Die Kultur- und die Wirtschaftsgeschichte gehören seit einiger Zeit zu den fruchtbarsten und innovativsten Teildisziplinen der deutschen und internationalen Frühneuzeitforschung. Als besonders produktiv hat sich ihre Verknüpfung zu einer Kulturgeschichte des Ökonomischen erwiesen, die in vielfacher Weise als Impulsgeber für methodische, theoretische und nicht zuletzt thematische Reflexionen gelten kann. Die nicht abreißende Fülle an Publikationen, die sich in historischer Perspektive mit ökonomischen Fragestellungen auseinandersetzen, zeigen eindrücklich das Erkenntnispotential, das die Verbindung von kulturhistorischen und ökonomischen Fragestellungen bietet. Dabei stehen oft ökonomisch geleitete Handlungsmuster, Entscheidungen und Sinnstiftungen im Vordergrund, anhand derer sich eine „Kulturgeschichte der Wirtschaft“ auf die „Suche nach der Ökonomie“ (Dejung; Domman, Speich Chassé) begibt.
Eine auffällige Leerstelle stellen dabei die frühneuzeitlichen Höfe dar, deren Erforschung doch in vielen anderen Bereichen als besonders wichtiger Impulsgeber der Frühneuzeitforschung gelten kann. Als fürstliches – oder auch republikanisches – Regierungszentrum waren Höfe in vielfacher Hinsicht Orte, an denen ökonomisches Handeln und Entscheiden alltäglich war, und zwar in den Bereichen der Landesökonomie ebenso wie der Hofökonomie. Die Höfe waren privilegierter Marktplatz für ökonomische Ideen und Projekte sowie ein wichtiger Bezugsrahmen für ökonomisches Denken und die Reflexion über Ökonomie im Allgemeinen.
In der Hofforschung spielen diese Aspekte, wenn nicht dezidiert nach der Hofökonomie gefragt wird, bislang aber kaum eine Rolle. Traditionell sind es vorrangig Bereiche der so genannten „Hochkultur“, die im Blickfeld stehen und damit das alltägliche Geschäft des Wirtschaftens überstrahlen. Es sind, so könnte man schließen, die Adeligen, die Diplomaten und die gelehrten Räte mit ihren standesspezifischen Rollenverständnissen, die das Leben am Hof prägen – nicht das schnöde Wirtschaften, dass auf die Bewältigung von Ressourcenknappheiten ausgerichtet war. Tatsächlich verfolgten aber gerade diese Personengruppen oft auch eigene ökonomische Ziele und beeinflussten auf ganz unterschiedliche Weise die Vorstellungen von Ökonomie und die ökonomischen Praktiken am Hof. Neben den Hoffaktoren, deren Rolle die Forschung mittlerweile auch unter aktuelleren Fragestellungen beleuchtet hat, gilt es also eine Vielzahl sehr heterogener Akteure in den Blick zu nehmen. Hier soll die Tagung ansetzen und die Bedeutung der frühneuzeitlichen Höfe als Orte ökonomischer Praktiken und als wirtschaftliche Zentren hervorheben, als Räume, an denen diverse Interessengruppen und Akteure unterschiedlicher sozialer Ränge und ständischer Zugehörigkeiten, Diplomaten, Verwaltungsbeamte, Adelige, Unternehmer, Projektemacher und Handwerker mit jeweils eigenen Vorstellungen vom rechten Wirtschaften aufeinandertrafen, das Wirtschaftsleben prägten und dabei unterschiedliche Rollen „spielten“ sowie Rollenerwartungen zu bedienen versuchten. Auf diese Weise möchten wir die Höfe als Schnittpunkte von Politik- und Wirtschaftsgeschichte in den Blick nehmen, als Orte des Sprechens über ökonomische Fragen und Ausgangspunkte wirtschaftssteuernder Maßnahmen, als Arenen der Aushandlung ökonomischen Wissens und als Ermöglichungsräume, innerhalb derer Wirtschaftspolitik und die mit ihr verbundenen Diskurse, Theorien und Praktiken zusammenflossen. Denn ein großer Teil „politischer“ Entscheidungen – nicht nur jene militär- und kriegswirtschaftlicher Art – hatte immer auch wirtschaftssteuernden Charakter, zumal in einer Zeit, in der die so genannte merkantilistische und kameralistische Wirtschaftspolitik als maßgebliches Element der Staats- und Staatswirtschaftsbildung charakterisiert wird. Erste vielversprechende Ansätze, die die Höfe der Frühen Neuzeit unter dieser Perspektive in den Blick nehmen, gilt es zu vertiefen.
Konkret möchten wir die Frage nach der Rolle von Wirtschaft und Ökonomie an den frühneuzeitlichen Höfen auf folgenden Ebenen operationalisieren: (1.) Akteurinnen und Akteure, (2.) Semantiken der Ökonomie sowie (3.) Praktiken.
