In Zusammenarbeit mit dem Centre Marc Bloch
Rechte ersinnen, fordern, geltend machen, gewähren, verwehren oder bestreiten: Das Recht als Sprache der Macht ist ein Schlüssel zur Verteilung knapper sozialer Ressourcen (in materieller, symbolischer und Status-Hinsicht). Es scheint die Gesellschaft in diejenigen zu spalten, die "alle Rechte haben", und diejenigen, die nur "das Recht haben wollen, Rechte zu haben", um Hannah Arendts berühmte Formulierung zu verwenden. "Rechte haben" bedeutet, dass der Zugang zu einer Ressource oder Freiheit nicht als Gnade, Gunst oder Toleranz - die immer wieder entzogen werden können - garantiert wird, sondern als eine Art und Weise der gegenseitigen Verpflichtung. Aufgrund seiner vielfältigen Bedeutung durchdringt dieses Konzept sowohl kulturelle, philosophische und literarische Werke als auch die Strategien von Aktivisten oder den Alltag derjeniger, die ihre Rechte durchsetzen wollen.
Das Recht drückt soziale Entwicklungen und Machtverhältnisse innerhalb von Gesellschaften aus und kann dazu beitragen, sie zu verändern: Wie kann man die Entwicklung von Rechten erfassen, indem man sie mit ihrem sozialen Kontext verknüpft? In den letzten Jahren haben sich die Forderungen, die in Form von Rechten formuliert wurden, vervielfacht und neu erfunden, man denke nur an die "Ehe für alle" oder die Umweltrechte.
Heute sind auch die „Prolife“-Bewegung oder fremdenfeindliche Bewegungen Formen der Einschränkung von Rechten, die bestimmten Gruppen zugestanden werden. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit gibt es zahlreiche Beispiele für wiederkehrende Kämpfe um "Rechte", von der Bürgerrechtsbewegung bis zu den Suffragetten, von militanten oder philanthropischen Bewegungen zur Verteidigung von Arbeiterrechten bis zu Mobilisierungen kolonisierter oder "autochthoner" Bevölkerungsgruppen. In der Vergangenheit zeigen die Rechte der Armen im Mittelalter oder die verschiedenen Formen des Kampfes gegen Privilegien oder gegen die Übergriffe der Mächtigen auf traditionelle Rechte, wie wichtig diese Waffe des Rechts ist. Im Übrigen zeigt der Blick in die Geschichte nicht die lineare Entwicklung einer immerwährenden Ausweitung der Rechte: Die Prohibition in den Vereinigten Staaten oder die Eugenik in ihrem Bestreben, den Zugang zur Fortpflanzung für als minderwertig angesehene Gruppen zu beschränken, sind historische Momente, an denen Rechte wieder zurückgenommen wurden.
Die Sommerschule soll das "Recht" in all seinen Facetten und aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchten: dem der Juristen, aber auch dem der Philosophie, die neue Bereiche der Rechte erforscht, oder dem der Geschichte, der Soziologie oder der Politikwissenschaft, die die Entstehung und Umsetzung von Rechten analysieren, oder auch dem der Literaturwissenschaft, wo das (verleugnete, imaginierte) Recht fast wie eine Figur auftreten kann.
Wir werden uns mit den Wegen der Rechte beschäftigen, von ihren Forderungen (die in fiktionalen und künstlerischen Werken ebenso wie in wissenschaftlichen, journalistischen oder politischen Texten auftauchen können) und ihrer Verteidigung durch Akteure sozialer Mobilisierungen bis hin zu ihrer "Übernahme" durch Beamte, die dafür sorgen, dass diese Rechte im Alltag existieren.
Aus der Vielfalt der möglichen Felder werden für die Sommerschule drei Schwerpunkte vorgeschlagen:
Schwerpunkt 1 - Rechte einfordern
Hier geht es darum, wie Rechte hergestellt werden und wie neue Rechte auf die politische Agenda gesetzt werden. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei den Unternehmern und Trägern von Anliegen und den Prozessen, durch die diese Anliegen in Rechte umgewandelt werden. Es soll untersucht werden, wie Menschen, denen die von ihnen beanspruchten Rechte vorenthalten werden, ihren Anliegen zum Durchbruch verhelfen. Ein Thema können auch die "Utopien" der Juristen sein, d. h. die neuen Rechte, die auf Symposien oder in wissenschaftlichen Abhandlungen gefordert werden, und und die Art und Weise, wie sie mit sozialen Mobilisierungen verbunden sind (oder nicht) (z. B. die Tierphilosophie in den 1970er Jahren oder das "universelle Einkommen" seit den 1980er Jahren).
