Nach Aussage des römischen Rechtsgelehrten Paulus dürfen Frauen keine öffentlichen Ämter bekleiden – freilich nicht wegen ihres mangelnden Urteilsvermögens, sondern einfach auf der Basis des mos maiorum. Dieser Ausschluss von der Macht ist nicht erst seit der römischen Zeit bekannt, und er bleibt auch heute noch sichtbar. Dies hat Frauen jedoch nicht daran gehindert, in verschiedenen Bereichen Autorität auszuüben, sei es in Begleitung eines Mannes oder allein. Wiewohl die Frauen- und Geschlechtergeschichte bereits verschiedene Formen weiblicher agency ans Licht gebracht hat, bedarf es weiterer Forschung, um das ganze Spektrum der Handlungsfähigkeit von Frauen innerhalb unterschiedlicher sozialer, politischer und religiöser Konfigurationen herauszuarbeiten. Die geplante Tagung will sich vor diesem Hintergrund den Konfigurationen weiblicher Autorität im spätantiken und frühmittelalterlichen lateinischen Europa widmen. Sie strebt an, Forschende aus dem französischsprachigen und deutschsprachigen Raum sowie aus den Teildisziplinen der Alten und Mittelalterlichen Geschichte ins Gespräch zu bringen.
Um Formen der ‚Autorität‘ genauer zu konturieren, erscheint es hilfreich, sich mit möglichen relevanten Konnotationen des Begriffs auseinanderzusetzen – nicht zuletzt da sie, wie man hinzufügen muss, im Deutschen und im Französischen durchaus unterschiedlich gelagert sind. Das Rechtslexikon Vocabulaire juridique definiert Autorität zunächst einmal als ‚die Befehlsgewalt, die Regierenden und bestimmten öffentlichen Bediensteten zusteht‘. Autorität erscheint somit als Form von Macht, die einer spezifischen, individuellen Amtsausübung zu Grunde liegt. Diese Macht kann einer Person aufgrund ihrer individuellen Persönlichkeit oder durch Erbfolge zugekommen sein, also etwa von Verwandten übertragen worden sein. Machtpositionen können auch von anderen Mächtigen verliehen oder mit Gewalt erlangt werden. Dementsprechend kann Macht viele Formen annehmen. Sie kann mit einem politischen, administrativen oder religiösen Amt verbunden sein, das die Ausübung bestimmter Amtsgewalt ermöglicht. Auch der Besitz von Vermögen und anderem wirtschaftlichem Kapital schlägt aber meist auf die Sicherung unterschiedlicher Machtpositionen durch. Solche Ressourcen können durch individuellen Aufstieg erworben werden, leiten sich aber häufig vom Status der eigenen Familie her, von deren gesellschaftlichem Rang und damit verbundenen Privilegien man profitiert. In der hier zitierten Definition verweist die Verwendung des Verbs ‚befehlen‘ zudem auf die Anwendung von Autorität auf Untergebene. Macht muss bekanntlich von anderen und von der Gesellschaft anerkannt werden, was zur Aushandlung von Machtverhältnissen sowie zur Etablierung von Rangordnungen führt.
Geht man, wie hier zitiert, von einer Autorität von ‚Regierenden‘ und ‚bestimmten öffentlichen Bediensteten‘ aus, wird zunächst postuliert, dass Autorität sich stets aus der Bekleidung eines öffentlichen Amts und dessen Ausübung herleiten muss. In diesem Rahmen konnten Frauen in den hier relevanten Zeiträumen keine offizielle Regierungsposition innehaben. Freilich sehen wir dennoch Königinnen als Regentinnen im Namen ihrer minderjährigen Söhne Herrschaft ausüben. Ebenso interessant erscheint die Position von Äbtissinnen, die auf der Basis ihres geistlichen Amtes sowohl politische als auch spirituelle Autorität besaßen. Zudem muss betont werden, dass die öffentliche und die private Sphäre in Spätantike und frühem Mittelalter nicht strikt voneinander getrennt waren, sondern sich vielmehr auf komplexe Weise durchdrangen.
