Montag, 25. September 2023
1933 Niemals vergessen! Die nationalsozialistische Machtdurchsetzung und der Terror gegen die Arbeiter:innenbewegung in Wuppertal
15:00 Uhr
(Universitätsbibliothek Wuppertal, Gaußstr. 20, 42119 Wuppertal)
In Kooperation mit der Universitätsbibliothek Wuppertal und dem Centre for International Studies in Social Policy and Social Services der Bergischen Universität Wuppertal
Ausstellungseröffnung mit Prof. Uwe Schneidewind, Oberbürgermeister der Stadt Wuppertal; Prof Heinz Sünker; Ulrich Jacobs, GEW Stadtverband Wuppertal und einer Vertreter:in des AStA der Bergischen Universität Wuppertal.
Musik: Ulrich Klan
Donnerstag, 05. Oktober 2023
Prof. Richard J. Evans: Die nationalsozialistische Machtergreifung: Zwang oder Konsens?
19.30 Uhr
(Bergische VHS/Auerschulstraße 20)
In Kooperation mit der Bergischen Volkshochschule und der Buchhandlung Mackensen
Seit der Jahrhundertwende gibt es eine deutliche Tendenz unter Historiker:innen, das sogenannte „Dritte Reich“ als eine „Konsensdiktatur“ darzustellen. Der kanadische Historiker Robert Gellately argumentiert z.B., dass die sogenannte nationalsozialistische Machtergreifung in Realität keine war. Gewalt sei nur gegen kleine, sozial marginale Minderheiten angewendet worden, und ab Mitte 1933 sei das System der Konzentrationslager rapide abgebaut worden, so dass sich dort zwei Jahre später weniger als 4 000 Gefangene befanden, ein Zeichen dafür, dass die Nationalsozialisten die Bevölkerung überhaupt nicht mehr einzuschüchtern brauchten. Die Gestapo, so Gellately und auch der Historiker Götz Aly, sei eine sehr kleine Organisation gewesen: sie war kein allesüberwachender Terrorapparat, sondern verarbeitete von einfachen Bürgern eingesandte Denunziationen. Die deutsche Gesellschaft sei deshalb eine „selbstüberwachende Gesellschaft“ gewesen. Die Mitte der 1990er-Jahr von Eric Johnson und Karl Heinz Reuband durchgeführte Befragung von älteren Deutschen, die das „Dritte Reich“ miterlebt hatten, ergab, dass sich die überwiegende Mehrheit der Befragten im Rückblick nie gefürchtet hatte, von der Gestapo verhaftet oder in ein Konzentrationslager verschleppt zu werden. Auf der anderen Seite wird argumentiert, dass das Bild einer totalen Integration der Arbeiterschaft in die rassistisch bedingte nationalsozialistische „Volksgemeinschaft“ ebenso einseitig sei; die Begriffe einer „sich-selbst überwachende Gesellschaft“ oder einer „Zustimmungsdiktatur“ (Götz Aly) unterschätzten sehr stark die terroristischen Elemente der nationalsozialistischen Herrschaft. In seinem Vortrag unternimmt Richard J. Evans eine kritische Auseinandersetzung mit beiden Seiten der Kontroverse und versucht, zu einem abgewogenen Ergebnis zu kommen.
Richard J. Evans wurde 1947 geboren und ist in London aufgewachsen. Studium an der Universität Oxford, Lehrtätigkeit in London und Cambridge. Seit 2014 ist er emeritierter Professor an der Universität Cambridge. Zahlreiche seiner Bücher sind auf Deutsch erschienen, u.a.: Das Dritte Reich (3 Bde., DTV 2005–2010), Das europäische Jahrhundert (DTV 2016) und Das Dritte Reich und seine Verschwörungstheorien (DVA 2020).
