Nationalsozialismus und Geschlecht

Nationalsozialismus und Geschlecht

Veranstalter
Kunsthistorisches Institut und Institut für Soziologie der Freien Universität Berlin in Kooperation mit Prof. Dr. Werner Busch und Prof. Dr. Helgard Kramer Wissenschaftliche Konzeption und Organisation Dr. Elke Frietsch und Dipl. Soz. Christina Herkommer
Veranstaltungsort
Clubhaus der Freien Universität Berlin, Goethestrasse 49, 14163 Berlin
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
15.02.2007 - 17.02.2007
Deadline
09.02.2007
Website
Von
Elke Frietsch und Christina Herkommer

Der Nationalsozialismus war deutlich geschlechtsspezifisch organisiert. Gemessen an der weit reichenden Bedeutung, die Geschlechterbildern bei der Propagierung und Durchsetzung der nationalsozialistischen Weltanschauung zukam, gibt es nur sehr wenige Studien zur Kategorie Geschlecht im ›Dritten Reich‹. Die Tagung ›Nationalsozialismus und Geschlecht‹ versucht diesem Forschungsdesiderat zu begegnen. Vorhandene Denkansätze aus der feministischen Theorie werden aufgenommen und aus interdisziplinärer und internationaler Perspektive weiterentwickelt.
Die Bezugnahme der Tagung auf feministische Ansätze legitimiert sich aus der Forschungslage: Es ist das Verdienst der feministischen Theorie, die Wichtigkeit der Kategorie Geschlecht für das Funktionieren der nationalsozialistischen Herrschaft kenntlich gemacht zu haben. Die feministische Forschung entfachte in ihren Anfängen in den 1970er Jahren nicht nur eine Diskussion um die Position des ›Weiblichen‹ in der gegenwärtigen Gesellschaft, sondern fragte auch nach der Rolle von Frauen in der Geschichte und hier insbesondere während der Zeit des Nationalsozialismus. Dabei tat sich die Frauenforschung zunächst schwer mit dem nationalsozialistischen Erbe. Vor allem die Frage, ob die weibliche Bevölkerung in ihrer überwiegenden Anzahl Opferdes NS-Systems gewesen sei, oder ob sie sich maßgeblich an Aufbau und Erhalt der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft beteiligt habe, wurde zum zentralen Thema. Hieran entzündete sich eine breit und kontrovers geführte Debatte, die bis weit in die 1990er Jahre andauerte und weitestgehend in dem Konsens endete, dass Frauen, abhängig von ihrer politischen Einstellung, ethnischen Zugehörigkeit und gesellschaftlichen Position zur Zeit des Nationalsozialismus, Opfer, Täterinnen, Zuschauerinnen, Mitläuferinnen oder Widerstandskämpferinnen sein konnten. Jedoch scheint es, als wäre der kritische Diskurs zur Rolle von Frauen im ›Dritten Reich‹ innerhalb der Frauen- und Geschlechterforschung mit der Feststellung, dass Frauen eine Vielfalt von Rollen im Nationalsozialismus einnahmen, eingeschlafen. So gibt es zwar auch weiterhin Untersuchungen zu Frauen im Nationalsozialismus, diese stehen aber eher nebeneinander, als kritisch aufeinander Bezug zu nehmen. Die Annahme einer Rollenvielfalt von Frauen im ›Dritten Reich‹ bedeutet jedoch keineswegs, dass die Frage nach der Kategorie Geschlecht ad acta gelegt werden kann. Vielmehr scheint erst die Absage an Naturalisierungen und Essentialisierungen von ›Weiblichkeit‹ eine differenzierte Analyse der vielfältigen Verbindungen von Sexualität, ›Rasse‹ und Macht zu ermöglichen. Anliegen der Tagung ist es, die kritische Diskussion wieder aufzunehmen und neue Ansätze zur Erforschung der Bedeutung von Geschlecht im Nationalsozialismus vorzustellen, miteinander zu verknüpfen und theoretische, analytische und methodische Hintergründe zu diskutieren, da nur so unzulässigen Vereinfachungen, Essentialismen und ›Re-Objektivierungen‹ entgegen getreten werden kann. Präsentiert werden Beiträge aus den Medien- und Kunstwissenschaften, der Geschichtswissenschaft, der Soziologie, den Kulturwissenschaften und der Rechtswissenschaft. Die Vorträge beschäftigen sich mit Machtstrukturen im Nationalsozialismus zwischen den Geschlechtern, mit der Bedeutung der Kategorie Geschlecht innerhalb der nationalsozialistischen Weltanschauung, Kunst und Kultur, mit Symbol- und Körperpolitiken, mit Sexualität, Sexualbildern und sexualisierter Gewalt im Nationalsozialismus sowie mit Geschlechterbildern in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus nach 1945. Durch die interdisziplinäre Herangehensweise wird versucht, einen möglichst umfassenden Überblick über die Kategorie Geschlecht im ›Dritten Reich‹ zu geben. Ein solches Vorgehen ist dringend erforderlich, denn Tagungen und Sammelbände aus dem Bereich der NS-Frauenforschung seit den 1990er Jahren bewegen sich leider oft entweder innerhalb der engen Grenzen einer einzigen Disziplin oder innerhalb einer eng definierten Fragestellung – etwa den Handlungsräumen von Frauen im ›Dritten Reich‹. Weiterreichende Fragestellungen und Herangehensweisen finden sich bislang fast ausschließlich innerhalb der Antisemitismusforschung. Die Tagung ›Nationalsozialismus und Geschlecht‹ versucht, diese Herangehensweise für die Forschung zum Nationalsozialismus nutzbar zu machen.