In einem weiteren Schritt der Auseinandersetzung mit der oben angeführten Definition kann man anführen, dass Autorität auf ein ‚mit dieser Macht ausgestattete[s] Organ‘ bezogen wird. Die Erwähnung eines ‚Organs‘ oder einer ‚Instanz‘ betont die Kollektivität. Zwar können einzelne Personen allein Autorität ausüben – aber sie können sie auch mit anderen teilen. Dies kann auf hierarchische Weise geschehen, wie im Fall vieler Verwaltungen, aber auch in horizontal strukturierten Gemeinschaften. In den Quellen wird die elterliche Sorge manchmal auf diese Weise dargestellt. In Rechtskontexten wird etwa der Wille oder die Zustimmung der Eltern angesprochen, was eine Position mütterlicher Autorität impliziert (wenn auch die Realität davon oft abweicht und dem Vater die letzte Entscheidungsgewalt überlässt). Schließlich kann Autorität auch ein ‚Wert [sein], der mit bestimmten Handlungen verbunden ist‘. Autorität rührt also nicht nur aus spezifischen Positionen, sondern kann in konkreten Situationen durch Performanz und Gesten sichtbar gemacht werden. Der Begriff des ‚Werts‘ oder der ‚Wertigkeit‘ verweist dabei auf die persönliche Ausübung von Autorität, die in bestimmter Weise wahrgenommen und legitimiert wird.
Es erscheint insofern produktiv, nicht allgemein nach schwer definierbaren Formen von Macht, sondern spezifischer nach Konfigurationen der ‚Autorität‘ von Frauen zu fragen. Das hier vorgeschlagene Verständnis des Begriffs der ‚Autorität‘ bezieht sich dabei bewusst auf Relationen des Gehorsams, die an konkrete Machtpositionen gekoppelt sind. Die Pluralisierung des Autoritätskonzepts, die im Deutschen in eine Frage nach ‚Konfigurationen‘ der Autorität übersetzt wird, wird ebenfalls bewusst gesetzt. Sie will die Vielfalt möglicher Konstellationen auf der Ebene der Form, der Mittel, der Darstellungen usw. hervorheben.
Tatsächlich erscheint die Heterogenität des Autoritätsbegriffs im Deutschen noch etwas ausgeprägter, da Autorität mit einer ganzen Reihe von Begriffen beschrieben werden kann. Das Konzept der ‚Autorität‘ selbst ist dabei sehr allgemein und wird in seiner Realität durch verschiedene zusätzliche Begriffe konkretisiert, etwa die ‚Behörde‘, die ‚Macht‘, die ‚Herrschaft‘, das ‚Ansehen‘, die ‚Maßgeblichkeit‘ usw. Diese Überlegungen lassen sich auch auf das Lateinische als wichtigste Quellensprache übertragen. Insbesondere lassen sich die Begriffe auctoritas, imperium, potentia, potestas, regnum usw. nennen. Als Frage erscheint, wie dieses Vokabular mit den Situationen der in den Quellen beschriebenen Frauen in Verbindung zu bringen ist.
Die zweitägige Tagung lädt dazu ein, verschiedene Konfigurationen und Dynamiken der Autorität von Frauen im besonderen Kontext der Spätantike und des Frühmittelalters zu beleuchten. Damit sollen gezielt die Kontinuitäten und Transformationen dieser zwei traditionell voneinander abgesetzten Zeiträume in den Blick genommen werden. Tatsächlich sind bereits einige Aspekte von Transformationen wie von ausgeprägten Kontinuitäten über lange Zeiträume hinweg aufgezeigt worden. Die ‚barbarischen‘ Königreiche, die sich im Rahmen der ‚Transformation der römischen Welt‘ bildeten, stellten sich ja mehr oder weniger selbstbewusst als Erben des Römischen Reiches dar und übernahmen Merkmale der römischen Welt wie Verwaltung, Gesetzgebung und Religion. Dennoch formierten sich neue Eliten mit einer eigenen Kultur, die sie mit der ihrer Vorgänger zu verschmelzen oder ihr überzuordnen versuchten, was in einigen Fällen auch gelang. Sowohl beim Aufstieg dieser neuen gesellschaftlich dominanten Gruppen wie bei ihrem Machterhalt kam Frauen eine wesentliche Rolle zu.
