Beweise bauen – Beweise führen

Beweise bauen – Beweise führen

Veranstalter
Centre interdisciplinaire d'études et de recherches sur l'Allemagne - CIERA
Veranstaltungsort
Moulin d’Andé (Normandie)
Ort
Andé (Normandie)
Land
France
Vom - Bis
12.09.2007 - 15.09.2007
Deadline
21.05.2007
Von
CIERA

Die Frage des Beweises – oder der Beweisführung – ist inzwischen, obwohl sie selten als solche thematisiert wird, zu einem zentralen Gegenstand der methodischen Reflektion in den Geistes- und Sozialwissenschaften geworden. Sowohl die Bedeutung als auch die Aktualität dieses Problems resultieren aus der wachsenden Brüchigkeit der von unseren Disziplinen produzierten Wissensbestände. Die Globalisierung hat zu einer tiefen Krise des Objektivitätsparadigmas geführt, das bis in die 1970er Jahre hinein vorherrschend war. Indem sie aufgezeigt hat, dass unser Wis-sen weitgehend vom Kontext seiner Beobachtung und seiner Erarbeitung abhängt, hat sie zu seiner Relativierung beigetragen. Dadurch werden dem Forscher zum einen eine notwendige Zurückhaltung in seiner Beziehung zum Wissen und zu seinen Praktiken auferlegt und zum anderen ein verstärkter methodologischer und reflexiver Anspruch gestellt, mit dem die Besonderheit geistes- und sozialwissenschaftlichen Vorgehens gegenüber anderen Formen der Wissensproduktion mit Wahrheitsanspruch zu begründen ist. Das Seminar möchte diese Fragen der Fabrikation und der Führung des Beweises thematisieren und dabei die Erfahrungen sowie die Vorgehensweisen und unterschwelligen Logiken miteinander konfrontieren, die von Nachwuchswissenschaftler/innen aus unterschiedlichen Disziplinen und nationalen Forschungstraditionen in ihrer Arbeit angewandt werden.

Obwohl die jeweiligen Eigenarten der Disziplinen weiter bestehen – und eines der Anliegen des Seminars wird darin bestehen, die Besonderheiten der verschiedenen lokalen (d.h. disziplinären oder nationalen) Wahrheitskonstruktionen herauszustellen –, so ist eines der Kennzeichen der aktuellen Sozialwissenschaften doch das, was man im Französischen als „bricolage“ bezeichnet, das Basteln und Zusammenfügen verschiedener Teile. „Die Beweisführung ergibt sich gleichermaßen aus der vorgängigen Konstruktion des Objekts und der „Zusammenführung“ von Objektivierungstechniken wie aus der Anwendung eines jeder einzelnen Disziplin eigenen Korpus’ an Methoden und wissenschaftlichem Know-how. Diese „Bastelei“, mit der unterschiedliche Beobachtungsebenen, Standpunkte und Quellenbezüge kombiniert werden, stellt eine Antwort auf die Brüchigkeit der von den Sozialwissenschaften produzierten Wissensbestände dar. Gleichzeitig wirft sie aber eine Reihe von Problemen auf: die Möglichkeit, auf ein gleiches Objekt Metho-den und Theorien anzuwenden, die von völlig verschiedenen, ja gegensätzlichen Voraussetzungen ausgehen; die Gefahr, vom Prinzip eines kumulativen Wissens abzugehen und so die Kriterien für seine Evaluierung und Diskussion zu verwässern; die Schwierigkeit, ein immer vielfältiger werdendes wissenschaftliches Know-how zu erwerben und zu beherrschen und schließlich das Risiko, einem oberflächlichen theoretischen und methodischen Eklektizismus zu verfallen.

