Polizeigeschichte

Veranstalter
Lehreinheit Geschichtsdidaktik Historisches Seminar Universität Leipzig
Veranstaltungsort
Zeitgeschichtliches Forum Leipzig
Ort
Leipzig
Land
Deutschland
Vom - Bis
12.07.2007 - 14.07.2007
Deadline
15.04.2007
Von
Martin Lücke, Leonard Schmieding, Michael Sturm

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

in diesem Jahr wird das 18. Kolloquium zur Polizeigeschichte von der Lehreinheit Geschichtsdidaktik am Historischen Seminar der Universität Leipzig organisiert. Die Tagung wird vom 12. – 14. Juli 2007 in den Räumen des Zeitgeschichtlichen Forums Leipzig stattfinden.

Das Kolloquium zur Polizeigeschichte trifft sich einmal jährlich und stellt mittlerweile ein kontinuierliches Diskussionsforum für neuere Polizeihistorische Forschungen dar. Das Kolloquium bietet insbesondere jüngeren WissenschaftlerInnen die Möglichkeit, ihre Forschungsergebnisse in einem interdisziplinär arbeitenden Rahmen zu präsentieren und zu diskutieren. Das Spektrum der thematischen Felder variiert dabei ebenso wie die methodischen Zugriffe. In diesem Jahr wollen wir uns schwerpunktmäßig mit dem Themenfeld "Polizei und Körper" beschäftigen.

Polizei und Körper
In den vergangenen 20 Jahren haben sich die Schwerpunkte der Polizeihistorischen Forschung verschoben: Dominierten in der Polizeigeschichte bis dahin vor allem traditionelle verwaltungsgeschichtliche Zugänge, so haben mittlerweile Untersuchungen zu polizeilichen Praktiken, Selbstbildern und Fremdzuschreibungen an Bedeutung gewonnen. Das Erkenntnisinteresse richtet sich nunmehr verstärkt auf das Beziehungsgeflecht zwischen Polizei und Publikum, die jeweiligen Vorstellungen und Erwartungen, die beide Seiten aufeinander projizieren sowie die sich daraus ergebenden Handlungsoptionen. Nicht mehr die Polizei als gesichtsloser abstrakter "Apparat" steht im Mittelpunkt des Interesses, sondern die polizeilichen Akteure mit ihren Ressentiments, Ängsten, Wahrnehmungen und Erfahrungen. Hierfür lassen sich nicht zuletzt die Fragestellungen der Körpergeschichte produktiv nutzen.

Das Interesse an der Historisierung von Körpervorstellungen und –praktiken verbindet Ansätze aus der Medizin- und Biologiegeschichte mit der Geschlechtergeschichte, bezieht spezifisch frauen- und männergeschichtliche Fragen ein, erfordert aber zugleich sozialgeschichtliche wie literatur- und kunstwissenschaftliche Konzepte und Methoden. Der oft erbittert geführte Streit zwischen den so genannten Essentialisten auf der einen und den "Konstruktivisten" auf der anderen Seite ist mittlerweile (fast) beigelegt. Konkreter: Es ist nicht mehr die Frage, ob der menschliche Körper als vordiskursiv gedacht werden soll oder ob sich Körperlichkeit erst durch Diskurse und deren textliche und visuelle Medien herstellt. Vielmehr geht es darum, wie Diskurse, "nicht-diskursive" Praktiken und Erfahrungen aufeinander bezogen sind und sich wechselseitig konstituieren.

Gerade neuere kulturwissenschaftliche Ansätze verfolgen darüber hinaus einen weiteren Aspekt: Sie interpretieren Institutionen wie Staat, Nation, Militär, aber auch Polizei als Kollektivkörper und gehen der Frage nach, wie solche Institutionen als 'Körper' konstituiert werden. Sie beschäftigen sich damit, ob und wie solche Kollektivkörper geschlechtlich kodiert sind, welche Metaphern zur Konstruktion (oder Kritik) beitragen.

Ausgehend von diesen Vorüberlegungen könnte sich das diesjährige Kolloquium zur Polizeigeschichte folgenden Aspekten des Themas "Polizei und Körper" widmen:
1. Der Körper einzelner und massierter PolizistInnen in Interaktionen mit dem Publikum:
- Welche Rolle spielt die Existenz eines geschlossenen Polizeikörpers für die Repräsentation des Staates?
- Welche Praktiken der Selbstinszenierung wie der Selbstrechtfertigung entwickeln PolizeibeamtInnen in geschlossenen Formationen, wie etwa den Polizeibataillonen während des Nationalsozialismus, der Kasernierten Volkspolizei in der DDR oder den Einsatzhundertschaften der Bereitschaftspolizeien in der Bundesrepublik? Zeigt ein Vergleich z.B. mit CRS und Gemeindepolizei (Police municipale) in Frankreich Parallelen?
- Wie werden diese Formationen vom Publikum wahrgenommen?

