Relevanz statt Revisionismus – Aufgabenfelder einer demokratischen Erinnerungskultur

Erinnerungspolitischer Fachtag: Relevanz statt Revisionismus – Aufgabenfelder einer demokratischen Erinnerungskultur

Veranstalter
sächsische Landesarbeitsgemeinschaft Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus (sLAG) in Kooperation mit dem Else-Frenkel-Brunswik-Institut
Veranstaltungsort
Salles de Pologne, Hainstraße 16/18
PLZ
04109
Ort
Leipzig
Land
Deutschland
Findet statt
In Präsenz
Vom - Bis
18.11.2023 -
Deadline
10.11.2023
Von
Isabel Panek, sächsische Landesarbeitsgemeinschaft Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus (sLAG)

Der Erinnerungspolitische Fachtag ist eine jährlich stattfindende Veranstaltung der sächsischen Landesarbeitsgemeinschaft Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus (sLAG) mit wechselndem Fokus auf Themen und Problemlagen der Erinnerungs- und Gedenkstättenarbeit.

Erinnerungspolitischer Fachtag: Relevanz statt Revisionismus – Aufgabenfelder einer demokratischen Erinnerungskultur

2023 jährt sich der Übergang von der demokratisch verfassten Weimarer Republik zum nationalsozialistischen Regime zum 90. Mal. Mit den verschiedenen Veranstaltungen in unserem Themenjahr „1933 – Wege in die Diktatur“ haben wir Aspekte der Machtübertragung an die Nationalsozialisten und deren gewaltsame Machtdurchsetzung beleuchtet. Der neunte Erinnerungspolitische Fachtag fokussiert als Abschluss des Themenjahrs nochmals auf das Ende der noch jungen Weimarer Republik und fragt nach den gesellschaftlichen und politischen Dynamiken ihres Scheiterns: Welche „Kipp-Punkte“ sind 1933 und davor auszumachen? Erwachsen aus der historischen Analyse des Scheiterns der Weimarer Republik Fragestellungen mit einer gegenwärtigen Perspektive, die den Blick für die aktuellen Gefahren der Demokratie schärfen können?

(Denk-)Ansätze zur Krisenbewältigung, die auf eine autoritäre Staatsführung zielen sowie Elemente der NS-Ideologie wie Antisemitismus, Antiromaismus, Rassismus und Sozialchauvinismus, sind weiterhin und vermehrt Teil der gesellschaftlichen und politischen Diskurse in Deutschland sowie handlungsleitend für Angriffe auf unsere plurale Gesellschaft und deren institutionelle Verfasstheit. Nicht zuletzt kommt es vermehrt zu Angriffen auf NS-Erinnerungs- und Gedenkstätten, die als Orte des aktiven Lernens und der Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen wichtige Stützen einer demokratischen Erinnerungskultur sind. Mittels Vorträgen und Austauschformaten loten wir auf dem diesjährigen Fachtag aus, wie diesen Herausforderungen begegnet werden kann und welche Perspektiven sich für unsere praktische Arbeit ergeben.

Programm

9:00 Uhr Ankunft / Anmeldung

10:00 Uhr Begrüßung / Tagesprogramm

10:30 Uhr Vorträge

Vortrag I: Prof. Dr. Mike Schmeitzner (Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e.V.): „Die nationalsozialistische 'Machtergreifung' in Sachsen 1933. Voraussetzungen – Akteure – Widerstände“

Die 'Machtergreifung' der Nationalsozialisten erfolgte ab Ende Januar 1933 nicht nur auf zentraler Ebene, sondern auch in den Ländern, in denen die NSDAP noch nicht an den Regierungen beteiligt war. Für Sachsen gilt das ab Anfang März 1933. Doch welchen Einfluss hatte die Berliner Entwicklung auf die sächsische? Und welche geistigen und materiellen Voraussetzungen lagen dieser 'Machtergreifung' überhaupt zugrunde? Wer waren die Akteure und in welchen Etappen vollzog sich die totale Aneignung von Macht? Und welche Widerstände hatten die Nazis zu erwarten? Wurde ihnen überhaupt Widerstand entgegengesetzt?

Vortrag II: Prof. Dr. Oliver Decker (Direktor Else-Frenkel-Brunswik-Instituts für Demokratieforschung an der Universität Leipzig): „1933 ist nicht 2023? Autoritäre Sehnsüchte als Herausforderung für eine demokratische Gesellschaft“

1930 gab der Soziologie Theodor Geiger seinem Artikel in der Gewerkschaftszeitung „Die Arbeit“ den prägnanten Titel „Panik im Mittelstand“. Geiger hatte beobachtet, dass mit einer einfachen Unterscheidung zwischen Kapital und Proletariat die gesellschaftlichen Konfliktdynamiken nicht mehr analysiert werden konnte. Als neue Schicht waren vielmehr „Mittellagen“ hinzugekommen. Sie reagierten auf die Weltwirtschaftskrise von 1929 anders, als es der Schulmarxismus für das Proletariat prophezeit hatte. Geiger kam aber auf die Bedeutung dieser neue Position im ökonomischen Betrieb nicht nur angesichts des Börsencrashs am sprichwörtlich gewordenen „Schwarzen Freitag“. Die Weimarer Republik stand in einem Jahrzehnt gleich zweimal unter dem Eindruck einer ökonomischen Krise: 1923 beherrschte eine Hyperinflation die deutsche Gesellschaft und schon der Hitler-Putsch im selben Jahr ist kaum ohne die Verwerfungen in Folge dieser Krise zu verstehen. Wollen wir die gegenwärtigen Konfliktdynamiken verstehen, führt kein Weg vorbei am Verständnis dieser „neuen Mitte“ und der besonderen Auswirkungen von Krisen auf sie. Ohne Ökonomie wird das nicht zu haben sein. Ohne Verständnis der Psychodynamik aber auch nicht.