Mittwoch, 18. Oktober 2023
Prof. Heinz Sünker: Volksgemeinschaftsideologie. Zur Gesellschaftsgeschichte des Nationalsozialismus
19.30 Uhr
(Forum Robertstraße/Eingang Wilbergstraße 8)
Aufbauend auf grundlegenden Analysen von Franz Neumann, Theodor W. Adorno und Timothy Mason zum „Funktionieren“ der nationalsozialistischen Gesellschaft wird die Logik der ideologischen Fundierung in der Gestalt der Ideologie der „Volksgemeinschaft“ entziffert. Diese rassistische Ideologie strukturierte gesellschaftliche Praxen des Einschlusses – als Prämierung – und des Ausschlusses – als Verfolgung, Einsperrung, Mord und Shoah wie Porajmos. „Volksgemeinschaft“ bedeutete die Realisierung von Gesellschafts-, Arbeits- wie Sozialpolitik als Kombination von Repression und „Wohlfahrt“, letzteres als „Volkspflege. Dies verband sich mit dem Versuch, die NS-Gesellschaft als Erziehungsstaat zu etablieren, um unter dem Schein der Klassenlosigkeit mit feudaler Semantik ein kapitalistisches Akkumulationsregime zu sichern.
Heinz Sünker, Prof. für Sozialpädagogik / Sozialpolitik an der Bergischen Universität, danach dort Rudolf-Carnap-Senior-Professor; Honorary Professor an der Universität Aarhus/DK. Studium an den Universitäten Münster und Heidelberg (Germanistik, ev. Theologie, Philosophie, Erziehungswissenschaft). Promotion und Habilitation an der Universität Bielefeld. Forschungsgebiete: Westlicher Marxismus/Kritische Theorie; Theorie und Geschichte Sozialer Arbeit, Kritische Bildungstheorie und Bildungsforschung, Nationalsozialismus und Widerstand, Kindheitsforschung.
Montag, 23. Oktober 2023
Dr. Stephan Stracke: KZ Kemna – Das Bergische Konzentrationslager. Widerstandsgeschichte und Geschichtspolitik
18:30 Uhr
(VHS Solingen, Mummstr. 10)
Stephan Stracke ist Mitglied des Vereins zur Erforschung der Sozialen Bewegungen im Wuppertal e. V. Er studierte Geschichte an der Bergischen Universität Wuppertal und promovierte an der FU Berlin mit einer Arbeit über die Wuppertaler Gewerkschaftsprozesse
Vor 90 Jahren eröffnete der Wuppertaler Polizeipräsident und SA-Brigadeführer Willi Veller ein Schutzhaftlager in einer leerstehenden Fabrik. Das „Konzentrationslager Wuppertal-Barmen“, so der offizielle Name, wurde das größte Lager für Schutzhafthäftlinge für den gesamten Regierungsbezirk Düsseldorf. Nach neusten Forschungen waren dort vom 5. Juli 1933 bis zum 19. Februar 1934 insgesamt 2.000 Antifaschisten und Aktivisten vor allem aus der Bergischen Arbeiterbewegung inhaftiert. Aus Solingen waren mindestens 90 Antifaschisten in der Kemna eingesperrt. Heinrich Schroth, der spätere Landtagsabgeordnete und Theo Deis, der bekannte Spanienkämpfer, wurden besonders schwer gefoltert. Inhaftiert wurden Nazigegner jeder Couleur: Kommunisten, Sozialdemokraten, Zentrums-Anhänger, Polizei-Gewerkschafter, aber auch in Ungnade gefallene SA-Leute und Polizisten.
Auf der Veranstaltung soll es auch um die Strafverfolgung der NS-Täter aus der Wachmannschaft, aus der Politischen Polizei und der SS gehen. Schließlich sollen die aktuellen „Geschichtspolitiken“ und die vorgeschlagenen historisch-politischen Konzepte am Beispiel des neuen „Geschichtsortes Kemna“ diskutiert werden.
Donnerstag, 09. November 2023
Dr. Volker Ullrich: Deutschland 1923. Das Jahr am Abgrund.