Diese Probleme haben zweifellos eine erkenntnistheoretische Dimension, die nicht vernachläs-sigt werden darf. Die Frage des Beweises wird während des Seminars aber vor allem auf einer praktischen Ebene gestellt werden. Damit ist gemeint, dass das Erbringen des Beweises das Ergebnis eines Zusammenspiels zwischen der Konstruktion des jeweils untersuchten Objekts, den Methoden, mit denen die empirischen Daten zusammengestellt werden, und der Aufbereitung dieser Elemente in einer Darstellung ist. Auf diese Weise erlangt die Beweisführung eine Durch-schlagskraft, die nicht von der Autorität der oder des Sprechenden abhängt, sondern sich aus der Gesamtheit der Vorgehensweise ergibt. Das Seminar wird daher versuchen, von konkreten Forschungspraktiken und -beispielen ausgehend die Spannung zu beleuchten, die zwischen der Kontingenz des Wissens und dem Anspruch des Beweises besteht. Die intellektuelle Herausforderung wird dabei darin bestehen, die Problematik nicht in Begriffen der Einzeldisziplinen zu erörtern, sondern zu zeigen, dass sie sich in ähnlichen Formen für die Gesamtheit der geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen stellt. Diese interdisziplinäre Ausrichtung soll dazu beitragen, nicht nur die Zirkulation von technischem Können (arts de faire) zwischen den verschiedenen Disziplinen zu befördern, sondern auch die Begegnung zwischen Wissenschaftler/innen, die in unterschiedlichen nationalen Kontexten ausgebildet wurden, zu erleichtern.

Die einzelnen Beiträge des Seminars werden sich um folgende Themen gruppieren:

(1) Gegenstandskonstitution und Beweis (I): Zeit und Geschichtlichkeit (diachroner Vergleich, „dichte Beschreibung“ und longue durée, stabile und instabile Konjunkturen, Periodisierungsprob-leme und Handhabung der Chronologie)

(2) Gegenstandskonstitution und Beweis (II): Kontextualisierungsprobleme (kulturelle Kontexte und Handlungslogiken, Relevanz und Grenzen der Kontextualisierung, Zusammenspiel von Akteuren, Institutionen, Praktiken und Repräsentationen)

(3) Die Konstruktion des Beweises (I): Quantität und Qualität (Größe und Repräsentativität eines Korpus, Status des Beispiels und des Beispielhaften, Gebrauch des Zeugnisses, Rolle und Gebrauch von künstlerischen und literarischen Konstruktionen für das Aufstellen eines „Bewei-ses“)

(4) Die Konstruktion des Beweises (II): Fragen der Bildlichkeit (Status von visuellen Objekten, Rolle von Ikonographie und Kartographie, argumentative Evidenz von Bildern und ihren Ableitun-gen, Beziehungen zwischen Bildern und Erzählung)

(5) Beweisführung (Problematisierung, Konstruktion der Handlung, rhetorische Figuren, logische Konstruktionen und der Platz von materiellen Objekten, Beziehungen zwischen deduktiver und induktiver Logik)

Bewerber/innen um eine Teilnahme am Seminar werden gebeten, einen von ihren eigenen Arbeiten ausgehenden Vorschlagstext (von 4 bis 5 Seiten) einzusenden, der sich anhand konkreter Beispiele mit einem der fünf gestellten Themen auseinandersetzt. Aus den Bewerbungen werden fünfzehn Vorschläge ausgewählt und ihre Autor/innen gebeten, ihren Vorschlag zu einem Text von etwa fünfzehn Seiten auszubauen. Diese Texte werden Anfang Juli über die Internet-Plattform des CIERA zugänglich gemacht. Alle ausgewählten Texte werden während des Seminars von jeweils anderen Teilnehmer/innen vorgestellt und kommentiert. Im Vorfeld werden dazu entsprechende Panels (Autor/in, Kommentator/in) gebildet. Etwa zehn Bewerber/innen (und insbesondere solche, die noch am Anfang ihrer Forschungsarbeit stehen) können sich zudem ohne einen Textvorschlag bewerben. Sie werden gebeten, einen wissenschaftlichen Lebenslauf und eine Skizze ihres Dissertationsprojektes einzusenden; die ausgewählten Bewerber/innen nehmen am Seminar dann als Hörer/innen und Kommentator/innen teil.

