Kirchliche Karrieren im Reich und in Polen (Mittelalter und Frühe Neuzeit) Grundlagen-Promotoren-Modelle

Kirchliche Karrieren im Reich und in Polen (Mittelalter und Frühe Neuzeit) Grundlagen-Promotoren-Modelle

Veranstalter
Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte Osteuropas und seiner Kulturen, Universität Passau
Veranstaltungsort
Universität Passau, Nikolakloster 403
Ort
Passau
Land
Deutschland
Vom - Bis
25.05.2006 - 27.05.2006
Von
Puk, Slawomir

Die Forschung zur Herausbildung kirchlicher Eliten kann sowohl in Deutschland als auch in Polen auf eine lange Tradition zurückblicken. Dabei gibt es große Unterschiede bezüglich der grundsätzlichen Herangehensweise in den Nationalhistoriographien der beiden Nachbarländer. Während sich die polnische Historiographie vorrangig auf prosopographische Untersuchungen zu den Domkapiteln und Kollegiatstiften konzentriert, wobei auch universitäre Kreise eine wichtige Rolle spielen, interessiert sich die deutsche Forschung vor allem für die mit dem gesellschaftlichen Aufstieg verbundenen Prozesse und beleuchtet dabei primär institutionelle Fragen. In beiden Ländern ist das Forschungsniveau sehr hoch, wovon einerseits zahlreiche neue wissenschaftliche Darstellungen und andererseits die Herausgabe ambitionierter Quellenwerke zeugen.

Gerade angesichts des zwar weit fortgeschrittenen, zugleich aber disparaten Forschungsstandes in beiden Ländern erscheint es sinnvoll und notwendig, auf dem Weg des Vergleichs eine Synthetisierung und Erweiterung unseres Wissens um die internationalen Implikationen kirchlicher Karrieren anzustreben. Es ist zu erwarten, dass ein solcher Vergleich nicht nur neue Erkenntnisse zeitigen wird, sondern darüber hinaus als Grundlage für eine in Zukunft intensivere Zusammenarbeit deutscher und polnischer Wissenschaftler dienen kann. Die zu erwartenden Synergien gerade aus der deutsch-polnischen Forschungskooperation gründen sich in den regionalen Überschneidungsfeldern der deutschen und der polnischen Geschichte, die auch eine heuristische Konvergenz aufweisen: Gemeint sind die Landesteile Schlesien, Preußen und Pommern, die sich aufgrund ihrer Mulitkulturalität sowie ihrer geographischen und politischen Lage "zwischen" dem deutschen Reich und Polen völlig zurecht schon länger im Zentrum des Forschungsinteresses beider Länder befinden. Ein Desiderat ist jedoch die Internationalisierung der Forschung, und zwar in doppelter Hinsicht: Für die deutsche Geschichtswissenschaft steht die "Integration" Polens in den thematischen Horizont noch vielfach aus; während die polnische Geschichtswissenschaft von den methodischen Innovationen der "westlichen" Forschung immer noch profitieren kann. Wenn jetzt eine Konferenz zum Thema der kirchlichen Karrieren unternommen wird, so steht ein bislang wenig bestelltes, aber umso vielversprechenderes Feld polnisch-deutscher Wechselbeziehungen vor einem europäischen Hintergrund zur Debatte. Beispielhaft sei nur die Diözese Breslau genannt, die aufgrund ihrer einzigartigen Lage einer kirchlichen Zugehörigkeit zur Gnesener Kirchenprovinz und gleichzeitigen politischen Zugehörigkeit zum Reich durch das Königreich Böhmen eine vergleichende Analysen geradezu herausfordert - was trotz reicher Literatur bislang fehlt.

Ziel der Konferenz ist es, Antworten auf Fragen zu finden, die die Wissenschaft schon seit längerer Zeit beschäftigen, bislang aber noch nicht befriedigend beantwortet worden sind, und neue Fragen zu stellen. Hierbei geht es insbesondere um Wege und Grenzen des Aufstiegs innerhalb der in sich stark differenzierten Schicht des Klerus, um die Karriere von Geistlichen im weltlichen Staatsapparat, und auch um die Rolle Roms im Hinblick auf die Herausbildung von lokalen kirchlichen Eliten. Unter dem Terminus „kirchliche Karriere“ werden hier nicht nur Aufstiegswege von Geistlichen innerhalb der kirchlichen Hierarchie verstanden, sondern auch Karrierewege außerhalb derselben, womit ein breit angelegtes Forschungsfeld beschritten wird, das auch Nachbardisziplinen wie z.B. die Rechtsgeschichte tangiert.

