„Volksgenossinnen“ des „Dritten Reiches“

„Volksgenossinnen“ des „Dritten Reiches“

Veranstalter
Redaktion der Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus
Veranstaltungsort
Ort
-
Land
Deutschland
Vom - Bis
20.04.2006 -
Deadline
01.06.2006
Website
Von
Sybille Steinbacher, Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte, Friedrich-Schiller-Universität Jena, Historisches Institut

Die Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus planen für ihren Band 23, der 2007 erscheinen wird, eine Ausgabe über die „Volksgenossinnen“ des „Dritten Reiches“. In erster Linie soll es aus erfahrungsgeschichtlicher Perspektive um jene Frauen gehen, die sich beim Aufbau der sogenannten Volksgemeinschaft durch tätige Mithilfe, politische Zuverlässigkeit und hohes „Rassebewußtsein“ ausgezeichnet haben.

Wenn Hitler in seinen Reden auf die Rolle der Frauen zu sprechen kam, betonte er den „gemeinsamen Kampf“ der beiden Geschlechter für die „Volksgemeinschaft“ des „Dritten Reiches“. Was in der Kriegszeit besonders wichtig wurde, galt als Devise aber schon im Frieden: Bereits 1937 nannte der „Führer“ die staatliche Frauenschaft eine „Ergänzung der männlichen Kampforganisation“.

Wie sich Frauen mit der „Volksgemeinschaft“ identifizierten, worin die Herausforderung bestand, gemeinsam mit (oder in Konkurrenz zu) den Männern an der Errichtung und Gestaltung des nationalsozialistischen Staates mitzuwirken, welche Chancen der Rassismus den Frauen bot und wie sie diese nutzten – dies sind Fragen, denen die Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus nachgehen wollen. Da die geschlechtsspezifischen Lebenswelten im NS-Staat eng miteinander verflochten waren, soll der Blick auch auf männliche Akteure gerichtet werden. Der zeitliche Rahmen soll über die Markierung hinausreichen, die das Kriegsende setzt, denn die thematische Öffnung in die Nachkriegszeit gibt die Möglichkeit, die (in Ego-Dokumenten, aber auch in Ermittlungs- und Gerichtsakten erschließbare) rückblickende Selbstwahrnehmung von Frauen in die Analyse einzubeziehen. Dies erlaubt es womöglich, Antworten auch auf die Frage zu finden, was die geläufige weibliche Selbstverortung im Unpolitischen, die nach Kriegsende weder in der öffentlichen noch in der wissenschaftlichen Diskussion in Frage gestellt worden ist, für den juristischen und gesellschaftlichen Umgang mit der NS-Vergangenheit bedeutet.

Daß Frauen im Terrorsystem des nationalsozialistischen Staates als Krankenschwestern in den Euthanasieanstalten, als Aufseherinnen in den Konzentrationslagern, als Amtsärztinnen und Fürsorgerinnen eine wichtige Rolle spielten, ist zwar noch längst nicht erschöpfend behandelt, aber bekannt. Der Fokus soll deshalb auf noch weniger erforschte Zusammenhänge, namentlich auf folgende thematische Felder gerichtet werden:

1. Weibliche Eliten?

Da Frauen im „Dritten Reich“ politische Positionen vorenthalten blieben, lösten sich nationalsozialistische Frauengruppen, die sich in der „Kampfzeit“ formiert hatten, bald nach der Machtübernahme auf. Trotzdem scheint es im „Dritten Reich“ auch weibliche Eliten gegeben zu haben. Sowohl die Funktionärinnen der rund sechs Millionen Mitglieder umfassenden nationalsozialistischen Frauen- und Mädchenorganisationen und die Aktivistinnen anderer Massenformationen wie der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) und der Deutschen Arbeitsfront (DAF) könnten hier das Thema sein als auch Frauen außerhalb des Parteiapparats, die beispielsweise als Studentinnen, Künstlerinnen, Journalistinnen oder Fliegerinnnen zu gesellschaftlichem Ansehen und beruflichem Erfolg kamen – und ohne weiteres ihre Rolle im NS-Staat fanden. Nicht um das sogenannte Frauenbild des „Dritten Reiches“ soll es hier gehen, sondern um die Erwartungen, Hoffnungen und Visionen seiner „Führerinnen“. Welche politischen, sozialen und kulturellen Traditionen und Erfahrungen aus der Weimarer Zeit wirkten fort? Und welche Handlungsspielräume gewährte der nationalsozialistische Staat?

2. Mutterschaft – und andere Sinnstiftungen

Ohne Zweifel stand der Mutterkult im Zentrum der Identifikationsangebote, die das „Dritte Reich“ den „Volksgenossinnen“ machte. Im rassistischen Staat sollten Frauen Erwartungen im biologischen Sinne erfüllen und als Hüterinnen der „rassischen Reinheit“ des deutschen Volkes für die Fortpflanzung der „arischen Rasse“ sorgen. Gab es darüber hinaus weitere Sinnstiftungsangebote des Regimes? Was zog beispielsweise (in Abgrenzung und vermutlich in Konkurrenz zur männlichen) die weibliche Jugend besonders an? Welche Chancen bot der Nationalsozialismus Mädchen und jungen Frauen? Nicht wenige hatten vermutlich auch Vorbehalte gegen die staatliche Vereinnahmung, wofür konkurrierende Sinnstiftungsangebote, etwa jene der christlichen Kirchen, eine Rolle gespielt haben dürften. Inwieweit dies der Fall war und wie Frauen mit empfundenen Widersprüchen umgingen, wäre zu ebenfalls zu überprüfen.

