Partizipation und Repräsentation – eine demokratische Liebesgeschichte?

Partizipation und Repräsentation – eine demokratische Liebesgeschichte?

Veranstalter
Archiv für Sozialgeschichte (Friedrich-Ebert-Stiftung)
Ausrichter
Friedrich-Ebert-Stiftung
Veranstaltungsort
Elisabeth-Selbert-Saal
PLZ
53175
Ort
Bonn
Land
Deutschland
Findet statt
In Präsenz
Vom - Bis
12.06.2024 - 14.06.2024
Deadline
05.06.2024
Von
Redaktion Archiv für Sozialgeschichte, Archiv der sozialen Demokratie, Friedrich-Ebert-Stiftung

Tagung des Archivs für Sozialgeschichte in Vorbereitung auf Band 65 (2025)

Partizipation und Repräsentation – eine demokratische Liebesgeschichte?

Moderne Demokratien kennzeichnet eine grundlegende Spannung: Sie versprechen einerseits, durch größtmögliche politische und soziale Teilhabe die Herrschaft »des Volkes«, also die Machtausübung der Vielen zu realisieren, und gründen darauf ihre Legitimität. Andererseits kommen sie, selbst wenn sie partizipatorischen Demokratieverständnissen verpflichtet sind, nicht umhin, die Herrschaft der Vielen an Repräsentant:innen, die für eine Gruppe oder eine Partei stehen, zu delegieren: Macht haben die Vielen dann nur bei der Wahl ihrer Vertreter:innen und bei Abstimmungen oder Referenden über konkrete politische Sachfragen. Das Repräsentativsystem ist deshalb immer wieder für seine Partizipationsdefizite kritisiert, wenn nicht gar verdammt worden. Das derzeit in mehreren Staaten, auch auf sub- und supranationaler Ebene laufende Experiment der (beratenden) Bürgerräte ist eine Reaktion auf das aktuelle Verlangen nach ergänzenden Mitspracheformen in der repräsentativen Demokratie. Darüber hinaus stellen außerparlamentarische Akteure seit einiger Zeit die Frage, wer eigentlich repräsentiert wird, wie es um die »Repräsentanz« gewisser Gruppen bestellt ist. Diese Frage ist in der Geschichte der Demokratie wiederum nicht neu, wird aber in den letzten 20 Jahren mit wachsender Intensität – auch beispielsweise unter der Perspektiven eines Vertrauensverlusts – diskutiert.
Wir möchten diese Bestandsaufnahme auch vor dem Hintergrund des 75. Jubiläums von Grundgesetz und Bundesrepublik zum Anlass nehmen, einmal systematisch nach dem (Spannungs-)Verhältnis zwischen beziehungsweise der Komplementarität von Repräsentation und Partizipation zu fragen. Welche Rolle spielten etwa soziale oder politische Proteste, also nichtrepräsentative Praktiken der Partizipation, für die Schaffung moderner demokratischer Repräsentationsformen? Wie spezifisch sind Legitimationsprobleme politischer Repräsentation für demokratische Systeme und ihr Partizipationsversprechen, vergleicht man sie mit Diktaturen, die autoritäre, plebiszitäre Formen der politischen Beteiligung der Vielen entwickelten? Wie lässt sich die Qualität von Repräsentationsbeziehungen in demokratisch verfassten Republiken konkret beschreiben und etwa von jener in (konstitutionellen) Monarchien abgrenzen? Wie unterschieden sich demokratische Repräsentationsbeziehungen je nach Zeit, Gebiet, ideologischer Ausrichtung und institutioneller Rahmung und welche spezifischen oder universalen Partizipationsverständnisse und -probleme gingen damit einher? Welche sozialen Schichten partizipierten in besonderem Maße, wer wurde ausgeschlossen, welche Bedeutung kam Geschlechterrollen und ethnischer Zugehörigkeit für die Entwicklung der demokratischen Partizipationsformen zu? Wie genau wurde eigentlich partizipiert (symbolisch, beratend, entscheidend) und wie repräsentiert? Wie war und ist Partizipation konkret durch Repräsentation beschränkt und begrenzt; welche Wandlungsprozesse lassen sich in dieser Hinsicht ausmachen? Und schließlich: Welche Repräsentationen – im kultursoziologischen Sinne – von Partizipation und politischer Vertretung, von »Volk« oder Parteibasis, von Vertreter:innen und politischem Führungspersonal prägen die Geschichte der Moderne? Die Fragen zielen nicht zuletzt darauf, die Historizität der Begriffe, Konzepte und Praktiken in modernen demokratischen Gesellschaften zu beleuchten.

