"Zwischen Schande und Ehre" - Erinnerungsbrüche und die Kontinuität des Hauses. Legitimationsmuster und Traditionsverständnis des frühneuzeitlichen Adels in Umbruch und Krise

"Zwischen Schande und Ehre" - Erinnerungsbrüche und die Kontinuität des Hauses. Legitimationsmuster und Traditionsverständnis des frühneuzeitlichen Adels in Umbruch und Krise

Veranstalter
Martin Wrede/Horst Carl Historisches Institut der Justus Liebig-Universität - SFB 434 "Erinnerungskulturen"
Veranstaltungsort
Mainz
Ort
Gießen
Land
Deutschland
Vom - Bis
04.10.2005 - 06.10.2005
Website
Von
Martin Wrede

Das unbestreitbare Faktum, daß der frühneuzeitliche Adel eine, wenn nicht die „Erinnerungsgruppe“ par excellence gewesen ist, daß er sich essentiell aus Erinnerung, Tradition und Kontinuität des „Hauses“ bzw. der Dynastie konstitutierte und legitimierte ist mittlerweile ein selbstverständlicher Ausgangspunkt der kulturhistorischen Forschungsdiskussion geworden.

Das Kolloquium setzt sich zur Aufgabe, nach dem Umgang mit „Erinnerungsbrüchen“ in der Geschichte adliger Häuser zu fragen und nach den Wegen ihrer „Heilung“: Wie stand adliges Familiengedächtnis zwischen „Schande“ und „Ehre“, wie konstituierte und veränderte es sich in dynastischen Konkurrenzsituationen oder unter dem Druck eines von staatlicher wie kirchlicher Seite forcierten Wertewandels? Wie ging adelige memoria mit „Schwarzen Schafen“ der Familiengeschichte um? Gab es eine familiale damnatio memoriae, dominierten Strategien der Umwertung bzw. „anachronistisch“ werdende Wertmaßstäbe?

Zu diesem Zweck soll das Kolloquium nicht nur einen zeitlichen Bogen vom 16. bis zum 18. Jahrhundert schlagen, sondern darin die Länder des westlichen wie mittleren Europa umgreifen. Insbesondere differente konfessionelle Adelslandschaften gilt es hier zu berücksichtigen.

Angestrebt ist so, nicht nur die von der Forschung für den Übergang zur Neuzeit postulierte Entwicklung „from valor to pedigree“ zu hinterfragen, sondern auch Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede in (vor-)nationalen Adelskulturen herauszuarbeiten und so der Beantwortung der Frage näherzukommen, inwiefern von „europäischem Adel“ gesprochen werden kann oder eher von „Adel in Europa“.

Die Tagung geht von drei Ansatzpunkten aus:

1. „Schwarze Schafe“: Unehre und Wertewandel
Wie gehen adlige Häuser mit Familienmitgliedern um - männlichen wie weiblichen -, deren Handlungen „Schande/Unehre“ gebracht haben, die in der Vergangenheit Niederlagen erlitten, Fehlentscheidungen vorgenommen oder soziale Regeln verletzt hatten - die also den Glanz des Hauses verdunkelten. Zu berücksichtigen ist dabei naturgemäß jener Wertewandel, der etwa Rebellen gegen die monarchische Zentralgewalt im 17. Jh. in ein anderes Licht rückte als zuvor und der auch das Verhältnis zu Religion und Bildung, zu Kriminalität und Sittenzucht - selbst zum Gelderwerb - neu bestimmte.

2. (Um-)Brüche und Krisen: politische, konfessioneller, gesellschaftlicher Wandel
Wie überstehen adelige Familienverbände politische und zumal konfessionelle Umbruchsituationen? In den Blick genommen werden sollen Adelsfamilien oder auch Adelslandschaften, die deutlichem politischen, konfessionellen oder gesellschaftlichen Wandel ausgesetzt waren. Wie verändern dauerhafte Loyalitätswechsel – d.h. etwa Wechsel der Dynastie oder der territorialen Zugehörigkeit – das Selbstverständnis des Standes, des Hauses, den Blick auf die (Familien-)Historie?

3. „finir sa maison“: Dynastien vor dem Aussterben
Wie gehen adlige Häuser mit ihrem bevorstehenden Verschwinden bzw. Erlöschen um, wie mit weiblichen Erbfolgen bzw. solchen entfernter Seitenlinien, verbunden etwa mit Namen- und Wappenwechseln. Welche Strategien werden ersonnen und angewandt, um das Haus über das absehbare „Ende“ hinaus zu perpetuieren? Betrachtet werden ebenso Familien des hohen Adels wie europäische Fürstenhäuser.

Programm

Dienstag, 04.10.

