Der Workshop untersucht in historischer Perspektive durch Tierzucht erzeugte rassifizierte Praktiken, die sowohl Tiere als auch Menschen trafen, indem sie deren Fähigkeiten und Leistungen kategorisierten, qualifizierten und quantifizierten. Hunde, Pferde und andere Spezies dienten als essentialisierte Marker für die Vorstellungen von „reinem Blut“ und der Verbindung zur „Heimat“, nicht nur während der Zeit des Nationalsozialismus. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts, dem Jahrhundert, in dem die Tierzucht institutionalisiert wurde, fanden nationalistische Bestrebungen zunehmend eine Grundlage in den in der Tierwelt scheinbar beobachtbaren Verbesserungen durch rigorose Selektion. Insbesondere die Eugenik-Bewegung, die im frühen 20. Jahrhundert an Bedeutung gewann, basierte auf der Überzeugung, dass die menschliche „Rasse“ durch selektive Zucht verbessert werden könnte. Die Eugenik zielte darauf ab, die Fortpflanzung von Personen mit wünschenswerten Eigenschaften zu fördern, während sie die von Personen mit wahrgenommenen unerwünschten Eigenschaften unterdrückte oder verhinderte.
Die Verbindung zwischen (politischem) Rassismus und Zucht wurde erstmals 1992 von Enrique Ucelay da Cal thematisiert. Er zeigte auf, wie Genealogien verwendet wurden, um spezifische Tierarten zu schaffen, die dann mit einem bestimmten Ort in Verbindung gebracht werden sollten. Das Züchten angeblich „überlegener" Tiere zur Kontrolle angeblich „minderwertiger", als rassifiziert markierter Menschen, so da Cal, umfasst eine „absichtliche Verschleierung der Grenzen zwischen Mensch und Tier“ 1. Das rassifizierte/rassistische Paradigma war mit einer Vorstellung von Fähigkeit und Leistung verknüpft, die auch das „Andere“, das „Ausschließbare“, mit konstruierte.
Der Workshop möchte da Cals Analysen aufgreifen und erweitern, indem er theoretische Konzepte der historischen Tierstudien, der Geschlechterforschung, der Critical Race Studies sowie Ansätze aus der Wissenschafts-, Ideen- und Körpergeschichte nutzt. Er fragt danach, wie materiell-semiotische Knotenpunkte, die bestimmen, wie die Grenzen (zum Beispiel zwischen Mensch und Tier, aber auch zwischen „Rasse“ und „Breed“) durch soziale und körperliche Interaktionen gezogen und mit Bedeutung versehen werden. Die Zucht „überlegener“ Tiere wird im Workshop als performatives Werkzeug betrachtet, durch das semiotische Projektionen rassifizierter Unterschiede verfestigt und verkörpert wurden. Diese intersektionale Perspektive fragt danach, wie verschiedene Formen von Vorurteilen und Diskriminierung sich überschnitten und letztendlich die Erfahrungen und die Leben sowohl von Tieren als auch von marginalisierten menschlichen Gemeinschaften beeinflusst haben.
Des Weiteren wurde zuletzt in der englischen Sprache der Begriff „Breedism“ eingeführt, um Diskriminierung oder Vorurteile gegenüber bestimmten „Rassen“ oder Linien von Tieren, insbesondere Hunden, aufgrund gewisser Stereotype zu bezeichnen. Bestimmte „Rassen“ wie Pit Bulls, Rottweiler oder Dobermann Pinscher werden, oft aufgrund negativer Darstellungen in den Medien oder Annahmen über ihre Aggressivität, stigmatisiert. Rasse-spezifische Gesetzgebung, die den Besitz bestimmter „Rassen“ verbietet oder einschränkt, ist das Ergebnis einer solchen Stigmatisierung. Häufig richtet sich diese Gesetzgebung auch gegen die Besitzer:innen, die dann ebenfalls Ziel rassifizierter Vorurteile sind. Für Historiker:innen scheint es jedoch notwendig zu sein, die Tragfähigkeit von „Breedism“ im Hinblick auf vergangene Mensch-Tier-Beziehungen zu überprüfen.
Daher möchte der Workshop Forscher:innen zusammenbringen, die die Beziehung zwischen Tierzucht und Rassismus von 1800 bis zur Gegenwart aus verschiedenen räumlichen und zeitlichen Perspektiven untersuchen. Wir laden dafür Forscher:innen unterschiedlicher akademischer Hintergründe und Karrierestufen ein, 20-minütige Vorträge zu halten, die in einem Kolloquium diskutiert werden. Die Konferenzsprache wird Englisch sein. Die Ergebnisse dieses Workshops werden in der Schriftenreihe des Historischen Kollegs (https://www.degruyter.com/serial/shk-b/html) auf Deutsch veröffentlicht. Zur Teilnahme senden Sie bitte bis zum 15. Dezember 2023 ein einseitiges Abstract an Mieke Roscher (mieke.roscher@historischeskolleg.de) und Elisabeth Hüls (elisabeth.huels@historischeskolleg.de). Sie werden in der zweiten Woche des Januars 2024 darüber informiert, ob Ihr Vorschlag angenommen wurde.
Es stehen begrenzte Mittel für Reise- und Unterbringungskosten zur Verfügung, falls erforderlich.
1 Da Cal, Enrique Ucelay. 1992. “The Influence of Animal Breeding on Political Racism.” History of European Ideas 15 (4–6): 717–25.