Damit treten neue Fragen in den Raum, die in ihrem Erkenntnisinteresse auf einen letztlich europäischen Vergleich abzielen:

Woher rühren die Unterschiede in den Karrierewegen in Polen und im Reich? Sind die Ursachen dafür in den kulturellen Unterschieden zwischen den beiden Ländern zu suchen oder eher in makrogeographisch interpretierbaren Unterschieden der Entwicklung in gesamteuropäischer Perspektive?
Geht es dabei um eine Differenz innerhalb der christlichen Welt, die sich in den Begriffen von "Zentrum" und "Peripherie" ausdrücken läßt, oder müssen andere Erklärungsansätze gesucht werden? Könnte es sein, daß die päpstliche Einwirkung auf den ostmitteleuropäischen Raum, und insonderheit nach Polen, einen Homogenisierungsschub ausgelöst hat, der zwar nicht die Unterschiede zwischen dem deutschen und dem polnischen Kirchenraum eingeebnet, aber doch überwindbar gemacht hat?
Und wenn dem so war: Kann in der unterschiedlichen Realisierung derselben kulturellen Standards - die am Beispiel der kirchlichen Karrieren abzulesen wären - ein konstituierendes Merkmal europäischer Vielheit gesehen werden, das in sich gleichwohl Potentiale einer europäischen Einheit enthält?
Die mit diesen und anderen Fragen angesprochenen Problemfelder sollen einen Paradigmenwechsel in der deutsch-polnischen Forschung befördern und zugleich den Ausgangspunkt für einen gemeinsamen Entwicklungspfad der polnischen und deutschen Geschichtswissenschaft darstellen.

Die Fortschritte ergeben sich dabei aus den inhaltlichen Konkretisierungen. Generell hat die Bedeutung der außerkirchlichen Dimension geistlicher Karrieren eine Priorität, d.h. die politische Karriere von Geistlichen sowie die wissenschaftliche Karriere im näheren oder weiteren Umfeld der Universität. Als inhaltliche Leitlinien für die Ausrichtung der Vorträge sind den Referenten vorgegeben:

Ein tour d'horizon der Möglichkeiten. Was den weltlichen Klerus betrifft, so empfiehlt sich eine Fokussierung auf die drei hauptsächlichen Tätigkeitsfelder der Geistlichkeit: das Domkapitel, die Universität und den Fürstenhof. Von besonderer Bedeutung ist es, die Verbindungslinien zwischen diesen drei Feldern im Hinblick auf die weltlichen und kirchlichen Karrieren der Geistlichkeit aufzuzeigen. Mit besonderem Nachdruck sollte sowohl die Problematik des Einflusses von geistlichen Personen auf die Politik betrachtet werden, als auch deren Einfluß auf Wissenschaft und Kultur im Hinblick auf den Humanismus.
Der Blick auf die Grenzen einer Karriere. War z.B. der Eintritt in das Domkapitel die letzte Stufe der Karriereleiter, oder war dies lediglich eine der unabdingbaren Stufen, um die Bischofswürde zu erlangen? War die Frage der Herkunft (sozial und regional verstanden) im Hinblick auf die Grenzen von Karrieren entscheidend, oder kam es hauptsächlich auf die individuellen Voraussetzungen der betreffenden Personen an? Oder gab es eventuell durch mentale Befindlichkeiten begründete Grenzen, die man zu überschreiten nicht wagte, wenn man aus einer niedrigeren Gesellschaftsschicht kam? Gab es darüber hinaus faktisch nicht zu überschreitende Grenzen für diese Personenkreise?
Der Prozess des Aufstiegs. Es geht dabei insbesondere um jene (externen und internen) Faktoren, die als seine Ursachen gelten können. Besonderes Augenmerk sollte in diesem Zusammenhang auf die Promotoren jener Kleriker gerichtet werden, die den gesellschaftlichen Aufstieg vollzogen: Was veranlasste diese Menschen, als Promotoren aufzutreten? Wie sah das damit verbundene Mäzenatentum in der Praxis aus und was erwarteten die Mäzene im Sinne einer Gegenleistung? Welchen Einfluss hatte die königliche Politik und wie wurde sie umgekehrt von jenen Geistlichen beeinflusst, die sich auf dem Gipfel ihrer Karriere (als Bischof, als Kanzler, als leitende Persönlichkeit in der Universität, als Diplomat) befanden? Und schließlich, die internen Dispositionen betreffend: Welche Rolle spielten der Ausbildungsweg (peregrinatio academica) und der sich im 16. Jahrhundert entwickelnde Humanismus für eine kirchliche Karriere?
Die geographische Dimension und Interaktion. Grundsätzlich sollen sich die Referate auf Personen bzw. gesellschaftliche Gruppen aus den deutschsprachigen Gebieten und aus Polen konzentrieren, oder aber auf Ausländer, die dort tätig waren. Dies bedeutet, dass sowohl Karrieren von Geistlichen aus Polen oder dem Reich, die weitere Karrierestufen außerhalb ihrer Heimat anstrebten, betrachtet werden sollen, als auch die Karrieren von Ausländern in diesem Teil Mitteleuropas. Von besonderem Interesse wird eine Betrachtung der Karrieren von Personen in der Römischen Kurie sein, genauso wie die Analyse von Karrieren jener Personen, die als päpstliche Gesandte fungierten – d.h. als Legaten, Kollektoren und Nuntien. Dabei ist der Einfluss der Politik Roms auf die Situation in den polnischen und deutschen Diözesen generell von großer Bedeutung, vor allem in vergleichender Sicht. War doch die Stellung des Apostolischen Stuhls im Hinblick auf die polnische Kirche insofern ungewöhnlich, als der Einfluss des polnischen Monarchen auf die Besetzung von Bischofsämtern in den ihm territorial unterstellten Diözesen im Gegensatz zum westlichen Europa kaum in Frage gestellt wurde. Was das für die spezifische Rolle Polens im Konzert der Mächte des "papstchristlichen Europa" bedeutet, ist noch nicht einmal ansatzweise bekannt.
Die Antworten darauf sollen als Grundlage dienen, um Modelle der Gestaltung von kirchlichen Karrieren in Europa - am Beispiel der "Musterländer" des Reichs und Polens - entwerfen zu können. Die zeitliche Relevanz ist durch die Konzentration auf die Epochenschwelle Spätmittelalter/Frühneuzeit determiniert, gleichwohl bieten sich Anschlußmöglichkeiten für weitere Untersuchungen in Mittelalter und Vormoderne.