Schwerpunkt 2 - Forderungen durch das Recht stellen
Wir werden uns mit dem Recht als Form der Protestaktion beschäftigen und dabei insbesondere auf die Veränderungen der Aktionsrepertoires eingehen, wobei - für die jüngste Zeit - die Professionalisierung dieser Bewegungen im Vordergrund steht, die sich der Verrechtlichung einer Sache bedienen können (z. B. die Verurteilung des Staates wegen ökologischer Vergehen) oder die auf Advocacy zurückgreifen (um auf die Bildung von Normen einzuwirken).
Schwerpunkt 3 - (Un-)Gleichheit von Rechten zeigen
Eine dritte Dimension, die sich aus den beiden vorhergehenden ergibt, befasst sich mit der Art und Weise, wie diese Forderungen nach neuen Rechten durch plastische, literarische, filmische oder musikalische Kreationen in Szene gesetzt und in Worte gefasst werden. Die Darstellung von Rechten oder angeprangerten Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten in Objekten und Bildern sowie die mediale Vermittlung von Anliegen werden auch in ihrem historischen Kontext neu verortet, von Zolas "J'accuse" bis zu Greta Thunbergs "How dare you?", von Abbé Pierres eindringlichem Radioaufruf für das Recht auf Wohnen bis zu den Schockvideos der antispeziesistischen Tierrechtsbewegungen.
Die Sommerschule soll Instrumente zur Analyse der Art und Weise, wie Recht gemacht wird, bereitstellen, die einen interdisziplinären Dialog fördern können. Sie wird die Entstehung von Rechten in einem Austausch mit Rechtsexperten aus zahlreichen Ländern (Deutschland, Kanada, Frankreich, Italien) analysieren. Sie wird verschiedene pädagogische Formate (Präsentationen, Austausch, Mentoring, Vorbereitung von Podcast-Episoden oder Ausstellungen) einsetzen, um den Austausch und die Vertiefung des Themas zu erleichtern.
SCHWERPUNKTE
- Vielfältige Konzepte und Forschungsansätze zu einem gemeinsamen Thema entdecken
- Erproben kollektiver Arbeitsweisen in einem interdisziplinären und deutsch-französischen Rahmen
- Austausch unter Nachwuchsforschenden und mit dem Betreuungsteam
ABLAUF
Erfahrene Forscher und Forscherinnen, die verschiedene Disziplinen vertreten, werden Vorträge halten und für persönliche Tutorensitzungen zur Verfügung stehen. Junge Forscherinnen und Forscher (vom Master bis zum Postdoktoranden) werden gebeten, ihre Forschung kurz vorzustellen. Die Originalität dieser Sommerschule liegt in der Zeit, die für explorative Gruppenarbeiten reserviert ist, die auf die Erarbeitung transversaler Überlegungen und die gemeinsame Erfindung origineller und kollektiver Darstellungsformen bei der Abschlusssitzung (Podcast-Episode, Video, Ausstellungsprojekt usw.) abzielen.
TEILNAHMEBEDINGUNGEN
- Die Arbeitssprachen sind Französisch und Deutsch. Die zumindest passive Beherrschung beider Sprachen wird vorausgesetzt.
- Die Bewerbenden verpflichten sich, an der gesamten Veranstaltung teilzunehmen. Sie erhalten eine Bescheinigung, mit der sie den Workshop gegebenenfalls als Leistungsnachweis an ihrer Universität anerkennen lassen können.
- Voraussetzung für Nachwuchsforschende, die an dieser Veranstaltung teilnehmen möchten, ist die vorherige Registrierung auf der Seite des CIERA für das laufende akademische Jahr.
- Interessierte können sich, auf der Webseite des CIERA (https://www.ciera.fr/de/manifestation/21318) mit einem Klick auf "Bewerben" oben rechts anmelden. Die in einer PDF-Datei hochzuladenden Bewerbungsunterlagen enthalten einen wissenschaftlichen Lebenslauf (max. 2 Seiten), ein Motivationsschreiben (max. 1 Seite) sowie eine kurze Zusammenfassung des aktuellen Forschungsprojekts (max. 8000 Zeichen).
TEILNAHMEGEBÜHREN UND REISEKOSTEN
- Von den ausgewählten KandidatInnen wird ein Beitrag von 50€ verlangt.
- Die Unterkunft in der Moulin d'Andé (im Doppelzimmer) und die Mahlzeiten werden vom CIERA übernommen.
- Die Reisekosten werden bis zu einem Höchstbetrag von 150 € für Teilnehmer/innen aus Frankreich und 200 € für Teilnehmer/innen aus dem Ausland erstattet.
- Die Fahrt zwischen Paris und der Moulin d'Andé (Hin- und Rückfahrt) wird mit der gesamten Gruppe im Bus durchgeführt.
WISSENSCHAFTLICHES KOMITEE
Nathalie Faure (CIERA), Karim Fertikh (Université de Strasbourg/CIERA), Nicolas Hubé (Université de Lorraine/CIERA), Esther Möller (Centre Marc Bloch), Jay Rowell (Centre Marc Bloch), Marieke Louis (Centre Marc Bloch), Mathilde Darley (CNRS).