Kaufmann
Günther Wassilowsky

Kontakt

emre.altuntas.2@hu-berlin.de

Redaktion
Veröffentlicht am
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Land Veranstaltung
Sprach(en) der Veranstaltung
Englisch
Sprache der Ankündigung