12:30 Uhr Mittagspause

13:30 Uhr Thementische

I / „Das Wissen um Geschichte – unverzichtbare Grundlage demokratischen Handelns?!“
Input und Moderation: Dr. Justus H. Ulbricht (Historiker, Dresden)
Das Engagement für unser demokratisches Gemeinwesen speist sich bei Vielen oftmals aus dem Wissen um das Scheitern von Demokratie – klassisches Beispiel die Geschichte der Weimarer Republik. Doch was muss man von der langen Geschichte demokratischer Ideen und Praxen kennen, um heute engagiert, strategisch klug und mutig zu handeln? Diese Fragen sollen verhandelt und zur Diskussion gestellt werden.

II / „Geschichtliche Erfahrungen der Solidarität – Grundlagenarbeit für eine Handreichung und eine Videoproduktion“
Input und Moderation: Uwe Hirschfeld (politisch-kultureller Bildner, sLAG, Dresden)
„Vorwärts und nicht vergessen“ war einst die Parole, doch auch in heutigen Zeiten, in denen es eher darum geht, sich gegen Reaktion und Rollbacks zu behaupten, bleibt es wichtig, geschichtliche Erfahrungen der Solidarität, aber auch ihrer Bedrohung und ihres Scheiterns, präsent zu halten. Insbesondere die Auseinandersetzung mit der NS-Herrschaft erweist sich dabei als unverzichtbar. In der Gesprächsrunde sollen Ereignisse und Vorgänge sowie Hintergründe gesammelt und diskutiert werden, die als Grundlagen für eine Handreichung in aktuellen politischen Auseinandersetzungen dienen können. Die Arbeit soll im Rahmen einer sLAG-Arbeitsgruppe ab Januar 2024 ihre Fortsetzung finden. Entstehen soll neben textlichen auch audio-visuelle Formate zur Nutzung in der politisch-historischen Bildungsarbeit.

III / „#histotok – Erinnern an Nationalsozialismus und Holocaust auf TikTok?“
Input und Moderation: Anja Neubert (Universität Leipzig, Historisches Seminar, Lehreinheit Geschichtsdidaktik)
In der Arbeitsgruppe wird die Plattform TikTok und beispielhafte Projekte und Initiativen zum Thema Nationalsozialismus und Holocaust in den Blick genommen. Neben dem Kennenlernen grundlegender Funktionsweisen sollen insbesondere Praktiken des digitalen Erinnerns sowie Chancen und Herausforderungen historisch-politischer Bildungsarbeit im Mittelpunkt stehen. Es sind keine Vorkenntnisse und eigene Accounts erforderlich, vielmehr möchte die Arbeitsgruppe Gelegenheit bieten, sich explorativ und im Sinne entdeckenden Lernens mit dem Medium TikTok auseinanderzusetzen und gemeinsam zu diskutieren.

IV / „Antiziganistisches 'Wissen' als Produkt und Argument behördlicher Praxis – Quellenbasierte/ quellenkritische Diskussion“
Input und Moderation: Alexander Rode (Fachnetzwerk Antiziganismus/Antiromaismus bei Weiterdenken e.V. – Heinrich Böll Stiftung Sachsen)

Stereotype über das „Anders-“ oder „So-Sein“ von Sinti:zze und Rom:nja leitete vor, während und nach dem NS behördliches Handeln. Durch Restriktionen und strukturelle Diskriminierung produzierten viele kommunale Behörden aber gerade erst die Figur des „asozialen Anderen“. In der Arbeitsgruppe werden die historischen Ursprünge antiziganistischen „Wissens“ und die bis heute nachwirkenden Kontinuitäten der Diskriminierung diskutiert. Diskutiert wird auch die Frage, wie die eigentliche Dynamik der historischen Marginalisierungsprozesse – das Handeln lokaler Behörden und deren Akteurinnen – heutigen Diskriminierungserfahrungen von Sinti:zze und Rom:nja gleicht.

15:30 Uhr Kaffeepause

16:00 Uhr Fishbowl
„Herausforderungen und Perspektiven einer demokratischen Erinnerungskultur“

17:00 Uhr Ende

Tagesmoderation: Solvejg Höppner (Kultubüro Sachen e.V., sLAG)

Kontakt

info@slag-aus-ns.de.
www.slag-aus-ns.de

https://slag-aus-ns.de/termine/erinnerungspolitischer-fachtag-2023/
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