Intersektionale Ansätze sind als ,traveling theory‘ auch in der deutschsprachigen Mediävistik keine Seltenheit mehr: Intersektionalität kann dabei nicht nur als soziale Gegebenheit auch in der Zeit ,vor 1500‘ gelten; sie beschreibt auch den ,modernen‘ analytischen Zugriff auf sie – und verfolgt daher nicht zuletzt den Anspruch, die gewonnenen Erkenntnisse in die akademische Lehre zu implementieren, Studierende so für die Komplexität von Ungerechtigkeitsmechanismen und -konstruktionen zu sensibilisieren und dadurch schließlich zu deren Abbau beizutragen. Und dennoch: Gerade in historisch weißen Disziplinen wie der (deutschsprachigen, v.a. geschichtswissenschaftlichen) Mediävistik ist das Intersektionalitätsparadigma, so scheint es, weiterhin nicht mehr als eine bloße Option – und kein fester Bestandteil des fachinternen State of the Art.
Dabei ist schon lange bekannt, dass Quellen ohnehin nicht ,aus sich selbst heraus‘ sprechen, sondern einer doppelten Subjektivität der:s ursprünglichen Verfasser:in einerseits und der:s jeweiligen Forscher:in andererseits unterliegen. Da wir als Historiker:innen den Aussagewert von Quellen durch unsere – eurozentrisch geprägten – Narrative und Deutungen somit wesentlich mitbestimmen, können wir auch keine neutrale Haltung zu einzelnen Aspekten und (historisierten) Kategorien sozialer Ungleichheit einnehmen. Wie kann es also sein, dass sich gerade der geschichtswissenschaftliche Zweig der Mediävistik mehrheitlich so träge gegenüber aktuellen Theorieangeboten zeigt oder aber – anders kritisch gewendet – eben nicht sofort auf jeden Trend aufspringen will? Wie kann Intersektionalität mehr sein als eine kritische Linse, durch die weiße europäische Mediävist:innen Vergangenheitsgesellschaften betrachten können? Wie können sie dazu beitragen, intersektionale Belange historisch zu diskutieren, ohne sie als wissenschaftliche Ressourcen einseitig zu vereinnahmen und ihre gesellschaftspolitische Dimension auszublenden? Und wie lassen sich so womöglich neue Kommunikationswege gestalten und organisieren, die eine gleichberechtigte Repräsentation und Beteiligung in der Wissenschaft ermöglicht?
Diese und andere Fragen möchten wir im Rahmen der Round Table Discussion ,Let’s Get Uncomfortable! Doing Intersectionality‘ auf dem diesjährigen International Medieval Congress (IMC) diskutieren (https://imc-leeds.confex.com/imc/2024/prelim.cgi/Session/5414): Wie müssen wir die Art und Weise, wie wir forschen und lehren, neu (über)denken? Welche eingeschliffenen und normalisierten Deutungshaltungen müssen wir verlernen lernen? Da eine Teilnahme am IMC aus verschiedensten Gründen nicht allen möglich ist, möchten wir mit diesem Call Kolleg:innen aller Statusgruppen – und dies schließt insbesondere Studierende mit ein –, aller mediävistischer Teildisziplinen sowie Vertreter:innen der Nachbarepochen dazu einladen, ihre Ansichten über Potentiale und Chancen sowie Herausforderungen und Vorbehalte intersektionaler Analysen in der Mediävistik vorab zuzusenden und so in die Round Table Discussion einzubringen.
Dazu können die folgenden Leitfragen zu Orientierung dienen: Wie sehr sehen Sie intersektionale Zusammenhänge in Ihrem derzeitigen Forschungs-, Lehr- und Studienalltag repräsentiert? Was bringt, was hat Ihnen eine Auseinandersetzung mit und Anwendung von intersektionalen Theorien gebracht? Wo sehen Sie v.a. im universitären Lehralltag Chancen, wo Schwierigkeiten in der Arbeit mit dem Intersektionalitätsparadigma? Verspricht deren Implementierung Ihrer Meinung nach einen langfristigen Mehrwert – oder handelt es sich dabei Ihrer Meinung lediglich um einen kurz- bis mittelfristigen Theorietrend?
Bitte senden Sie uns Ihr schriftlich ausformuliertes Statement (maximal 200 Zeichen) bis zum 20.05.2024 über Mentimeter (https://www.menti.com/alonqv8crha9, Code: 5166 44881⁎) zu. Die Einreichung kann – wenn gewünscht – auch anonym erfolgen. Sofern die Statements nicht von vornherein auf Englisch eingereicht worden sind, werden sie in einem zweiten Schritt von den Organisatorinnen ins Englische übersetzt.
Für Rückfragen stehen die Organisatorinnen gern zur Verfügung, bitte wenden Sie sich an Anja Rathmann-Lutz, Isabelle Schürch, Rike Szill oder Solveig Marie Wang.
⁎ Sollte sich der Code für Mentimeter aus technischen Gründen ändern, finden Sie den neuen Code auf den academia.edu-Seiten der Organisatorinnen sowie auf der Homepage des Brackweder Arbeitskreises (https://brackwederarbeitskreis.wordpress.com).