Programm

Donnerstag, 25.5.: Einführungsvorträge
18.00 Prof. Dr. THOMAS WÜNSCH, Passau:
Begrüßung
18.15 M. A. SLAWOMIR PUK, Passau:
Eröffnungsvortrag
18.30 Prof. Dr. FRANZ-REINER ERKENS, Passau:
„Faktoren episkopaler Dignität. Aspekte der Bischofs-erhebungspraxis in Passau während des hohen Mittelalters.“
19.00 M. A. ARTUR CHOJNACKI, Krakau/Krakow:
„Monastic Proprietary Church: Step Back or Step Forward in Ecclesiastical Career?”
Freitag, 26.5.:
Moderation: Prof. Dr. Peter Landau, München
9.00 Dr. NATALIA NOWAKOWSKA, Oxford:
“Royal careerists in the fifteenth-century church: the example of Cardinal Fryderyk Jagiellon.”
9.30 Prof. Dr. ROMAN CZAJA, Torun:
„Die geistlichen Intellektuellen im Dienst der Stadt und des Landesherrn. Die Karrieren der städtischen Geistlichkeit im Ordensland-Preussen.“
10.00 Prof. Dr. MAREK DERWICH, Wroclaw:
„Les carrières ecclésiastiques des abbés médiévals (moins et chanoine réguliers – Pologne et Silésie).“
10.30 Kaffeepause
11.00 Dr. CHRISTIANE SCHUCHARD, Berlin:
„Interessenvertreter an der päpstlichen Kurie und ihre Auftraggeber“
11.30 Dr. des. JERZY MAZUR, Boston:
„Between Synagogue and Church - Jewish Converts and Their Ecclesiastical Careers.“
12.00 Dr. des. KAMIL SWIDERSKI, Krakau/Krakow:
„Les carrieres ecclesiastiques des savants universitaires à la fin du XVIe siècle et au debut XVIIe siècle. L’exemple de l’Université de Cracovie.“
12.30 Mittagspause

Moderation: Prof. Slawomir Gawlas, Warszawa

14.30 Dr. ANTONIN KALOUS, Olomouc:
“Jan Filipec: an example of a career of ‘new men’ under Matthias Corvínius, king of Hungary and Bohemia."
15.00 Dr. WALDEMAR KÖNIGHAUS, Warszawa:
„Kirchliche Karrieren in einem schwierigen Umfeld - die Lebuser Domherren auf der Suche nach einem Auskommen zwischen Reich, Schlesien und Polen.“
15.30 Dr. ANNA KOWALSKA-PIETRZAK, Lodz:
„The Importance of the Łęczyca Medieval Chapter in Careers of its Members.”
16.30 Kaffeepause
16.30 Prof. Dr. ANDRZEJ RADZIMINSKI, Torun:
“Polnische Domkapitel des Mittelalters – Modelle der kirchlichen Karrieren.“
17.00 Dr. EWA WOLKIEWICZ, Opole:
„Die Karrieren „im Schatten der Kathedrale“ – Die Offiziale des Bistums Breslau im Mittelalter“
Samstag, 27.5.
Moderation: Dr. Alexander Koller, Rom
9.00 PD Dr. ALMUT BUES, Warszawa:
„Die Kardinäle als Promotoren polnischer Kleriker im 16. Jh."
9.30 M. A. , SLAWOMIR PUK, Passau:
“Päpstliche Nuntien in Polen im 16. Jh. Kirchliche Karrieren zwischen Rom und Krakau.”
10.00 Prof. Dr. BRIGIDE SCHWARZ, Berlin:
"Krisen auf dem deutschen Pfründenmarkt: Beobachtungen zum Repertorium Germanicum V zum Pontifikat Eugens IV.”
10.30 Kaffeepause
11.00 Zusammenfassung

Kontakt

Slawomir Puk

Universität Passau
Innstr. 25
0851 509 2873
0851 509 2872
slawomir.puk@uni-passau.de

http://www.phil.uni-passau.de/geschichte_osteuropa/tagung_karrieren/index.html
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Sprach(en) der Veranstaltung
Deutsch
Sprache der Ankündigung