19.30 Uhr
(Bergische VHS Auerschulstraße 20)
In Kooperation mit der Bergischen Volkshochschule und der Buchhandlung Mackensen
1923 erlebt Deutschland einen Sturz ins Bodenlose. Französische und belgische Truppen marschieren ins Ruhrgebiet ein. Die Hyperinflation erreicht ihren bizarren Höhepunkt und stürzt breite Bevölkerungsschichten ins Elend. Während die Vergnügungsindustrie boomt, herrscht politisch der Ausnahmezustand. Separatistische Bestrebungen bedrohen den Bestand des Reiches, rechte und linke Extremisten setzen zum Sturm auf die Republik an. Und in München unternimmt ein Mann einen Putsch, dessen Name sich der Welt noch einprägen wird: Adolf Hitler. Volker Ullrich lässt in seinem Vortrag die dramatische Ereignisse Revue passieren und diskutiert die Frage, inwieweit sie bereits auf das Jahr 1933 verweisen.
Volker Ullrich ist Historiker und Journalist. Von 1990 bis 2009 leitete er das Ressort „Politische Buch“ bei der Wochenzeitung DIE ZEIT. Zu seinen Werken gehören die zweibändige Hitler-Biografie (S. Fischer Verlag 2013 und 2018) und der Bestseller „Acht Tage im Mai“ (C. H. Beck 2020).
Donnerstag, 23. November 2023
Prof. Stefan Berger: Die Reaktion der britischen Arbeiterbewegung auf die Machtergreifung Hitlers
19.30 Uhr
(Forum Robertstraße/Eingang Wilbergstraße 8)
Der Vortrag beschäftigt sich vor dem Hintergrund der Beziehungen der britischen Arbeiter:innenbewegung zu Deutschland in der Zeit der Weimarer Republik mit ihren Reaktionen auf die Machtergreifung Hitlers. Ein Schwerpunkt wird dabei auf den Reaktionen der britischen Labour Party liegen. Sowohl die Zeit des Ersten Weltkriegs als auch sehr unterschiedliche Deutschlandbilder auf der britischen Linken spielen eine große Rolle, um die z.T. sehr unterschiedlichen Reaktionen zu erklären. Anhand von unterschiedlichen Protagonisten im Umfeld der britischen Arbeiter:innenbewegung wird der Vortrag diese Reaktionen beleuchten.
Stefan Berger ist Professor für Sozialgeschichte und soziale Bewegungen und Direktor des Instituts für soziale Bewegungen sowie Vorstandsvorsitzender der Stiftung Geschichte des Ruhrgebiets. Er promovierte 1990 in Oxford mit einer vergleichenden Arbeit über die britische Labour Party und die deutsche Sozialdemokratie, die 1997 in deutscher Übersetzung erschien. Er beschäftigt sich u.a. mit der Geschichte der Arbeiter:innenbewegung und der sozialen Bewegungen sowie mit der Geschichte der Regionen der Schwerindustrie (insbesondere Deindustrialisierungsprozesse und Industriekultur), der Geschichte der nationalen Identität und des Nationalismus und Geschichte der Geschichtsschreibung. Seine neueste Veröffentlichung: History and Identity. How Historical Theory Shapes Historical Practice (Cambridge University Press 2022)
Donnerstag, 30. November 2023
Prof. Gerd-Rainer Horn: Vom Bruderkampf zur Einheitsfront. Lehren aus der deutschen Niederlage im In- und Ausland
19.30 Uhr
(Forum Robertstraße/Eingang Wilbergstraße 8)
Vor der Machtübernahme der NSDAP Ende Januar 1933 gab es nur eng begrenzte Versuche, dass ruderlose Steuer der europäischen Linken herumzureißen. Seit 1927 befanden sich sowohl die Sozialdemokratie als auch der moskauorientierte Kommunismus in einer Phase des intensiven gegenseitigen Bruderkampfes. Der Sieg des italienischen Faschismus in den zwanziger Jahren hatte nur wenig zu einer Ernüchterung der beiden verfeindeten Lager beigetragen. Und auch in den ersten Monaten nach der Machtübernahme gab es wenig Veränderung in dieser Sachlage. Erst gegen Ende des Jahres 1933 und dann immer schneller im Laufe des ersten Halbjahres 1934 kam es in beiden Lagern zu einer Annäherung im Angesicht des gemeinsamen Feindes. Im späten Frühjahr und dem Sommer 1934 wurden eine Reihe von einflussreichen Einheitsfronten in verschiedenen Ländern Europas verabschiedet, die allesamt das Erstarken des Faschismus zu bekämpfen versuchten. In diesem Vortrag werden wichtige Momente dieser Übergangsperiode in einer Reihe von westeuropäischen Ländern unter die Lupe genommen (Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich, Spanien).
