Möglichkeiten einer reflexiven historischen Migrationsforschung

Möglichkeiten einer reflexiven historischen Migrationsforschung

Veranstalter
Josef Ehmer (Universität Wien) Sigrid Wadauer (Universität Salzburg)
Veranstaltungsort
Universität Salzburg, FB Geschichts- und Politikwissenschaft, Raum 389, Rudolfskai 42, A-5020 Salzburg
Ort
Salzburg
Land
Austria
Vom - Bis
05.05.2006 - 06.05.2006
Von
Sigrid Wadauer

(Historische) Migrationsforschung hat sich in den letzten Jahren zu einem ausdifferenzierten und vielfältigen Forschungsfeld entwickelt. Neue Vorstellungen, Fragen und Konzepte wurden formuliert, vielfältige empirische Studien unternommen und Forschungskategorien diskutiert, kritisiert, reformuliert. Dennoch erscheinen viele Grundannahmen als sehr persistent: Stellen die traditionellen Kategorien, Schwerpunkte und Rahmen der Migrationsforschung dabei nicht eher Erkenntnishindernisse dar, statt zur Konstruktion von Erklärung beizutragen?

Bestimmte – vor allem transkontinentale und internationale – Formen von Migration wurden häufig ins Zentrum der Überlegungen gestellt und in ihrer (quantitativen) Bedeutung überschätzt. Binnenmigrationen, temporäre und zirkuläre Migrationsbewegungen hingegen wurden demgegenüber oft wenig beachtet. Staatsgrenzen sowie der Land-Stadt-Gegensatz stellten lange Zeit den unhinterfragten Analyse-Rahmen dar. Wanderungen wurden vorwiegend als Bewegungen in eine Richtung gedacht, einzelne Migrationsformen isoliert betrachtet. Dabei ging man von scheinbar zweifelsfrei gegebenen Dichotomien aus: freie vs. unfreie Migration, Arbeitsmigration vs. Flucht etc. Sesshaftigkeit wird in Konzepten der Migrationsforschung selten berücksichtigt, als ob es sich um einen selbsterklärenden Normalzustand handeln würde. Dementsprechend wird Migration noch häufig als Erklärung erfordernde Ausnahme betrachtet. All diese Kategorien erklären bei genauerer Betrachtung jedoch kaum, sondern müssen erst selbst erklärt werden.

Häufig bleibt historische Migrationsforschung also auch den zeitgenössischen Perspektiven der Politik und der (national)staatlichen Administration verhaftet. Andere Perspektiven werden außer Acht gelassen oder nicht systematisch in Betracht gezogen. Können wir aber Migrationen messen und Migrationssysteme rekonstruieren, ohne die individuellen und kollektiven Vorstellungen, Wünsche und Praktiken systematisch zu berücksichtigen und die Kategorien von Migration und Sesshaftigkeit historisch zu analysieren? Wie können wir der Komplexität des historischen Phänomens Migration und der Vielfalt der involvierten Praktiken und Perspektiven gerecht werden?

Forschungsprojekte treffen – zwangsläufig – auch forschungspragmatische Entscheidungen: Sie fokussieren auf bestimmte Quellen, Methoden und Analysekonzepte. Diese Entscheidungen führen auch zur Bevorzugung bestimmter Erklärungszusammenhänge und damit zur relativ unkontrollierten Verallgemeinerung von partikularen Perspektiven und Einzelergebnisse. Die isolierte Betrachtung einzelner Phänomene und Quellen läuft Gefahr, bestimmten Vor-Konstrukten verhaftet zu bleiben, solange die Spezifik und Eigenlogik der Quellen – seien es Autobiographien oder amtliche Dokumente – unreflektiert bleibt.