Die Tagung unterteilt sich in fünf Themenfelder. Der erste Teil steht unter der Fragestellung ›Geschlechterforschung zum Nationalsozialismus: Neue Perspektiven – Alte Konflikte?‹ Die Vorträge widmen sich der Frage, warum die Ergebnisse der Geschlechterstudien für die Forschung zum Nationalsozialismus bislang noch so wenig nutzbar gemacht wurden. Darüber hinaus wird die Notwendigkeit betont, Fragestellungen zur Kategorie Geschlecht in die NS-Forschung einzubeziehen, um das nationalsozialistische Unrechtsregime und seine Ideologie möglichst umfassend analysieren zu können. Im zweiten Teil geht es um den noch weitgehend unerforschten Bereich der Sexualität im Nationalsozialismus. Präsentiert werden Forschungsergebnisse zur sexuellen Gewalt gegen Frauen während der Verfolgung, zur NS-Bevölkerungspolitik und zu den Liebesbeziehungen zwischen deutschen Frauen und Zwangsarbeitern resp. Kriegsgefangenen. Der darauffolgende Teil steht unter dem Motto ›Geschlechterbilder in medialen Inszenierungen‹. Hier geht es zum einen darum, welche Rolle Geschlechterbilder im propagierten Körper- und Gesellschaftsbild spielten, wie es in Kunst und Kultur zum Ausdruck kam und welche Identifikationsangebote dabei für deutsche Frauen und Männer gemacht wurden. Zum anderen wird danach gefragt, wie Geschlechterbilder bei der Konstruktion des Verfemten, Ausgegrenzten eingesetzt wurden. Der nachfolgende vierte Teil fragt nach den Handlungsräumen von Frauen während der Verfolgung. Dargelegt wird, auf welche Weise Frauen im Widerstand und in der Verfolgung aber auch als ›Nationalsozialistinnen‹ andere Erfahrungen machten als Männer und in welchen Bereichen weibliche und männliche Erfahrungen sich ähnelten. Welchen gesellschaftlichen Bedingungen und welcher Rechtsprechung unterlagen die männliche und weibliche Bevölkerungsgruppe? Der abschließende Teil widmet sich der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus nach 1945. Anhand einer Analyse von Prozessakten der Entnazifizierungsverfahren wird gezeigt, welche Rolle die Kategorie Geschlecht bei der Bewertung politischer Rollen im NS-System spielte. Darüber hinaus wird thematisiert, wie Geschlechterbilder im Gedenken an den Nationalsozialismus eingesetzt wurden und werden.

Anmeldungen bis zum 9. Februar 2007 per mail an
ns-gender@gmx.de
Tagungsgebühren (inklusive Verpflegung): 30 Euro, ermäßigt 20 Euro

Programm

Interdisziplinäre und internationale Tagung:
Nationalsozialismus und Geschlecht
Freie Universität Berlin, 15.-17. Februar 2007
Clubhaus der Freien Universität Berlin
Goethestraße 49, 14163 Berlin

Eine Tagung des Kunsthistorischen Instituts und des Instituts für Soziologie der Freien Universität Berlin in Kooperation mit Prof. Dr. Werner Busch und Prof. Dr. Helgard Kramer, mit freundlicher Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Wissenschaftliche Konzeption und Organisation
Dr. Elke Frietsch und Dipl. Soz. Christina Herkommer

Tagungsprogramm

Donnerstag, 15. Februar 2007

14:30 Anmeldung zur Tagung und gemeinsames Kaffeetrinken

15:00 Begrüßung (Sybill De Vito-Egerland, Außenamt der FU Berlin)

15:15 Einführung (Dr. Elke Frietsch/Christina Herkommer)

Geschlechterforschung zum Nationalsozialismus: Neue Perspektiven – Alte Konflikte?

