Tierstudie: Arbeit (Neofelis Verlag)

Tierstudie: Arbeit

Veranstalter
Neofelis Verlag
PLZ
10439
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Findet statt
Digital
Vom - Bis
01.10.2024 -
Deadline
01.02.2024
Von
Jessica Ullrich

Die kommende Ausgabe von Tierstudien wird sich mit dem Begriff, dem Konzept und dem Phänomen sowie der Praxis der Arbeit in Bezug auf nicht-menschliche Tiere beschäftigen. Die Betrachtung von Arbeit von Tieren, mit Tieren und für Tiere soll im Mittelpunkt der Beiträge stehen und das in all ihren Facetten:

Tierstudie: Arbeit

Die kommende Ausgabe von Tierstudien wird sich mit dem Begriff, dem Konzept und dem Phänomen sowie der Praxis der Arbeit in Bezug auf nichtmenschliche Tiere beschäftigen. Die Betrachtung von Arbeit von Tieren, mit Tieren und für Tiere soll im Mittelpunkt der Beiträge stehen und das in all ihren Facetten: z.B. als Subsistenzarbeit, Lohnarbeit, Erwerbsarbeit, Fronarbeit, Sklavenarbeit, Gastarbeit, Mitarbeit, emotionale Arbeit, entfremdete Arbeit, Kollaboration, Sexarbeit, Charity- oder Care-Arbeit. Tiere produzieren für sich selbst und für andere. Sie sind instinktiv, gezwungenermaßen oder freiwillig tätig, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten oder um von Menschen eine Lebensberechtigung zugesprochen zu bekommen. Sie kollaborieren mit Artgenoss:innen oder mit Individuen anderer Spezies. Dennoch existiert die Auffassung, dass Tiere nicht arbeiten. Georges Friedmann etwa sieht in der Arbeit etwas, das „den Menschen“ über alle anderen Tiere erhebt. Auch in der marxistischen Denktradition gilt Arbeit als Existenzbedingung des menschlichen Lebens und ist damit Merkmal anthropologischer Differenz. Tierliche Tätigkeit und Produktion werden nicht als Dienst, Leistung oder Werk gewürdigt, weil ihnen vorgeblich keine bewusste Überlegung vorangeht. Eine andere Meinung vertritt Adam Smith bereits 1776: Weil sie Werte generieren, bezeichnet er Tiere in The Wealth of Nations als Arbeiter. Und Hannah Arendt nennt einen Menschen, der ausschließlich arbeitet, „Animal laborans“ und betont so dessen Tiersein. Tatsächlich eröffnet schon die Wortherkunft Bezüge zum Tierlichen, leitet man „Arbeit“ doch entweder von arvus, Ackerland, her oder von arabeit, Mühsal; also von einem typischen Ort bzw. einem typischen Zustand der in der Landwirtschaft tätigen Tiere. Tiere werden, darauf hat u.a. Nicole Shukin in Animal Capital hingewiesen, oft als Kapital betrachtet (wobei capita ursprünglich den Rinderkopf bezeichnete) bzw. als auszubeutende Ressourcen und sind allein dadurch schon untrennbar in die Abläufe einer kapitalistisch verfassten Welt eingebunden. Auch wenn in Städten des globalen Nordens keine Karrenhunde und Lastenesel mehr zu sehen sind und Pferdestärke durch moderne Technologien ersetzt wurde, arbeiten Tiere auch hier weiterhin. In den westlichen Industrienationen sind beispielsweise viele Tiere in automatisierten tayloristischen Arbeitsprozessen gefangen. Selbst Mikroorganismen werden zuweilen als Ökosystemdienstleister in einer ökonomischen Rhetorik gerahmt. Die meisten Säugetiere arbeiten in der Landwirtschaft, im Transportwesen, im Medizinsektor, in der Unterhaltungsindustrie, bei der Polizei, beim Militär oder schlicht in Privathaushalten. Manche Tiere steigern durch ihre bloße Anwesenheit menschliche Produktivität, z.B. wenn sie im Klassenzimmer oder Büro zur Verbesserung des Arbeitsklimas eingesetzt werden.

Tiere wurden und werden in verschiedenen sozialen Praktiken und auch alltagssprachlich als Arbeitende konstruiert: Manche Minenponys erhielten genau wie ihre menschlichen Mitarbeiter:innen Registrierungsnummern und bekamen festgelegte „Urlaubstage“ an der frischen Luft zugeteilt. Blindenhunde gehen nach ihrem aktiven Arbeitsleben „in Rente“, thailändische Elefanten werden durch das Holzschlagverbot „arbeitslos“, ausgemusterte Rennpferde erhalten „Gnadenbrot“ in Pferdealtersheimen und Polizeihunde sind tierliche „Kolleg:innen“ menschlicher Diensthundeführer:innen. Selbst von privaten Hundehalter:innen wird erwartet, dass sie regelmäßig mit ihren Tieren „arbeiten“; damit das Zusammenleben harmonisch verläuft. Manche Tiere werden hochspezialisiert für ganz bestimmte Aufgaben gezüchtet und dann auch professionell für diese aus- und weitergebildet.

