Umweltveränderungen und Migration sind nicht nur zwei bestimmende Phänomene der Gegenwart, sondern auch boomende Forschungsgegenstände der Geschichtswissenschaft. Die Historische Migrationsforschung und die Umweltgeschichte standen sich jedoch bis vor wenigen Jahren weitgehend unverbunden gegenüber, obwohl im Thema „Umweltmigration“ eine große Schnittmenge besteht. Der Forschungs- und Kenntnisstand – nicht nur in historischer, sondern auch gegenwärtiger Perspektive – ist daher wenig überraschend als ausbaufähig zu charakterisieren.
Die zentrale Herausforderung besteht in der Vielschichtigkeit und Vielgestaltigkeit der Umweltmigration und darin, sie als solche zu identifizieren. Sie tritt zum einen als Binnenmigration und grenzüberschreitende Bewegung in Erscheinung – dabei jedoch seltener in interkontinentaler Reichweite. Zum anderen können Umweltbedingungen und deren Wandel sowohl Push- als auch Pull-Faktoren in Migrationsprozessen sein, Netzwerke prägen und Kettenwanderungen ausbilden. Gleichzeitig kann Migration die Umwelt verändern. Zuletzt gestaltet sich eine klare Rückführung der Migrationsprozesse auf Umweltfaktoren diffizil. In der Regel treten umweltbedingte Migrationsursachen nämlich im Zusammenspiel mit politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Faktoren auf, wobei der Umwelt dabei häufig eine verstärkende Wirkung zugeschrieben werden kann. Wie die Historische Migrationsforschung herausgearbeitet hat, werden diese Prozesse und Kausalitäten in den Zuwanderungsräumen oftmals verallgemeinernd als „betterment migration“ wahrgenommen, also als Migration zur Verbesserung der Lebenslage – in den Ausgangsräume jedoch als „subsistence migration“.
Vor diesem Hintergrund soll die Tagung thematisieren, ob und inwieweit Umweltbedingungen als Faktoren im Migrationsprozess nachgewiesen werden können. Ziel ist es, die Perspektiven der Umwelt- und Migrationsgeschichte zusammenzubringen.
Wir interessieren uns sowohl für einzelne Fallstudien als auch Syntheseversuche zur Umweltmigration, schwerpunktmäßig für den Zeitraum vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Thematisiert werden können beispielsweise folgende Aspekte:
Migrationsmotive
- Anthropogene Umweltbedingungen als Push-Faktoren: Klimawandel, Desertifikation, Wassermangel, Übernutzung, land und ocean grabbing
- Umweltbedingungen als Pull-Faktor: klimatische Bedingungen, ökonomisch verwertbare Ressourcen, Wohlstandsmigration
- Desastermobilitäten
- Infrastrukturprojekte
- Krankheiten und Epidemien
Wege und Netzwerke
- Wandel der Migrationsrouten durch Umweltveränderungen
- Grenzüberschreitungen (sozioökonomisch, kulturell, staatlich)
- Auswirkungen der Migration auf die Umwelt: Festsetzung in Lagern, Einführung fremder Arten
Folgen und Reflexion umweltbedingter Migration
- Auswirkungen auf Herkunfts- und Zuwanderungsräume
- Motive und Selbstbilder der Migrant:innen
- Politische Debatten und Instrumentalisierung in aufnehmenden Ländern (Parteien, NGOs etc.)
- Mediale Aufbereitung und verhandelte Zukunftsszenarien
- Diskurse zu Verantwortlichkeiten, Restitutionsansprüchen und Umweltgerechtigkeit
- Entwicklungspolitik
Wir freuen uns über die Zusendung von Abstracts zu einem 20-minütigen Vortrag (max. 400 Wörter) und einer Kurzbiographie bis zum 30.06.2024 an tagungzg@mail.upb.de.
Explizit willkommen sind trans- und interdisziplinäre Ansätze sowie methodisch-theoretische Reflexionen.
Reise- und Unterkunftskosten werden übernommen.