Der Streit unter „Schwestern“ ist nicht neu. Alle emanzipativen Bewegungen kannten und kennen Auseinandersetzungen über die richtigen Ziele, Strategien, Bündnispartner:innen und Publikationsformen – so auch die feministischen. Gestritten wurde auf der jeweiligen lokalen, regionalen, nationalen und internationalen Ebene – aber es wurde auch nach Kompromissen und Lösungen gesucht.
Gegenwärtig erleben wir unter Feministinnen oft harte und unversöhnliche Debatten – sei es um identitätspolitische Positionen, den Umgang mit Transpersonen, das Verbot der Prostitution oder zwischen den Generationen um Deutungshoheit usw. Zugleich stellt eine wachsende Gegenbewegung die erreichten feministischen, gesellschaftspolitischen und rechtlichen Positionen grundsätzlich infrage – in Deutschland, in Europa und auch in den USA.
Oft wird „Streit“ einseitig mit Uneinigkeit assoziiert. Diesem Begriffsverständnis steht ein konstruktiver Streitbegriff entgegen, der – in feministischer Tradition – als offene und konsensorientierte Auseinandersetzung verstanden wird.
Für ein „Gedächtnis der Konflikte“
Gerade die Geschichtswissenschaft, die Historie der Frauenbewegungen und die Geschlechtergeschichte ermöglichen es uns, die Gewordenheit der Gegenwart zu beleuchten und vorgebliche Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen.
Einen Vorschlag Susanne Maurers aufgreifend, wollen wir nach Kontroversen sowie Kompromissstrategien als Beitrag zur Frauenbewegungsgeschichte suchen und damit zu einem „Gedächtnis der Konflikte“ beitragen. Die Analyse von Konflikten in Frauenbewegungen begreifen wir zugleich als Baustein für eine selbstreflexive Geschichtsschreibung, für die jüngst Sylvia Schraut und Angelika Schaser plädierten.
… und: Für eine „Geschichte des Fragens“
Geschichtliche Erkenntnisse erlauben es, Vorschläge für die Gestaltung der Zukunft zu entwickeln. In diesem Sinn fragen wir nicht nur: Welche Forderungen und welche Formen prägten den Streit unter “Schwestern“? – sondern wir fragen weiter: Inwiefern können wir aus den Geschichten über das Wie, Warum und Wo feministischer Streitigkeiten für heutige Auseinandersetzungen lernen?
Für unsere Tagung suchen wir folglich nach Erzählungen und Analysen von innerfeministischen Kontroversen seit ca. 1800 bis heute, ausgehend von drei – einander überlappenden – Oberthemen
- Inhalte & Themen, Ziele
- Räume, Infrastrukturen & Praktiken
- Streitbeendigungen, Lösungen & Konsequenzen
Wir freuen uns auf vielfältige und methodisch durchaus unterschiedliche Beiträge, die wir gemeinsam analysieren und diskutieren wollen.
Mögliche Fragestellungen für Beiträge lauten:
- Was galt als Streit – was lesen wir als Streit?
- Wie erfuhren die Akteur:innen von innerfeministischen Auseinandersetzungen und wie gingen sie damit um? Wozu und wie wurde gestritten? Mit welchen Konsequenzen?
- Inwiefern bildeten feministische Akteur:innen Infrastrukturen aus bzw. inwiefern werden (und wurden) historiographische oder epistemologische Konflikte tradiert?
- In welchen Räumen (Teilöffentlichkeiten) wurden Konflikte wie sichtbar (geführt)?
- Welche feministischen Positionierungen und Verhaltensweisen führten zu Streit? Kam es zu Kompromissen, Solidarisierungen und (demonstrativen?) Abgrenzungen?
- Welche Kontexte und Machtverhältnisse bedingten welches streitbare Aufbegehren samt entsprechender Praktiken im sozialen Handeln? Mit welchen Konsequenzen für die Teilhabenden?
- Nach welchen Spielregeln wurde gestritten? Welchem Wandel entlang welcher Zäsuren unterlagen diese? (Wer durfte wann wie Streit auslösen und wer tat es?) Wie und warum wurden Streitigkeiten beigelegt?
- Welche Streitkulturen gab es zwischen Generationen?
Organisatorisches
Die Tagung findet vom 27. bis 29. September 2024 in Bad Urach statt.
Wir freuen uns auf Abstracts (max. 300 Wörter) bis zum 15. März 2024.
Geplant sind Beiträge von 30 Minuten Dauer mit anschließender Diskussion.
Ein Tagungsband ist vorgesehen.
Die Konferenzsprache ist deutsch. Englischsprachige Beiträge sind möglich.
Die Veranstaltung wird organisiert von Frauen & Geschichte Baden-Württemberg e. V. in Zusammenarbeit mit der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg.
Kosten für Reise, Unterkunft und Verpflegung der Referent:innen übernehmen die Veranstalter:innen.
Rückfragen bitte an konferenz2024@frauen-und-geschichte.de. Weiterführende Informationen gibt es unter „Aktuelles“ auf https://frauen-und-geschichte.de/website.php.
Literatur:
1 Seyla Benhabib/Judith Butler/Drucilla Cornell/Nancy Fraser (1993): Der Streit um die Differenz, Frankfurt a.M.
2 Susanne Maurer (2015): Wir erforschen, was sich bewegt!; in Ariadne. Forum für Frauen- und Geschlechtergeschichte 67 – 68, Hier S. 23 Sp 1.
3 Angelika Schaser/Sylvia Schraut (2019): Einleitung. Die (fehlende) Historiographie zu den Frauenbewegungen in Europa, in: dies./dies./Petra Steymans-Kurz (Hg.): Erinnern, vergessen, umdeuten? Europäische Frauenbewegungen im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt/New York, S. 7-21.