Programm

Mittwoch, 12.6.2024
19:00-20:30 Uhr
Öffentliche Abendveranstaltung (in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte der Universität Bonn)
Universität Bonn, Hauptgebäude, Hörsaal XIV

Endet das demokratische Zeitalter? Repräsentation und Partizipation im 21. Jahrhundert
Impulsvortrag: Veith Selk, Darmstadt
Kommentar: Claudia Gatzka, Freiburg
anschließend Podiumsgespräch.
Moderation: Christine Krüger, Bonn

Donnerstag, 13.6.2024

09:30-10:00 Uhr
Begrüßung und Einführung in die Tagung
Philipp Kufferath, Bonn

Partizipation und Repräsentation – geschichtswissenschaftliche Zugänge und Fragen
Claudia Gatzka, Freiburg/Anja Kruke, Bonn

10:00-12:00 Uhr
Panel 1: Monarchien / Moderation: Ute Planert, Köln

»Rheinländische Politiker«. Partizipation und Repräsentation zwischen Anspruch und Wirklichkeit im frühen 19. Jahrhundert
Katharina Thielen, Saarbrücken/Bonn

Der »Kampf um die Geschworenengerichte« im Vormärz. Strategien bürgerlicher Partizipation und Repräsentation im Werk Carl Joseph Anton Mittermaiers (1787–1867) und seiner Zeitgenossen
Oliver Mohr, Heidelberg

»Einer von uns«. Die repräsentative Wende der europäischen Monarchie
Moritz Sorg, Freiburg

13:00-15:00 Uhr
Panel 2: Nation und Föderalismus / Moderation: Dietmar Süß, Augsburg

Weibliche Kommunalpolitik im ländlichen Raum zwischen 1919 und 1969
Bianka Trötschel-Daniels, Erfurt

Der Kampf um die Republik vor Ort. Steuerzahler- und Arbeitslosenproteste im urbanen Frankreich in den 1930er-Jahren
Sebastian Petznick, Freiburg

Zweckehe statt Liebesheirat: Föderalismus und parlamentarische Demokratie in der Bundesrepublik
Ariane Leendertz, München

15:30-17:30 Uhr
Panel 3: Systemumbrüche / Moderation: Kirsten Heinsohn, Hamburg

Duty, Deliberation, Contest, Battle: Visions of Participation and Representation in Russian Provincial Newspapers during the Spring and Summer of 1917
Daniel Schrader, Regensburg

Democracy and Participation under the Postwar Consensus
Jan de Graaf, Bochum

Democratic Minorities. Middle Class, Party Competition, and Diverging Political Cultures of the Post-Soviet City
Anton Liavitski, Budapest

Freitag, 14.6.2024

09:00-10:20 Uhr
Panel 4: Repräsentationsansprüche / Moderation: Thomas Kroll, Jena

Die Nation repräsentieren, um das Wahlrecht zu erkämpfen? Probleme der Partizipation und Repräsentation am Beispiel der deutschösterreichischen Sozialdemokratie, 1897–1907
Sebastian Fahner, Freiburg

Geschlecht in der Krise – Arbeiterklasse und Mutterschaft im Spiegel der Hyperinflation 1923
Naima Tiné, Greifswald

10:30-11:50 Uhr
Panel 5: Repräsentationsansprüche II / Moderation: Nikolai Wehrs, Bonn

Debating the Political Representation and Participation of Immigrants in the Netherlands, c. 1980s–2000s
Fons Meijer, Nijmegen

Migrantischer Kampf um das Kommunalwahlrecht Zwischen Selbstorganisation, Gewerkschaften und Ausländerbeiräten bis Ende der 1980er-Jahre
Caner Tekin, Bochum

12:30-14:30 Uhr
Panel 6: Partizipationsspielräume / Moderation: Meik Woyke, Hamburg

Representative Democracy Legitimized with ›Participation‹. Western European Parliaments since 1968
Pasi Ihalainen, Jyväskylä

Die Parlamentarier vor den partizipatorischen Forderungen der 68er-Bewegung. Ein westdeutsch-französischer Vergleich (1967–1972)
Nicolas Batteux, Nancy

Television as a Parallel Parliament. Dutch Public Broadcasting between Political Classroom and Participatory Platform, 1950s–1980s
Harm Kaal/Solange Ploeg, Nijmegen

14:30-15:00 Uhr
Abschlussdiskussion
Moderation: Anja Kruke, Bonn

Kontakt

Philipp Kufferath
afs@fes.de
0228/8838057

https://www.fes.de/afs/termine/partizipation-und-repraesentation