3. Einsatz an Front und „Heimatfront“

50 000 sogenannte Maiden des Reicharbeitsdienstes waren im Sommer 1944 an den Scheinwerferbatterien der Flak eingesetzt, rund 500 000 Wehrmachthelferinnen taten Anfang 1945 ihren Dienst für den Krieg. Frauen trugen Uniformen und waren wie die Männer kaserniert, kurz vor Kriegsende sogar mit Handfeuerwaffen und Panzerfäusten ausgerüstet. Hitler, der zehn Jahre zuvor erklärt hatte, er würde sich schämen, jemals Frauen in den Kampf zu schicken, plante in den letzten Kriegsmonaten ein Frauenbataillon. Viele Frauen – wie viele ist nicht einmal bekannt – gerieten in alliierte Gefangenschaft. Frauen waren nicht nur Opfer des Krieges, wie die Diskussion über den Bombenkrieg suggeriert, sondern haben durch ihren Einsatz an Front und „Heimatfront“ – als Arbeiterinnen in der Kriegswirtschaft, Krankenpflegerinnen, NSV-Schwestern, im Luftschutz und als Mitglieder von Propagandaeinheiten – für die Stabilisierung und Verteidigung des Deutschen Reiches gesorgt. Darüber hinaus sollten Frauen das Durchhaltevermögen bestärken und helfen, die Stimmung in der Bevölkerung aufrechtzuerhalten. Daß sie als Nutznießerinnen der staatlichen Raubpolitik unmittelbar in den Genuß von Lebensmitteln und Luxusgütern kamen, die Soldaten aus den überfallenen Ländern an ihre Familien im Altreich schickten, hat ihnen diese Aufgabe womöglich erleichtert. Die facettenreiche, bis heute weitgehend unerforschte Rolle von „Volksgenossinnen“ im „totalen Krieg“ soll einen weiteren Schwerpunkt des Bandes bilden.

4. Terror- und Vernichtungspolitik

Das Herrenmenschengebaren der deutschen Eroberer „im Osten“ hatte auch eine weibliche Seite. Wie den Männern eröffneten sich den Frauen im Zuge der „Germanisierung“ Osteuropas einzigartige Chancen des sozialen Aufstiegs. Als Ehefrauen, Mütter und Bräute, die mit Mann und Kindern in den Osten zogen, aber auch als (zumeist ledige) Lehrerinnen, Sekretärinnen und Mitarbeiterinnen in der Privatindustrie genossen sie Privilegien und hohes gesellschaftliches Ansehen; als Angestellte in der Bürokratie, aber auch als Begünstigte kamen sie in den Genuß der finanziellen Erträge aus den „Arisierungen“; als sogenannte Siedlungshelferinnen und Fürsorgebetreuerinnen, die die gewaltsame Deportation der einheimischen Bevölkerung und die Ansiedlung der deutschen und deutschstämmigen Siedler zu organisieren halfen, erschlossen sie sich mit den neuen Aufgaben auch ihre Selbständigkeit. Wie erfüllten Frauen ihre Pflichten beim Aufbau der gesellschaftlichen deutschen Elite „im Osten“? Welchen Beitrag leisteten sie, um die genuin gewalttätigen Strukturen der Besatzungsherrschaft zu schaffen und zu festigen? Wie haben sie Gewalt in ihren Alltag integriert? Wann und wie übten sie selbst Gewalt aus? Nahmen sie sich dabei die männlichen Eroberer zum Vorbild? Und inwiefern unterschieden sie sich von ihnen?

5. Frauen in der (justiziellen) Nachgeschichte des Nationalsozialismus

Unter den Funktionären des „Dritten Reiches“, die sich nach Kriegsende vor den Militärtribunalen der Alliierten, später vor Spruchkammern und deutschen Gerichten verantworten mußten, waren nur wenige Frauen. Vieles deutet darauf hin, daß die Justiz – die deutsche nicht weniger als die alliierte – zu Urteilen kam, die von klischeehaften Auffassungen über die Geschlechterrollen geprägt waren. Auffallend ist beispielsweise, daß Frauen, kamen sie erst einmal vor Gericht, anders als männliche Angeklagte oftmals zu Symbolfiguren des Terrors stilisiert wurden. Diese Annahme bedarf der genaueren Überprüfung. Galten für Täterinnen besondere moralische Ansprüche? Und was bedeutete dies gegebenenfalls für die juristische, aber auch für die mediale und überhaupt für die öffentliche Wahrnehmung der – in weitaus höherem Maße – von Männern begangenen Verbrechen? Zu fragen ist beispielsweise auch, ob die dezidierte Schuldzuweisung an einige wenige Frauen (in Presse und Öffentlichkeit) in die Entlastung der Masse der männlichen Täter mündete.

Die Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus bitten um Vorschläge zu den skizzierten Fragen. Ihr Aufsatzexposé von maximal ein bis zwei Seiten und eine kurze biographische Notiz von vier bis fünf Zeilen senden Sie bitte bis zum 1. Juni 2006 an die unten angegebene Adresse. Ausdrücklich erwünscht sind auch Beiträge ausländischer Kolleginnen und Kollegen; Ihr Exposé nehmen wir gern in englischer Sprache entgegen, jedoch bitten wie Sie, Ihren Aufsatz auf Deutsch einzureichen. Korrespondenz richten Sie bitte an:

Programm

Kontakt

Dr. Sybille Steinbacher
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Neuere und Neueste Geschichte
Fürstengraben 13
07743 Jena

sybille.steinbacher@uni-jena.de


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