Während der letzten Jahre gewann der Begriff „Region“ im politischen, ökonomischen und soziokulturellen Sinne an Bedeutung in Südosteuropa. Es gibt eine Reihe von Gründen dafür, warum einerseits Regionalpolitik und regionale Planung wichtiger geworden und andererseits regionale Identitäten und Regionalbewusstsein gestärkt worden sind. Die Staaten Südosteuropas waren in der Vergangenheit – und sind es teilweise heute noch – sehr zentralistisch organisiert; eine Tendenz, die in Rumänien, Bulgarien und Albanien während des Sozialismus an die Spitze getrieben wurde. Wachsender Regionalismus und gar autonomistische Bewegungen können als Reaktion auf diese Konzentration der Ressourcen in den Haupt- und anderen zentralen Städten gesehen werden. Regionalismus kann aber auch als Ergebnis der wachsenden regionalen Disparitäten in Südosteuropa gedeutet werden: Während urbane Regionen immer mehr Menschen und Ressourcen anziehen, werden viele ländlichen Gegenden marginalisiert und entweder entvölkert oder zum Rückzugsgebiet für ethnische Minderheiten oder Rentner (z. T. aus Westeuropa). Auf der anderen Seite könnte sich in der Stärkung der Regionen und insbesondere von Grenzregionen sowie der regionalen Identitäten eventuell auch bereits die Politik der Europäischen Union eines „Europas der Regionen“ widerspiegeln. Die EU-Annäherung führt darüber hinaus auch zur Schaffung regionaler Verwaltungseinheiten, welche die EU-Strukturprogramme administrieren sollen – diese administrativen Realitäten können in Zukunft auch Identitäten beeinflussen. Regionalismus kann aber auch als Folge der immer stärker werdenden Auswirkungen der Globalisierung auf Südosteuropa gedeutet werden.
Aus diesen Gründen, die im Detail noch erforscht werden müssen, wurden Regionen und Regionalismus zu Fragen, mit denen sich in Südosteuropa nicht nur Politik und Regionalplanung, Wirtschaftswissenschaften und Geografie, Demografie und Soziologie, sondern auch Ethnografie und Anthropologie beschäftigen. Nach einer Periode der Betonung der „Entterritorialisierung von Kultur“ beobachten wir heute in den ethnologischen Wissenschaften einen „räumlichen Wandel“, der den geografischen Raum und somit auch die „Region“ zurück in die Aufmerksamkeit gebracht hat – und zwar sowohl im Sinne einer Konstruktion als auch einer alltäglichen Realität.
Die 4. Konferenz der Internationalen Vereinigung für Südosteuropäische Anthropologie (InASEA) will Probleme der Regionen, der Regionalismen, der regionalen Kulturen und Identitäten im südöstlichen Europa v. a. aus anthropologischen und ethnografischen Perspektiven behandeln. Wir laden Kolleginnen und Kollegen ein, ihre empirischen Forschungen über gegenwärtige oder historische südosteuropäische Regionen mit einem Fokus auf soziokulturelle Fragen sowie ihre theoretischen Überlegungen zu präsentieren: Auf der Tagung soll es um regionale Kulturen und ihre Konstruktion, um regionale Identitäten, um das alltägliche „Funktionieren“ von Regionen (u. a. von Grenzregionen), um soziale und kulturelle Konsequenzen regionaler Disparitäten u. ä. gehen.
Wissenschaftler/innen aus Nachbardisziplinen, wie Geschichte, Geografie und Soziologie, sind ebenfalls eingeladen, Referatsvorschläge einzureichen, sofern sie sich mit den Themen der Tagung aus soziokulturellen Perspektiven beschäftigen.
Referatvorschläge können auf Englisch, Deutsch oder Französisch eingereicht werden.