Moderation: Prof. Dr. Gabriella Hauch (Linz)

16:00-16:45 Prof. Dr. Johanna Gehmacher (Wien):
„Frauen im Umfeld der Macht. Populäre und wissenschaftliche Perspektiven auf Frauen der NS-Elite“
16:45-17:30 Prof. Dr. Silke Wenk (Oldenburg):
„Expositionen des Obszönen als Verdrängung eigener Gegenwart? Zum Umgang mit dem Nationalsozialismus in der visuellen Kultur“
17:30-18:15 Prof. Dr. Lerke Gravenhorst (Ahrensburg):
„NS-Verbrechen und die staatlich-gesellschaftliche Hegemonie spezifischer männlicher Partialkulturen“

Gemeinsames Abendessen

Freitag, 16. Februar 2007

Sexualität im Nationalsozialismus

Moderation: Dr. Helga Amesberger (Wien)

9:00-9:45 Dr. Brigitte Halbmayr (Wien):
„Sexualisierte Gewalt gegen Frauen während der NS-Verfolgung“
9:45-10:30 Robert Sommer (Berlin):
„Maskulinität und sexuelle Ausbeutung. Bordellgänger in Konzentrationslagern“

Kaffeepause

10:45-11:30 Dr. Florence Vienne (Braunschweig):
„Zwangssterilisation, Sterilitätsforschung und -behandlung an Männern zwischen 1933 und 1945. Neue Fragen für die NS- und Geschlechterforschung“
11:30-12:15 Dr. Patrice Arnaud (Paris):
„Die deutsch-französischen Liebesbeziehungen der französischen Zwangsarbeiter und beurlaubten Kriegsgefangenen im ‚Dritten Reich’: Vom Mythos des verführerischen Franzosen zur Umkehrung der Geschlechterrolle“

Gemeinsames Mittagessen

Geschlechterbilder in medialen Inszenierungen

Moderation: Dr. Elke Frietsch (Berlin)

14:00-14:45 PD Dr. Hildegard Frübis (Berlin):
„Retuschierte Bilder. Anne Frank und ihre Rezeption nach 1945“
14:45-15:30 Dr. Andrea Germer (Tokyo):
„NS-Frauen-Warte und Nippon Fujin: Visuelle Inszenierung von Geschlecht in Deutschland und Japan während des Zweiten Weltkrieges“

Kaffeepause

16:00-16:45 Dr. Monika Pater (Hamburg):
„Männliche Tatkraft und weibliches Sein – Eine Radioidylle von 1933-1940“
16:45-17:30 Irina Scheidgen (Hamburg):
„Frauenbilder im Spielfilm, Kulturfilm und in der Wochenschau des ‚Dritten Reichs’“
17:30-18:15 Dr. Barbara Schrödl (Linz):
„Bilder partieller Emanzipation. Künstlerpaare im NS-Spielfilm“

Offene Diskussion bis ca. 19:00 Uhr

Samstag, 17. Februar 2007

Handlungsspielräume von Frauen im Nationalsozialismus

Moderation: Johannes Schwartz (Berlin)

9:00-9:45 Dr. Claudia Schoppmann (Berlin):
„Flucht in den Untergrund. Jüdische Frauen in Deutschland, 1941-1945“
9:45-10:30 Dr. habil. Viola Schubert-Lehnhardt (Halle):
„Sichtweisen auf Schuld und Täterschaft bei Mitarbeiterinnen im Gesundheits- und Pflegebereich in der Zeit des Nationalsozialismus“

Kaffeepause

10:45-11:30 Thomas Roth (Bonn):
„‚Verführbare Frauen’ und ‚unverbesserliche Weibspersonen’. Zum Stellenwert der Kategorie ‚Geschlecht’ in der nationalsozialistischen Strafrechtspflege“
11:30-12:15 Lavern Wolfram (Berlin):
„SS-Aufseherinnen – Parteigängerinnen der NSDAP?“

Gemeinsames Mittagessen

Gedächtnis und Geschlecht

Moderation: Christina Herkommer (Berlin)

14:00-14:45 Dr. Simone Erpel (Berlin):
„‚Bestien oder ganz normale Frauen?’ Ravensbrücker Oberaufseherinnen vor dem britischen Militärgericht in Hamburg 1948“
14:45-15:30 Dr. Massimiliano Livi (Florenz):
„Die Bedeutung der Kategorie Geschlecht für die Bewertung politischer Rollen im NS-System: Der Fall der Entnazifizierung von Gertrud Scholtz-Klink“

Kaffeepause

16:00-16:45 Dr. Sabine Grenz (Berlin):
„Zwischen Schuld und Opfer. Tagebücher ‚deutscher’ Frauen über das Ende des Zweiten Weltkrieges“
16:45-17:30 Dr. Gudrun Hauer (Wien):
„Aimée und Jaguar: Eine Analyse der Rezeptionsgeschichte“
17:30-18:15 Dr. Iris Wachsmuth (Berlin):
„Tradierungsweisen von Geschlechterbildern in Auseinandersetzungen mit der Familiengeschichte im Nationalsozialismus“

Abschließende Diskussion bis ca. 19:00 Uhr

Kontakt

Christina Herkommer

Freie Universität Berlin, Institut für Soziologie

ns-gender@gmx.de