Während die Critical Animal Studies das Mensch-Tier-Verhältnis in marxistischer Tradition vor allem als Ausbeutungsverhältnis definieren, betonen manche Tierethiker:innen auch positive Aspekte der (Zusammen-)Arbeit. Will Kymlicka und Sue Donaldson sprechen sich beispielsweise dafür aus, Tiere auf Lebenshöfen arbeiten zu lassen, da die Erfüllung einer befriedigenden Aufgabe Bestandteil eines gelingenden Lebens sei. Und in der Kunst wird der Umgang mit lebendigen Tieren oft als Kollaboration (laborare=arbeiten) bezeichnet. Dabei ist dieser Begriff durchaus ambivalent, meint er zumindest in Kriegszeiten doch die Zusammenarbeit mit dem Feind. Nimmt man das ernst, könnte die Kollaboration vielleicht eine Möglichkeit für Tiere sein, in einem prinzipiell ausbeuterischen System einen Ausweg zu finden, die eigenen vitalen Interessen zu wahren.

Auch in menschlichen Berufen, die Tiere involvieren, ist zumindest eine rudimentäre Form der Zusammenarbeit oder Kooperation meist unumgänglich. Für viele Menschen erscheint es offenbar attraktiv, „irgendwas mit Tieren“ zu machen. Doch die Arbeit mit Tieren kann auch für die Menschen belastend sein: Tierschutzarbeit kann zu posttraumatischen Belastungsstörungen und compassion fatigue führen. Arbeit mit Tieren wird zudem weniger wertgeschätzt als die Arbeit mit Menschen und oft ist die Argumentation in Bezug auf Arbeit mit Tieren rein anthropozentrisch. So klagen Dompteur:innen, dass ein Verbot des Einsatzes von „exotischen“ Tieren im Zirkus einem Berufsverbot für sie gleichkäme, ohne die Interessen der Tiere zu berücksichtigen. Und in der tiergestützten Therapie wird nicht immer auf Überlastung der eingesetzten Tiere geachtet, weil menschliche Bedürfnisse als wichtiger erachtet werden. Mit all diesen und weiteren verwandten Themenfeldern können sich die Beiträge für Tierstudien beschäftigen, wobei idealerweise die Perspektive der Tiere selbst im Mittelpunkt stehen soll. Denkbar sind philosophische oder historische Betrachtungen über den Begriff tierlicher Arbeit genauso wie soziologische, kunst- und kulturwissenschaftliche, juristische oder psychologische Beiträge über die Berufe (oder Berufung) von Tieren oder mit Tieren arbeitenden Menschen. Willkommen sind zudem praktische Erfahrungsberichte und Fallstudien, die die sozialen, kulturellen und ökonomischen Beziehungen betrachten, die tierliche oder tierinvolvierende Arbeit schafft. Es könnte danach gefragt werden, wie kooperative oder gleichberechtigte Formen der Zusammenarbeit mit anderen Tieren aussehen könnten, wie Ausbeutung vermieden und wie tierliche Arbeit entlohnt werden kann. Auch könnte die Nekro- und Biopolitik mehr-als-menschlicher Arbeit beleuchtet werden sowie die Rolle, die Tiere in der Geschichte der historischen Arbeitskämpfe gespielt haben. Neben den Labor Studies könnten sich die Gender oder Disability Studies als Bezugspunkte anbieten; eine methodische Anbindung an die Animal Studies ist für alle Beiträge aber unumgänglich.

Abstracts von nicht mehr als 2.000 Zeichen senden Sie bitte bis zum 1. Februar 2024 an jessica.ullrich@neofelis-verlag.de. Die fertigen Texte dürfen eine Länge von bis zu 22.000 Zeichen haben (inklusive Leerzeichen und Fußnoten) und müssen bis zum 1. Juni 2024 eingereicht werden. Danach gehen sie zur Peer Review an den wissenschaftlichen Beirat von Tierstudien. Auf Grundlage der Gutachten des wissenschaftlichen Beirats wird über die Annahme der Texte zur Veröffentlichung entschieden. Erscheinungsdatum für die angenommenen Texte ist Anfang Oktober 2024.

https://neofelis-verlag.de/media/pdf/42/62/30/cfp_tierstudien-26-2024_Arbeit.pdf
Redaktion
Veröffentlicht am
Klassifikation
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprach(en) der Veranstaltung
Deutsch
Sprache der Ankündigung