1. Akteurinnen und Akteure: Die Fokussierung auf unterschiedliche Akteurinnen und Akteure soll einen Zugriff auf die vielfältigen Ebenen eröffnen, auf denen Ökonomie am Hof handlungsleitend wirkte. Dass die Erweiterung des Untersuchungsfelds auf einen breiteren Personenkreis zu neuen Erkenntnissen bezüglich der Strukturen und Funktionsweisen von Herrschaft und Herrschaftsorganisation führen kann, hat in den vergangenen Jahren die neue Diplomatiegeschichte eindrücklich gezeigt, die ihren Blick auf sich außerhalb des institutionellen Rahmens bewegende Akteure richtet. Entsprechend möchten wir die Bedeutung von Einzelakteuren für wirtschaftspolitische Impulse und Entscheidungen in den Blick nehmen. In welchen Kontexten, in welchen Formen und in welchem Maße waren Fürst, Fürstin oder andere Angehörige der herrschenden Dynastie an wirtschaftssteuernden Maßnahmen und der Diskussion ökonomischer Problemstellungen beteiligt? Wie blickten der Hof und Hofangehörige auf ökonomische Entscheidungen oder in welcher Wechselbeziehung standen Verwaltungshandeln und Hof(gesellschaft)? Welche Rolle spielten Selbstdarstellung und Rangbewusstsein oder ein unterschiedlicher ökonomischer Habitus? Gerade an den großen Höfen zeigen Beispiele von Mitgliedern des Herrscherhauses, etwa wenn Wittum und Apanagen verwaltet wurden, und anderer Adeliger, dass neben Großkaufleuten und Gewerbetreibenden zahlreiche finanzkräftige Akteure solche Maßnahmen prägten und an ihnen partizipierten. Was geschah aber, wenn unterschiedliche ökonomische Kulturen aufeinandertrafen? Welche Bedeutung kam einem spezifischen Habitus zu und welche Rolle spielte Wirtschaft im höfischen Rang- und Sozialgefüge? Welche Bedeutung kam Ökonomie und Wissen über Wirtschaft am Hof zu? Wer sind die Träger eines solchen Wissens?
2. Semantiken: Die Frühe Neuzeit gilt auch außerhalb genuin „staatswirtschaftlicher“ Handlungsfelder als Zeitalter der Kommerzialisierung und der Ökonomisierung. Gerade letztere erstreckte sich in zunehmendem Maße auch auf kulturelle und soziale Bereiche. Wie weit diese Prozesse auch auf den Hof zurückwirkten, dort rezipiert wurden oder sogar von dort ausgingen, gilt es vor dem Hintergrund einer insbesondere im 17. und 18. Jahrhundert zunehmenden Verknüpfung von politischer Herrschaft und dem von sehr heterogenen Interessen- und Akteursgruppen geprägten Wirtschaftsleben weiter zu untersuchen. Gibt es eine (höfische) Semantik der Ökonomie und wenn ja, wodurch ist sie geprägt? Wie verhalten sich Ökonomie und Wirtschaft gegenüber anderen Handlungsfeldern, wie stellen sich Wechselwirkungen konkret dar? Wie wirkten rituelle Praktiken und Symbolisierungen auf die Ausdifferenzierung von Ökonomie und ökonomischem Handeln am Hof und welche Rolle spielten die unterschiedlichen Grundeinstellungen von Kaufleuten, Adeligen oder eben Mitgliedern der Herrscherfamilien?
3. Praktiken: Gerade mit Blick auf den so genannten Merkantilismus und Kameralismus standen in der jüngeren Zeit vorranging die ökonomischen Diskurse sowie die jeweiligen – auch nationalen – Spezifika ihrer Ausprägungen im Vordergrund des Forschungsinteresses. Wirtschaftspolitische Einzelmaßnahmen wurden dabei als Teil eines in der Zeit verbreiteten Sets von Handlungsoptionen verstanden, die vor dem Hintergrund einer zeittypischen Theorie eingeordnet wurden. Davon losgelöst wurden ökonomischen Praktiken und der Auseinandersetzung mit denselben im höfischen Leben und Alltag aber kaum beleuchtet. Angelehnt an das Konzept des „Wirtschaftsstils“ (Werner Plumpe) soll die Tagung dazu beitragen, die Diskursebene zu verlassen und stattdessen die „Koevolution von Semantiken, Institutionen und Praktiken“ (Ders.) in den Blick zu nehmen, in denen sich Wirtschaft und Ökonomie im höfischen Kontext erst bildeten. Wie und auf welchen Ebenen wurde Landesökonomie am frühneuzeitlichen Hof organisiert? Wie arbeiteten die fürstlichen Kammern und Räte in der Praxis, welche Überlegungen und Erwartungen werden auf diesen Ebenen sichtbar? Wie steht es um die Innovationsfähigkeit im Umgang mit Ökonomie, welche Nutzenerwartungen werden in der Praxis formuliert? Wie gingen Entscheidungsträger mit dem Spannungsfeld von Unsicherheit und ökonomischer Nutzenerwartung, nicht nur, aber eben auch im Umgang mit Projekten um? Welche Rolle spielen hierbei höfische Konkurrenzen und Imitation, welche Bedeutung kommt wirtschaftlicher Konkurrenz zu? Inwieweit wurden merkantilistische und kameralistische Konzepte in die politische Praxis übersetzt? Wer und was fungiert als Motor für entsprechende Maßnahmen, wer oder was wirkt dabei bremsend? Wie stellt sich – abseits der publizistischen Diskurse – der wirtschaftspolitische Denkrahmen am Hof dar? Inwieweit lässt sich eine Monopolisierung wirtschaftspolitischer Fragen durch die maßgeblichen Gremien und Kollegien wie bspw. die fürstlichen Kammern feststellen?
Erwünscht sind Beiträge, die die skizzierten Bereiche und verwandte Fragestellungen am Beispiel sowohl größerer als auch kleinerer europäischer Höfe beleuchten. Neben der Untersuchung der wichtigen politischen Zentren Europas soll ausdrücklich auch der Blick auf mittlere und kleinere Höfe gerichtet werden.
Die Ausschreibung richtet sich sowohl an etablierte Forschende als auch an Nachwuchsforschende, die zu den genannten Themenbereichen arbeiten. Konferenzsprachen sind Deutsch und Englisch.
Wir bitten um Zusendung von Beitragsvorschlägen in Form eines (max.) einseitigen Abstracts und Kurzbiografie an sebastian.becker@uni-mainz.de bis zum 07.11. 2023.