"Vernunftrepublikanismus" in der Weimarer Republik. Wissenschaft. Politik und Kultur (Theodor-Heuss-Kolloquium 2006)

"Vernunftrepublikanismus" in der Weimarer Republik. Wissenschaft. Politik und Kultur (Theodor-Heuss-Kolloquium 2006)

Veranstalter
Tagungsleiter: Prof. Dr. Andreas Wirsching, Prof. Dr. Jürgen Eder Ansprechpartner: Dr. Thomas Hertfelder, Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus
Veranstaltungsort
Tagungszentrum Hohenheim, Paracelsusstr. 91, 70599 Stuttgart
Ort
Stuttgart
Land
Deutschland
Vom - Bis
03.10.2006 - 05.10.2006
Von
Gudrun Kruip, Stiftung Bundespraesident-Theodor-Heuss-Haus

Daß sich die Geschichte der Weimarer Republik nicht in einer Vorgeschichte des Jahres 1933 erschöpft, ist ein Gemeinplatz. Gleichwohl dürfte der Eindruck zutreffen, daß nach wie vor die „Belastungsfaktoren“ der ersten deutschen Demokratie größeres Interesse auf sich ziehen als jene Elemente, die zu ihrer phasenweise durchaus beachtlichen Stabilisierung beitrugen. Dies gilt im besonderen für den Bereich des politischen Denkens, wo seit jeher extremistische Potentiale und „antidemokratisches Denken“ (Sontheimer) im Mittelpunkt des Forschungsinteresses standen.
Demgegenüber ist der von Friedrich Meinecke geprägte Begriff des „Vernunftrepublikanismus“ zumeist ein Schlagwort geblieben, das überdies leicht durch Ex-post-Ansprüche politischer Pädagogik überfrachtet zu werden droht. Zu fragen bleibt aber, ob der Begriff nicht doch ein Phänomen kennzeichnen könnte, das mehr meint als eine Anpassungsleistung in Teilen des Bildungsbürgertums zu Beginn der Weimarer Republik: ein Phänomen, das möglicherweise weitaus verbreiteter war, als gemeinhin angenommen, und daher als ein allgemeineres Merkmal der Weimarer politischen Kultur begriffen werden könnte.
Eine Arbeitshypothese, die der Tagung zugrunde liegt, besteht dabei in der Vermutung, daß vernunftrepublikanische Haltungen in ganz unterschiedlichen Milieus, Traditionen und Kontexten entstanden, daß sich aber ihre Akteure gegenseitig nicht – oder nicht ausreichend – erkannten. Ziel ist es daher, einen solchen Erkenntnisprozeß gleichsam retrospektiv in Gang zu setzen, und zu diesem Zweck ist das Programm strikt interdisziplinär angelegt. Wir fragen nach vernunftrepublikanischen Tendenzen, Haltungen und Netzwerken in Wissenschaft und Literatur, Wirtschaft, Gesellschaft und Politik. Überdies wird es um die Frage gehen, inwieweit es einen Vernunftrepublikanismus von „links“ gab, den der erklärte Verzicht auf utopisches Denken kennzeichnete. Damit sind Perspektiven benannt, die über das bislang allenfalls schlagwortartige Verständnis von „Vernunftrepublikanismus“ weit hinausgehen.
In diesem Rahmen ist zunächst zu prüfen, inwieweit sich der Begriff analytisch trennscharf machen läßt. Hiervon ausgehend soll danach gefragt werden, ob er ein Instrument sein kann, das demokratisches Denken und republikverbundene Mentalitäten noch genauer aufzuspüren vermag, als dies bisher der Fall ist. Die Referenten werden gebeten, diesen Problemhorizont aus ihrer jeweiligen fachlichen Perspektive zu reflektieren und zum Kern ihres Beitrages zu machen. Zur Anregung seien im folgenden einige Leitfragen aufgeführt, wobei es sich selbstverständlich weder um einen erschöpfenden noch um einen verbindlichen Katalog handeln kann.

1. Inwieweit ist es möglich, den Begriff der Vernunft quellenmäßig zu füllen und welche Rolle spielte er gegebenenfalls für das Selbstverständnis und die Praxis der infrage stehenden Akteure? Ist ein Beharren auf „rationalen“ Erkenntnis- und Verfahrensweisen erkennbar, das sich von den seit Ende des 19. Jahrhunderts vor-dringenden a-rationalen Tendenzen in der deutschen (politischen) Kultur absetzte?

2. Wichtig für die Trennschärfe des Vernunftrepublikanismus scheint die Frage nach den Generationen zu sein, bei denen er anzutreffen ist. Inwieweit kann daher von einer generationenspezifischen Haltung gesprochen werden, die bei den Akteuren bestimmte Erfahrungshorizonte oder auch ein bestimmtes Lebensalter voraussetzte?

3. Damit verbindet sich die Frage nach der Haltung zum Kaiserreich als dem entscheidenden zeithistorischen, konstitutionellen und politisch-kulturellen Referenzpunkt der Zeitgenossen. Welche Zusammenhänge lassen sich aufweisen zwischen der Diagnose (und der Kritik) des Kaiserreichs und einer vernunftrepublikanischen Haltung?