09.00-9.45 M. Wrede/H. Carl (Gießen): Begrüßung und Einführung

9.45-12.00 1. Sektion: Verräter, Verlierer und andere „Schwarze Schafe“
A. Bellany (Rutgers): “The Enigma of the World”. Memorializing the Duke of Buckingham in the Aftermath of Assassination, c. 1628-1640

Kaffeepause

R. Babel (Paris): Der Balafré. Traditionsgeber und “Schwarzes Schaf” im Hause Guise

K. Béguin (Paris): La trahison glorieuse: une transfiguration artistique de la mémoire de la fronde condéenne à la fin du XVIIe siècle

12.15-14.00 Mittagspause

14.00-16.00 Forts. 1. Sektion
E. Mauerer (München): Die „Egoniden“ zwischen Frankreich und dem Kaiser. Zum Umgang mit abweichendem politischen Verhalten im Haus Fürstenberg in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts

J. Arndt (Münster): Max Emanuel, Kurfürst von Bayern oder Graf von Wittelsbach? Exil und Ächtung eines Barockfürsten in der bayerischen Historiographie

J. Kusber (Mainz): Die Razumowskij und ihre Gegner am zarischen Hof der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts

Kaffeepause

16.15-17.45
M. Sikora (Münster): Über den Umgang mit Ungleichheit. Bewältigungsstrategien für Mesalliancen im deutschen Hochadel der Frühen Neuzeit.

M. Wenzel (Stendal): Bastarde und Mätressen – „Illegitime“ Herkunft und „illegitimer“ sozialer Aufstieg im Spiegel von weiblichen Porträtgalerien der Frühen Neuzeit

18.15 Öffentlicher Abendvortrag
E. Conze (Marburg): Von Verrätern und Helden. Zur Wahrnehmung politischer Aktivität im deutschen Adel des 19. und 20. Jahrhunderts

anschließend gemeinsames Abendessen

Mittwoch, 05.10.
09.00-10.45 2. Sektion: Brüche, Krisen, Katastrophen: Konfession und Politik
F. Heal (Oxford): The Faith of our Forefathers? Elite Families and the Memory of Religious Identity in Early Modern England

L. Bourquin (Le Mans): La mémoire des guerres de religion dans la noblesse française: entre exaltation et refoulement

S. Westphal (Osnabrück): Nach dem Verlust der Kurwürde: Die Ausbildung konfessioneller Identität anstelle politischer Macht bei den Ernestinern

Kaffeepause

11.00-12.30
H.-J. Bömelburg (Lüneburg): Adlige Erinnerung und dynastische Sprachen in einer Wahlmonarchie: Der polnisch-litauische Adel 1572-1698

T. Barnard (Oxford): Between Stuarts and Hanoverians. Honour and Dishonour in the Careers of the First and Second Dukes of Ormonde

Mittagspause

14.00-16.00 Forts. 2. Sektion
V. Buzek (Budweis): Die Selbstreflexion des Adels in Böhmen nach 1620

E. Pelzer (Mannheim): Zwischen Habsburg und Bourbon. Der elsässische Adel nach dem Übergang an Frankreich 1648

E. Oberländer (Mainz): Loyalität oder Standesinteresse? Die kurländische Ritterschaft zwischen Polen-Litauen und dem Russischen Reich (1710-1795)

Kaffeepause

16.15-18.30
H. Germa-Romann (Montpellier): De „point d’honneur“ à point d’honneur. Le duel en France au 17e siècle

E. Frie (Essen): Epochenjahr 1806 – Adel und Staatskrise in Preußen

C. Brelot (Lyon): La recomposition de la mémoire familiale et collective de la noblesse française relative à la Révolution Française

anschließend gemeinsames Abendessen

Donnerstag, 06.10.
09.00-11.00 3. Sektion: „finir sa maison“: Adelshäuser sterben aus
M. Wrede (Gießen): „voir ma maison tomber en quenouille…“. Ende, Erbe und Erinnerungskultur des Hauses Croy-Arschot in den Spanischen Niederlanden

P. Král (Budweis): Extinctions of Czech Noble Families in the 16th and 17th Centuries

C. Wieland (Freiburg): Das Ende des Hauses Medici

Kaffeepause

11.15-12.30
N. Le Roux (Paris): La mort d'un roi, la fin d'une dynastie? – La disparition d’Henri III en 1589

H. Duchhardt (Mainz): Von Habsburg zu Habsburg(-Lothringen)

Mittagspause

14.00-16.00 Kommentare und Schlußdiskussion
Sektionskommentare: C. Duhamelle (Göttingen), R.G. Asch (Freiburg), T. Winkelbauer (Wien)

Gefördert durch:
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
Mission Historique Francaise en Allemagne (MHFA)

Kontakt

Martin Wrede

Historisches Institut der JLU
Otto Behaghel-Str. 10 C 1
35394 Gießen

martin.wrede@geschichte.uni-giessen.de


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