Gerd-Rainer Horn unterrichtet die Geschichte sozialer Bewegungen des zwanzigsten Jahrhunderts am Pariser Institut d’Études Politique (Sciences Po) unter besonderer Betrachtung der transnationalen Aufarbeitung dieser Thematiken in Westeuropa. Er hat sich unter anderem ausführlich mit den „1968er-Jahren“ sowie dem Linkskatholizismus befasst. Seine erste Buchveröffentlichung war: European Socialists Respond to Fascism: Ideology, Agency and Contingency in the 1930s (Oxford University Press, 1996; 2020 als Paperback neu aufgelegt). Seine neueste Veröffentlichung ist The Moment of Liberation in Western Europe: Power Struggles and Rebellions, 1943–1948 (Oxford University Press, 2020).
Dienstag, 05. Dezember 2023
Dr. Mareen Heying / Sandra Franz: Mehr als Ehefrau, Mutter und Köchin. Aktivismus von und Repression gegen politische Frauen vor und nach 1933
19.30 Uhr
(Forum Robertstraße / Eingang Wilbergstraße 8)
Das Jahr 1933 war eine klare Zäsur in der gesellschaftlichen und politischen Entwicklung Deutschlands. Die nationalsozialistische Politik war darauf ausgerichtet, Modernisierungsversuche der Weimarer Republik zu beenden und rückgängig zu machen. Die neue Regierung legitimierte Gewalt gegen politisch Andersdenkende von Beginn an. Frauen, die sich ihrer ab 1933 bestimmten Rolle als Ehefrau, Mutter und Köchin widersetzten und/oder sich politisch betätigt haben, waren aus NS-Sicht grundsätzlich mehrfache „Feindbilder“, da sie politisch und gesellschaftlich gegen die nationalsozialistischen Vorstellungen von „Weiblichkeit“ und „Volksgemeinschaft“ verstießen. Zudem waren sie oft Vertreterinnen von oppositionellen Parteien.
Der Vortrag zeigt anhand von einzelnen Biografien den nationalsozialistischen Terror ab 1933 auf und verdeutlicht, wie sich Frauen gegen die zunehmende Repression wehrten. Der Fokus wird auf Politikerinnen gelegt, die vor 1933 in Parlamenten arbeiteten, wie auch auf Widerstandskämpferinnen, die ab 1933 gegen den Nationalsozialismus aktiv waren. Frauen haben meist weniger öffentlich Politik betrieben als Männer, auch um von den Nationalsozialisten nicht gefasst zu werden. Dabei waren ihre Rollen und Positionen sehr relevant, antifaschistische Politik und Widerstandsfähigkeiten wäre ohne Frauen nicht möglich gewesen. Ihr Aktivismus wurde von Zeitgenossen und späteren Historikern lange unterschätzt und nicht gewürdigt.
