Die athenische Demokratie des 5. und 4. Jh.s v. Chr. war in vielfacher Hinsicht ein prekäres, auf Integration und Abgrenzung basierendes gesellschaftliches Unternehmen. Zum einen mussten die in archaischer Zeit gültigen, aristokratischen Wert- und Verhaltenssysteme inkorporiert werden; zum anderen galt es, den Bürgerbegriff, d.h. die Definition derjenigen Gruppe, die im engeren Sinne politische Partizipationsrechte besaß und auf männliche Vollbürger beschränkt war, den sich im Rahmen neuer Konstellationen wandelnden Leitbildern und Verhaltensidealen anzupassen. Schließlich mussten die neben und innerhalb der Gruppe der männlichen Bürger existierenden sozialen Gruppen in das System der Polis integriert werden, indem beispielsweise ihnen vorbehaltene oder zugängliche Räume der Aktivität, Verhaltensnormen und Interessen definiert wurden. Dies gilt beispielsweise für Sklaven, Frauen, Metöken oder andere, im Laufe des 5. und 4. Jh.s sich etablierende Berufs- oder Aufgabengruppen. Das Thema der Tagung sind die aus diesen Bedingungen hervorgegangenen Konstruktionen von Leit- und Rollenbildern sowie von Räumen und Systemen, in denen sich ihre Kommunikation vollzog, und die Regeln, die sich für die Kommunikation innerhalb dieser Räume und Systeme etablierten.
Der spezifische Ansatz besteht darin, zunächst von zwei Kommunikationssystemen auszugehen, einem sozialen und einem politischen, d.h. auf die Angelegenheiten der Polis bezogenen. Diese beiden Systeme waren nicht hermetisch voneinander abgeschirmt, denn die athenischen Bürger agierten sowohl als soziale wie als politische Subjekte. Es existierten aber nicht nur unterschiedliche Zuordnungen des Einzelnen in diesen Systemen, sondern auch Unterschiede hinsichtlich der normativen Vorstellungen, der Wertigkeit einzelner Ressourcen und der Regeln der Kommunikation innerhalb der Systeme. Diese Systeme funktionierten in unterschiedlichen Räumen innerhalb der Polis. Einerseits waren sie konkret innerhalb der Polis verortet – so bildeten Gerichte und Volksversammlung politische Räume im engeren Sinne mit der Agora als zentralem öffentlichen Bereich –, andererseits zunächst nicht klar lokalisiert, wie das soziale System, das in unterschiedlichen Räumen wirksam war. Hinzu kamen aber beispielsweise mit dem Haus und den Nekropolen Räume oder mit dem Fest und dem Symposion Aktionsfelder, in denen die Präferenz eines Regelsystems nicht erkennbar ist. Die Leitfrage lautet, wie in diesem komplexen Spannungsfeld von Kommunikationssystemen und -räumen normative Vorstellungen und Leitbilder spezifischer Gruppen der Polis entwickelt und kommuniziert wurden und welchen Regeln deren Kommunikation folgte.
Die Tagung wird von der Gerda Henkel Stiftung und von der Stiftung Humanismus Heute gefördert.