Vor diesem Hintergrund lädt die Tagung ein, sich auf die folgenden Schwerpunkte und Fragen zu konzentrieren:
- Ausprägungen der Ausübung von Macht und Autorität von Frauen. Wie behaupteten weibliche Personen ihre Autorität? Der Blick auf den politischen Bereich scheint am naheliegendsten, sei es auf lokaler, aber auch auf höherer politischer Ebene, besonders im Fall der Herrscherinnen. Doch auch der religiöse und der familiäre Bereich nehmen einen wichtigen Platz ein, der ebenso wie der Bereich der Wirtschaft nicht vernachlässigt werden sollte. Personen mit kaiserlicher und königlicher Autorität sind so die am besten sichtbaren, aber keineswegs die einzigen Inhaberinnen von Autorität. Auch die Frauen der Elite besetzten bestimmte Positionen. Insbesondere wäre zu fragen, inwiefern sich die weibliche Autorität im Kontext der dynamischen Abgrenzung der öffentlichen und privaten Sphäre entfalten konnte. Denkbar sind in allen diesen Bereichen sowohl Fallstudien als auch vergleichende Überlegungen.
- Beziehungen zwischen Männern und Frauen. Die Untersuchung der Konfigurationen weiblicher Autorität kann in patriarchalischen Gesellschaften, in denen die Macht von Männern ausgeübt wird, nicht ohne die Berücksichtigung der Geschlechterfrage durchgeführt werden. Übten Frauen etwa als Teil von Gruppen und Kollektiven Autorität aus? Verfügten Frauen über die gleichen Ressourcen wie Männer? Oder verfügten sie über bestimmte Werkzeuge, die ihnen eigen waren? Unterlagen sie bei der Durchsetzung ihrer Macht bestimmten einschränkenden Erwartungen? Gelang es ihnen, diese zu überwinden – und wenn ja, mit welchen Mitteln? Die Repräsentativität der Macht könnte dabei auch durch archäologische oder ikonografische Ansätze thematisiert werden.
- Quellenproblematiken. Unerlässlich erscheint auch, sich mit den Perspektiven von Quellen auseinanderzusetzen, die fast ausschließlich von Männern verfasst wurden. Wie wurden entsprechende Konfigurationen von antiken und frühmittelalterlichen Autoren beschrieben und wahrgenommen? Lassen sich übergreifende Tendenzen feststellen oder sind bestimmte Wahrnehmungen autorenspezifisch?
Die Veranstaltung richtet sich vorrangig, aber nicht ausschließlich, an junge Forscherinnen und Forscher (Doktorandinnen und Doktoranden sowie Postdoktorandinnen und Postdoktoranden). Die Arbeitssprachen werden hauptsächlich Deutsch und Französisch sein.
Die Tagung findet an der Goethe-Universität Frankfurt am Main in Deutschland am 14.–15. November 2024 statt. Die Kosten für Transport und Unterkunft (üblicherweise 1 Nacht) werden (unter der Bedingung der Finanzierungszusage) von den ausrichtenden Institutionen übernommen.
Bitte richten Sie Vorschläge für Vorträge von c. 30 Minuten bis zum 8. März 2024 an Manon Raynal (manon.raynal@univ-lorraine.fr). Abstracts können auf Deutsch oder Französisch eingereicht werden und sollten nicht mehr als 500 Wörter umfassen. Bitte fügen Sie einen Lebenslauf mit Angaben zu eventuellen Veröffentlichungen und Sprachkenntnissen bei. Ein wissenschaftliches Komitee wird bei der Auswahl der Vorschläge mitwirken. Die Zusagen werden bis zum 15. März 2024 versandt.