Fünf jeweils halbtägige Sitzungen des Seminars werden Vorträgen und den Projektpräsentationen der Nachwuchswissenschaftler/innen gewidmet sein. In der letzten Sitzung sollen die Beiträge des Seminars in einer Zusammenschau diskutiert und gemeinsame Perspektiven erörtert werden. Die Vorbereitung dieser Abschlussdiskussion wird den als Hörer/innen teilnehmenden Nachwuchswissenschaftler/innen übertragen.

Die Themen des Seminars sollen ein möglichst breites Spektrum an Disziplinen ansprechen (Geschichte, Geographie, Germanistik, Romanistik, Literaturwissenschaft, Kunstgeschichte, Soziolo-gie, Wirtschaftswissenschaften, Rechtswissenschaft, Philosophie, Kulturwissenschaft, Psychologie …).

Ablauf:
Das Seminar findet von Mittwoch, den 12.9., nachmittags bis Samstag, den 15.9.2007, nachmittags statt. Jede halbtägige Sitzung beginnt mit dem Vortrag einer/s Spezialistin/en. Darauf folgen jeweils die Vorstellung und Diskussion der Beiträge der Teilnehmer/innen.

Teilnehmerkreis:
Das Seminar bietet 25 Nachwuchswissenschaftler/innen (Doktorand/innen oder Postdocs) die Möglichkeit zur Teilnahme, unhanghängig von ihrer Nationalität und davon, ob sie in einer vergleichenden Perspektive arbeiten oder nicht bzw. ob ihr Projekt Deutschland oder Frankreich zum Thema hat. Die Arbeitssprachen des Seminars sind Deutsch und Französisch. Jede/r Teilnehmer/in kann sich in der Sprache ihrer/seiner Wahl ausdrücken. Erwartet werden jedoch zumindest ausreichende passive Kenntnisse der jeweils anderen Sprache.

Tagungsort:
Le Moulin d’Andé, Departement Eure (nächster Bahnhof: Val-de-Reuil, der Transport vom Bahnhof zum Moulin d’Andé wird durch Sammeltaxis sichergestellt)

Bewerbung:
Alle Bewerber/innen um eine Teilnahme werden gebeten, ein entsprechendes Online-Formular auf den Internetseiten des CIERA auszufüllen. Die Auswahl der Teilnehmer/innen erfolgt auf der Grundlage der Bewerbungsunterlagen, zu denen gehören: ein wissenschaftlicher Lebenslauf, eine Skizze der laufenden Forschungsarbeiten und ein auf die Thematik des Seminars abgestimmter Textvorschlag, aus dem der Beitrag wäh-rend des Seminars hervorgehen muss. (Bewerber/innen, die nur als Hörer/innen und Kommentator/innen teilnehmen wollen, werden gebeten, nur einen Lebenslauf und eine Skizze ihrer laufenden Forschungsarbeiten einzusenden.)

Einsendeschluss für alle Bewerbungen: 21. Mai 2007
Teilnahmekosten: 50 € (Einschreibgebühren und Beitrag zu den Verpflegungskosten). Die Reisekosten (Bahn 2. Klasse oder Flugzeug zum günstigsten Tarif) und die sonstigen Aufenthaltskosten werden vollständig vom CIERA getragen.

Mehr Infos: www.ciera.fr ; „Formations/séminaire jeunes chercheurs“

Programm

Kontakt

Falk Bretschneider

Maison de la Recherche - CIERA ; 28 rue Serpente
75006 Paris
+ 33 1 53 10 57 36
+ 33 1 53 10 57 39
bretschneider@ciera.fr

http://www.ciera.fr/ciera/spip.php?article539
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