Vergleich und Reflexion verschiedener Ansätze und Forschungszugänge erscheinen daher wünschenswert und erforderlich. Viele Konzepte und aus bestimmten Untersuchungsanordnungen gewonnenen Hypothesen scheinen allerdings oft nur schwer zusammen zu bringen. Zuvor analytisch (und in akademischer Tradition) getrennte und verabsolutierte Ebenen – etwa hoch aggregierte Massendaten sowie Migrationssysteme einerseits und Migrationspraktiken, Motive und Beweggründe andererseits – können höchstens vermittelt, aber kaum in einem systematischen Modell integriert werden. So werden wohl häufig Annahmen (aus anderen Forschungen) in das eigene Erklärungsmodell importiert, die hier letztlich gar nicht überprüfbar sind. Häufig bleiben Konzepte (Netzwerk, Rational Choice etc.) lediglich metaphorische Bezugspunkte, ohne tatsächlich die empirische Arbeit zu orientieren.

Der Workshop beschäftigt sich mit Möglichkeiten und den Grenzen von Konzepten der historischen Migrationsforschung. Dabei sollen anhand von konkreten Forschungsprojekten Potentiale, Erkenntnishindernisse und praktische Schwierigkeiten verschiedener Ansätze und Forschungen reflektiert werden.
- Welche Rolle spielen einzelne Aspekte?
- Welche Konzepte und Formalisierungen stehen zur Verfügung?
- Auf welche Hindernisse stößt die konkrete historisch-empirische Forschung?
- Welche neuen Fragen wirft sie derzeit auf?
Ziel des Workshops ist die Entwicklung von systematischen Möglichkeiten der Reflexion historischer Migrationsforschung.

Programm

Freitag, 5.5.
Chair: Annemarie Steidl (Wien)

9.15 – 9.30
Josef Ehmer (Wien) & Sigrid Wadauer (Salzburg): Begrüßung und Einleitung

9.30 – 10.30
Marita Krauss (München): Zurückbleiben – ein migrationshistorischer Perspektivenwechsel

10.30 – 11.30
Jochen Oltmer (Osnabrück): Wechselwirkungen: Staat und Migration im historischen Wandel

11.30 – 12.00 Kaffeepause

12.00 – 13.00
Michael Schubert (Osnabrück): Legalität und Illegalität: Migration und Kontrolle in Deutschland seit 1750

13.00 – 14.45 Mittagspause

Chair: Norbert Ortmayr (Salzburg)

14.45 – 15.45
Wladimir Fischer (Wien): Minoritäre Lebenswelten aus dem Archiv?

15.45 – 16.45
Michael G. Esch (Berlin): Migrationsforschung als Affirmation, Politikberatung oder kategoriale Kritik? Über Grundlagen und Möglichkeiten einer problemorientierten historischen Wissenschaft

16.45 – 17.15 Kaffeepause

17.15 – 18.15
Sigrid Wadauer (Salzburg): Not und Tugend von Mobilität und Sesshaftigkeit. Ein Raum der Möglichkeiten

18.15 – 19.15
Elisio Macamo (Bayreuth): Zur Ambivalenz der Moderne in Afrika und Auswirkungen auf Wanderungsprozesse

Samstag, 6.5.
Chair: Thomas Buchner (Linz)

9.15 – 10.15
Josef Ehmer (Wien): Überlegungen zum Konzept “traditioneller Migrationsmuster”

10.15 – 11.15
Jochen Krebber (Köln): Kettenwanderung als migrationshistorisches Paradigma: Konzept oder Metapher?

11.15 – 11.45 Kaffeepause

11.45 – 12.45
Annemarie Steidl (Wien): Migrationen sind multidirektionale Phänomene. Das Kommen und Gehen von kontinentalen, transatlantischen und BinnenmigrantInnen in der Spätphase der Habsburgermonarchie

12.45 – 14.00 Schlussdiskussion

Kontakt

Sigrid Wadauer

Universität Salzburg
Rudolfskai 42, A- 5020 Salzburg
+43 (0)662 8044-4737
+43 (0)662 8044-413
sigrid.wadauer@sbg.ac.at

http://www.sbg.ac.at/ges/index.php