4. Welches Demokratieverständnis begegnet bei vernunftrepublikanischen Positionen? Während des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts bleibt der Begriff der Demokratie in Deutschland höchst fluide und wird mit ganz unterschiedlichen plebiszitären, parlamentarischen und präsidialen Elementen aufgefüllt. Vor diesem Hintergrund wäre zu fragen, wie das „westliche Modell“ der Demokratie (gab es ein solches?) wahrgenommen und inwieweit Demokratie und gesellschaftlicher Pluralismus zusammengesehen wurden.

5. Welche Formen vernunftrepublikanischer Praxis sind erkennbar? Damit ist keineswegs nur politische Praxis im engeren, etwa im Sinne parteipolitischer Beteiligung gemeint. Vielmehr gilt es das Augenmerk auf ganz unterschiedliche For-men und Räume kultureller und gesellschaftlicher Praxis zu richten. Dazu können durchaus auch ästhetische Verfahrensweisen zählen. Nur so kann das oben genannte Ziel erreicht werden, nämlich das Gemeinsame der disparaten und heterogen verteilten vernunftrepublikanischen Kräfte zu erkennen.

6. Dies wirft zugleich die Frage nach den Grenzen des Vernunftrepublikanismus auf. Der Begriff der Grenze sollte dabei komplex verwendet werden, also nicht nur im Hinblick darauf, wo die Grenzen der Akzeptanz des Weimarer Staates verliefen. Denn darüber hinaus drängen sich milieuspezifische und kommunikations-geschichtliche Problemstellungen auf: Wo konkurrierte das Beharren auf „Vernunft“ mit anderen tradierten und milieuabhängigen Werten und Normvorstellungen? Inwieweit behinderte die mangelnde Wahrnehmung von und Kommunikation mit anderen Milieus eine breitere Koalition der Vernunftrepublikaner?

Programm

Dienstag, 3.10.2006

14.00 Uhr: Begrüßung

14.15 – 14.45 Uhr: Einführung (Andreas Wirsching, Augsburg)

I. VERNUNFTREPUBLIKANISMUS UND WISSENSCHAFT
Moderation: N.N.

14.45 – 15.15 Uhr: Staatsrechtslehre (Christoph Gusy, Bielefeld)

15.15 – 15.45 Uhr: Diskussion

15.45 – 16.15 Uhr: Pause

16.15 – 16.45 Uhr: Theologie (Matthias Wolfes, Berlin)

16.45 – 17.15 Uhr: Naturwissenschaften/Physik (Margit Szöllösi-Janze, Köln)

17.15 – 18.00 Uhr: Diskussion

18.00 Uhr Abendessen

Mittwoch, 4.10.2006

II. INSTITUTIONEN UND VERBÄNDE
Moderation: N.N.

9.00 – 9.30 Uhr: Willy Haas und die „Literarische Welt“ (Sascha Kiefer, Saarbrücken)

9.30 – 10.00 Uhr: Die Sektion für Dichtkunst in der Preußischen Akademie für Wissenschaften (Michael Ansel, München)

10.00 – 10.45 Uhr: Diskussion

10.45 – 11.15 Uhr: Pause

11.15 – 11.45 Uhr: Vernunftrepublikanismus in den Wirtschaftsverbänden der Weimarer Republik (Wolfram Pyta, Stuttgart)

11.45 – 12.30 Uhr: Diskussion

13.00 Uhr Mittagessen

III. VERNUNFTREPUBLIKANISMUS VON LINKS?
Moderation: N.N.

14.00 – 14.30 Uhr: Utopie und Utopieverzicht in der Weimarer Linken (Rüdiger Graf, Berlin)

14.30 – 15.00 Uhr: Alfred Döblin (Jürgen Eder, Budweis)

15.00 – 15.45 Uhr: Diskussion

15.45 – 16.15 Uhr: Pause

16.15 – 16.45 Uhr: Arthur Rosenberg (Mario Keßler, Potsdam)

17.15 – 18.00 Uhr: Diskussion

18.00 Abendessen

19.15 Bustransfer zum Rathaus Stuttgart

20.00 Uhr Öffentlicher Abendvortrag
Friedrich Meinecke, Gustav Stresemann und
Thomas Mann – drei Wege in die Weimarer Republik
(Horst Möller, München)
Rathaus Stuttgart, Großer Sitzungssaal
im Anschluß Empfang der Stadt Stuttgart

Donnerstag, 5.10.2006

IV. NETZWERKE UND MILIEUS
Moderation: Wolfgang Hardtwig

9.00 – 9.30 Uhr: Friedrich Naumann, Theodor Heuss und „Die Hilfe“ (Thomas Hertfelder, Stuttgart)

9.30 – 10.00 Uhr: Politischer Katholizismus und „Vernunftrepublikanismus“ (Elke Seefried, Augsburg)

10.00 – 10.45 Uhr: Diskussion

10.45 – 11.00 Uhr: Pause

11.00 – 11.30 Uhr: „Vorrede zur Magna Charta der Deutschen Republik“- Ernst Cassirer, der Kreis um Aby Warburg und der Vernunftrepublikanismus
(Thomas Meyer, München/Jerusalem)

11.30 – 13.00 Uhr: Diskussion und Resümee (Jürgen Eder,
Andreas Wirsching)

13.00 Uhr: Mittagessen

14.00 Uhr: Abreise

Kontakt

Dr. Thomas Hertfelder

www.stiftung-heuss-haus.de
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