Wir verstehen Formen des profit-taking dabei als eine Nutzung bestehender rechtlicher und politischer Strukturen und Mechanismen für individuelle Vorteile. Bezeichnet sind hiermit folglich in der Regel Figuren des/der Dritten, die sich unaufgefordert in rechtliche und politische Zusammenhänge einschalten, um daraus individuelle Vorteile („profits“) zu ziehen. Diese Einschaltungen Dritter können staatlicherseits akzeptiert sein, in manchen Kontexten gar ausdrücklich erwünscht, besitzen aber zugleich das Potential, den normativen Sinn jener Strukturen partiell zu unterlaufen, in ihrer Wirkung also subversiv zu sein. Methodisch lässt sich solches Handeln unter anderem mit Alf Lüdtkes Konzept des „Eigensinns“ umschreiben, da es dies erlaubt, die strukturelle Ambivalenz von Formen des profit-taking für Herrschafts- und Rechtszusammenhänge gezielt in den Blick zu nehmen. Dadurch wird profit-taking als eine Handlungsform eigenen Rechts verständlich, die jenseits der Dichotomie von Gehorsam oder Widerstand operiert, da sie auf individueller Ebene beispielsweise auf finanzielle Vorteile, Zugang zu sozialen Räumen, Netzwerken und Einflussmöglichkeiten zielt. Mögliche Beispiele umfassen einerseits Momente einer gezielten Delegierung staatlicher Aufgaben bzw. herrschaftlicher Funktionen, etwa in der Form des contracting/out-sourcing, der Steuerpacht, der Denunziation oder des thief-taking. Gemeint sind aber andererseits auch solche Konstellationen, in denen die Öffnung solcher Profiträume erst durch Defizite oder Schwächen von Staatlichkeit und Herrschaft entsteht, bspw. beim whistleblowing oder common informing (sog. qui tam actions), bei der nachrichtendienstlichen oder polizeilichen Nutzung von V-Leuten, beim private policing oder im Kontext von Lobbyismus.
Mögliche Zugänge und Fragestellungen des Workshops umfassen:
(1) Praktiken von profit-taking: Wer tritt in welchen Kontexten als profit-taker in Erscheinung? Welche Rolle spielen dabei Geschlecht und soziale Klasse für Partizipationschancen? Lassen sich Aussagen über ihre Motive treffen? Welche (rechtlichen, wirtschaftlichen, sozialen) Chancen und Risiken sind mit profit-taking verbunden? Welche Aushandlungsprozesse prägen solche Dynamiken?
(2) Herrschaftsträger und profit-taking: Welche Funktion erfüllen profit-takers zum Beispiel im Rechtssystem oder in Staatsbildungsprozessen? Was für Mechanismen wurden geschaffen, um profit-taking zu steuern? Welche stabilisierenden und/oder subversiven Wirkungen lassen sich aus Form des profit-taking ableiten?
(3) Rezeption und Wahrnehmung von profit-taking: Wie wurden und werden profit-taking und die soziale Figur des profit-takers diskutiert und bewertet? Wurden Unterscheidungen zwischen den Praktiken und der sozialen Figur getroffen? Wie speiste sich profit-taking möglicherweise in Diskurse um Staatlichkeit und Partizipation ein?
Interessenten senden bitte ein kurzes Abstract (ca. 300 Wörter) und einen knappen Lebenslauf bis zum 31.01.2024 an Nina Opgen-Rhein (n.opgen@lmu.de) und Christine Gerwin (c.gerwin@lmu.de). Reisekosten eingeladener TeilnehmerInnen werden voraussichtlich erstattet.