Mareen Heying ist Historikerin und arbeitet seit vielen Jahren zum antifaschistischen Widerstand von Frauen. 2012 hat sie zusammen mit Florence Hervé die Broschüre „Frauen im Widerstand. 1933–1945. Düsseldorf“ verfasst. Intensiv hat sie zur Widerstandskämpferin Klara Schabrod geforscht und die Ergebnisse publiziert: „sei innigst umarmt und geküsst“. Klara Schabrod – Alltagskonstruktionen einer Kommunistin in Briefen zur Zeit des deutschen Faschismus, Bochum 2014. Sie befasst sich zudem mit der Geschichte von Sexarbeit, mit Protest- und sozialen Bewegungen. Aktuell forscht sie zur Figur des „Trunkenboldes“ und zur Arbeiterkneipe. Sie wurde von den Universitäten Bochum und Bologna promoviert und hat an den Universitäten von Düsseldorf und Hagen als wissenschaftliche Mitarbeiterin geforscht und gelehrt.
Sandra Franz ist Historikerin und Jiddistin. Sie studierte an der HHU Düsseldorf und der University of Oxford. Sie war von 2011 bis 2016 wissenschaftliche Angestellte am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte der HHU und von 2009 bis 2018 freie Mitarbeiterin der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf. Sie war beteiligt an transnationalen Projekten mit Großbritannien, Südkorea und den USA. Seit 2018 leitet sie die NS-Dokumentationsstelle in Krefeld. Zudem schreibt sie aktuell an ihrem Promotionsprojekt: „Strange people in a strange, enemy country: Das britische Deutschlandbild der Besatzungsmacht 1944–1953“, welches sie voraussichtlich 2024 abschließen wird. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Jüdische Gesellschafts- und Emanzipationsgeschichte, Holocaust-Studien, Antisemitismus-Prävention, deutsch-britische Geschichte, die britische Besatzungszone nach 1945, sowie viktorianische Trauerkultur.
Donnerstag, 14. Dezember 2023
Prof. i.R. Dr. Reinhard Pfriem: Was wir von einem Wuppertaler Weltökonomen lernen können
19.30 Uhr
Forum Robertstraße / Eingang Wilbergstraße 8
Hans Wolfgang Singer wurde 1910 in Elberfeld geboren und starb 2006 in Brighton. Sein Vater Heinrich, ein jüdischer Arzt, durch den 1. Weltkrieg gesundheitlich schwer geschädigt, starb im Dezember 1933 im Zuchthaus Münster.
Ebenfalls 1933 verließ Hans Wolfgang Singer Deutschland. Vorher hatte er am Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasium Abitur gemacht, wie ich auch, was ich deshalb erwähne, weil während meiner Schulzeit in den 60er-Jahren durch die Schulleitung kein Hans Singer geehrt wurde, sondern der oberste Nazilyriker Will Vesper: das Leben von Vater und Sohn Singer ist eine mahnende Erinnerung an den Faschismus und dessen mangelnde Aufarbeitung in beiden Teilen Deutschlands nach 1945, was wir heute angesichts von mehr als 20 Prozent Umfragestimmen für die AfD nicht vergessen sollten.
Für Hans Singer war die Flucht aus Deutschland Wegbereiter dafür, zu einem international herausragenden Ökonomen zu werden. Joseph Schumpeter, in dessen Bonner Vorlesungen er sich als Medizinstudent hineingemogelt hatte, vermittelte ihn zur Promotion an John Maynard Keynes. Und das war erst der Anfang…
Der Vortrag wird herausarbeiten, dass das wissenschaftliche Lebenswerk und das theoretische Erbe von Hans Wolfgang Singer eine mehr denn je aktuelle Qualifizierung des Etiketts „Herausragender Ökonom“ erforderlich machen: der vom Faschismus Vertriebene machte die globale Ungleichheit und deren Überwindung für eine lebenswerte Zukunft der so bezeichneten Entwicklungsländer zum zentralen Gegenstand seines Schaffens.