2. In der Polizei bilden sich unterschiedliche Vorstellungen von Körper heraus, die oftmals in einem konflikthaften Verhältnis zueinander stehen.
- Welche Zusammenhänge lassen sich zeigen zwischen den jeweils spezifisch ausgebildeten polizeilichen Körpern und den Mentalitäten der BeamtInnen? Sind BeamtInnen im Einzeldienst für "massierte" Formationen brauchbar (und umgekehrt)?
- Wie fügten sich die Mitarbeiterinnen der Weiblichen Kriminalpolizei (WKP) während der Weimarer Republik, in der Zeit des Nationalsozialismus und in der Bundesrepublik in das Gefüge der ausschließlich männlich geprägten Institution Polizei ein?
- Welche Rolle spielt die Kategorie 'Geschlecht' in der Ausbildung polizeilicher Körper – welche Veränderungen waren beispielsweise mit der Einstellung von Beamtinnen in die uniformierte Polizei der Bundesrepublik seit dem Ende der 1970er Jahre zu beobachten?
- Welche Funktionen und Aufgaben erfüllten etwa die Mitarbeiterinnen der Gestapo im Kontext von Holocaust und Vernichtungskrieg?
- Wie wichtig sind Ausrüstungsgegenstände wie Schutzbekleidung, Schlagstock und Schusswaffe für polizeiliche Habitusformen und Handlungsmuster?
- Wie wirkt sich das Bewusstsein für die potentielle Verletzungsoffenheit des eigenen Körpers auf das Selbstverständnis von PolizeibeamtInnen aus?
- Wie verarbeiten PolizeibeamtInnen körperliche Gewalterfahrungen und seelische Traumata?
- Wie erlebten etwa preußische Schutzpolizisten die bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen am Ende der Weimarer Republik, die auch unter den Beamten zahlreiche Todesopfer forderten? Welche Auswirkungen hatte der Terrorismus der 1970er Jahre auf das Selbstverständnis der Polizeibeamten in der Bundesrepublik?

3. Die Körper der 'Anderen' als Träger von codierten Bildern, Vorstellungen und Erwartungshaltungen:
- Welche Konfliktdynamiken mit der Polizei ergeben sich aus jugendlich subkulturell geprägten Selbstinszenierungspraktiken?
- Mit welchen körperlichen Ausdrucksformen forderten Mitglieder unterschiedlicher Jugendszenen wie z.B. die Halbstarken zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die Edelweißpiraten in der Zeit des Nationalsozialismus oder Beat Fans, Punks und Skinheads in den beiden deutschen Staaten die Polizei heraus?
- Wie wirkten diese Provokationen auf das polizeiliche Auftreten zurück?

4. Der polizeiliche Körper in der Populärkultur
- Welche Bilder und Vorstellungen von polizeilichen Körpern werden in der Populärkultur hergestellt?
- Wie beeinflussen Filme und Polizeiserien wie "Robocop", "Copland", "Derrick" oder der "Der Bulle von Tölz" unsere Vorstellungen von Polizei und polizeilichen Praktiken?
- Wie wirken sich diese Filme und Serien auf die Selbstbilder von PolizistInnen aus?

Natürlich wird es wie in jedem Jahr wieder eine thematisch offene Sektion geben.

Wir bitten alle, die ihre Forschungsergebnisse im Rahmen des Kolloquiums präsentieren möchten, um die Zusendung eines kurzen Abstracts von maximal einer Seite, das den Titel und eine Inhaltsskizze des geplanten Beitrags (Länge: 20 Minuten) enthält.
Die Zusendungen der Abstracts (per E-Mail) werden erbeten bis zum 15. April 2007 an:

Michael Sturm
Historisches Seminar
Universität Leipzig
Beethovenstraße 15
04107 Leipzig
Tel. 0341/9737060
sturm@rz.uni-leipzig.de

Formlose Anmeldungen für das Kolloquium zur Polizeigeschichte sind bis zum 29. Juni 2007 unter oben genannter Adresse möglich.

Leider können Fahrt- und Unterkunftskosten nicht übernommen werden.
Wir würden uns darüber freuen, wenn Sie diese Ankündigung an interessierte Kolleginnen und Kollegen weiterleiten könnten.

Leipzig, den 31. Januar 2007
Martin Lücke
Leonard Schmieding
Michael Sturm

Programm

Kontakt

http://www.uni-leipzig.de/~geschdid/aktuell.htm