Centre Marc Bloch
Arbeitsgruppe Migration, Staat und Gesellschaft
Seit einiger Zeit wird Migrationsforschung als Möglichkeit gesehen, Aussagen über die jeweilige Verfasstheit und das Selbstverständnis der Aufnahmegesellschaften zu treffen. Der Blickwinkel richtet sich dabei in aller Regel auf den administrativen, juristischen, seltener den sozialen Umgang mit Einwanderung. Die Art, in der einzelne, in der Regel nationalstaatlich organisierte Gesellschaften Einwanderung und die Integration von Eingewanderten verwalten (fördern, hemmen, selektieren, kontrollieren), wird als Indikator für das Nationsverständnis und die daraus resultierenden Probleme gesehen. Parallel dazu wird Migrationsforschung in jüngster Zeit als Chance wahrgenommen, zu einer Theorie, Analyse und Kritik staatlicher und gesellschaftlicher Institutionen und Verhältnisse beizutragen: So ist jüngst der Anspruch erhoben worden, über eine erweiterte historische Migrationsforschung zu einer "histoire du pouvoir" vorstoßen zu können. Was bislang noch fehlt, ist ein Versuch, Migration und ihre "Ergebnisse" Integration, Segregation, Neuzusammensetzung von Gesellschaft auf der Ebene der sozialen Interaktion daraufhin zu untersuchen, ob die dabei auftretenden Krisen- und Transitionsprozesse einen Blick auf Konstitutionsbedingungen und -faktoren von Gesellschaft erlauben, also Migrationsforschung als Analyse, Theorie und Geschichte von Gesellschaft und von sozialer Interaktion zu betreiben. All diese Aspekte spielen - meist isoliert voneinander - in der neueren sozialwissenschaftlichen Diskussion häufig implizit eine Rolle. Es mangelt jedoch an einer theoretisch-kritischer Durchdringung, die über Vorschläge zur Bewältigung aktueller Problemstellungen hinausginge. Am Centre Marc Bloch hat sich eine Arbeitsgruppe gebildet, die sich mit diesen Problemfeldern befassen will. Die Gruppe und ihre Veranstaltungen sind für Interessierte offen; die Diskussion soll sich vor allem an folgenden Fragen orientieren:
1. Wie entwickeln sich administrative Maßnahmen zur Kontrolle bzw. Verwaltung von Einwanderung? In welchem Maße lässt sich sagen, dass Maßnahmen, die gegen(über) Ausländern getroffen werden, modellhaft sind für Maßnahmen gegenüber der Gesamtbevölkerung? Welche Strategien entwickeln MigrantInnen angesichts dieser Maßnahmen? Wie nutzen, wie umgehen sie sie? Wie verändern sich diese in der Folge?
2. Wie organisiert sich Migration selbst? Wie, wo und zwischen wem finden Kontakte statt, welche Faktoren bestimmen Selbst- und Fremdverständnis, Integration und Aussonderung? Unter welchen Bedingungen, auf welchen Ebenen und zwischen welchen Individuen oder Gruppen kommt es zu sozialer Interaktion, zu Abgrenzung, Annäherung oder Neukonstituierung von Solidargemeinschaften?
3. Wie tragfähig sind neuere (transkulturelle, kulturalistische &c.) Ansätze, wie ideologisch sind sie? Was lässt sich aus den Ergebnissen der an Migrationsforschung interessierten Disziplinen für eine Theorie von Staatsgewalt und Gesellschaft gewinnen?