Reinhard Pfriem studierte Philosophie und Politikwissenschaft an der Freien Universität in Westberlin sowie Wirtschaftswissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum. Nach externer Promotion an der Bergischen Universität Wuppertal 1985 Initiator des Berliner Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW), geschäftsführender Gesellschafter bis 1990. Habilitation bei Prof. Dr. Peter Ulrich an der Universität St. Gallen, dann an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Unternehmensführung und Betriebliche Umweltpolitik. Von 2009 bis 2016 wissenschaftlicher Leiter der Spiekerooger Klimagespräche. Seit 2017 im Ruhestand. Seine neueste Veröffentlichung ist: Die Neuerfindung des Unternehmertums. Solidarische Ökonomie, radikale Demokratie und kulturelle Evolution (Metropolis Verlag 2021).
Sonntag, 17. Dezember 2023
Dr. Dieter Nelles / Peter-Paul Prietzel-Düwel: In Gedenken an Dr. Heinrich Singer
15.00 Uhr
Vor dem Haus Weststraße 6, Elberfelder Südstadt
Der Elberfelder Arzt Dr. Heinrich Singer wurde am 20. Juli 1933 vom Wuppertaler Landgericht wegen sexuellen Missbrauchs an einem 13-jährigen Patienten zu 1 Jahr und 6 Monaten Zuchthaus verurteilt. Nach der Verwerfung der Revision beim Reichsgericht in Leipzig wurde er im November 1933 in das Zuchthaus Münster verlegt, wo der schwer herzkranke und haftunfähige Mann am 17. Dezember starb. Seine Söhne Hans Wolfgang und Walter Singer kämpften bis 1965 vergeblich um die Rehabilitierung ihres Vaters. Juristisch war der Fall nicht mehr zu klären, weil der einzige Belastungszeuge 1945 in Gefangenschaft gestorben war und somit nicht die Möglichkeit bestand, in einem Wiederaufnahmeverfahren seine Aussagen zu entkräften.
Aber es spricht vieles dafür, „dass das Klima des Prozesses“ wie sein Sohn Hans Wolfgang schrieb, „einen normalen Prozess unmöglich und das Fehlurteil unvermeidlich“ machte Heinrich Singer wurde erst während der Gerichtsverhandlung inhaftiert. Auf Anordnung des SA-Polizeipräsidenten Willi Veller erschienen zwei Beamte der politischen Polizei, der späteren Gestapo, bei der nichtöffentlichen Sitzung. Der von der Verteidigung bestellte und bekannte Sachverständige Prof. Dr. Marbe, Leiter des psychologischen Instituts der Universität Würzburg, der seine Bedenken gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen vorgetragen hatte, wurde schon nach dem ersten Verhandlungstag entlassen. Stattdessen wurde die Glaubwürdigkeit des Zeugen von drei Personen behauptet, an deren Unvoreingenommenheit sehr starke Zweifel bestehen. Von dem Elberfelder Nervenarzt Heinrich Göring, dem ehemaligen Vorsitzenden des Elberfelder Ärztevereins, Sanitätsrat Schulten, und dem Gerichtsassessor Richard Heix.
Der langjährige Redakteur des Wuppertaler Generalanzeigers Wolfgang Müller schrieb 1954: „Die Anschuldigungen wurden von allen, die den verheirateten Mann kannten, (…) nicht geglaubt. (…) Die Veröffentlichung der Familienanzeige ließ natürlich den gesamten Komplex wieder aufleben. Sie wurde dem Generalanzeiger sehr verübelt“. Bei der Gedenkveranstaltung, die vor dem ehemaligen Haus Singers stattfindet, gehen die Referenten auf dessen Biografie, die Hintergründe des Verfahrens und seinen tragischen Tod ein.
Dieter Nelles ist Vorsitzender des Vereins zur Erforschung der sozialen Bewegungen im Wuppertal e.V. Er studierte Sozialwissenschaften an der Bergischen Universität Wuppertal und promovierte an der Universität Kassel mit einer Arbeit über den Widerstand der Internationalen Transportarbeiter (ITF). Zahlreiche Veröffentlichungen über den Widerstand und das Exil der deutschen Arbeiter:innenbewegung und die NS-Geschichte in Wuppertal.
Peter-Paul Prietzel-Düwel ist Rechtsanwalt und lebt in Wuppertal.