2007 ist das Jahr eines kleinen Leibniz-Jubiläums: 1707 erschien der erste Band der Scriptores rerum Brunsvicensium – dem bis 1711 noch zwei weitere folgen sollten. Diese umfangreiche Quellensammlung, zentriert auf die Geschichte des niedersächsischen Raumes und seiner Fürsten im Mittelalter, aber weit ausgreifend auf das Reich und Italien, ist in einigen Teilen bis heute unersetzt. Sie entstand als Grundlage und Nebenprodukt der Tätigkeit, die den Universalgelehrten über Jahrzehnte am hannoverschen Hofe festhielt: seiner Arbeit an einer (schließlich unvollendet hinterlassenen) welfischen Hausgeschichte. Um dem verschärften Druck des kurfürstlichen Dienstherrn zu begegnen, präsentierte er nach 20 Jahren wenigstens schon einmal einen Teil des Quellenapparats in Gestalt der Scriptores.
Diese Veröffentlichung war aber keinesfalls nur eine Verlegenheitslösung. Leibniz hat sich seit Beginn seiner historiographischen Tätigkeit zum Fürsprecher kritischer Quellenarbeit im Dienste der fides historica gemacht. Auch jenseits seines dienstlichen Auftrags trat er als Quellenherausgeber auf. Mit dem Codex juris gentium diplomaticus (1693/1700), dem Specimen historiae arcanae (1696) und den Accessiones historicae (1698) wurde nur ein kleiner Teil des von ihm gesammelten Materials veröffentlicht, und doch: unter den zu seinen Lebzeiten erschienenen Publikationen stehen die Editionen an erster Stelle. Während Leibniz' eigene Werke größtenteils in den Schubladen verblieben, war er mit den Editionen in der Öffentlichkeit präsent, fanden sie (als Materialsammlungen wie aufgrund der einleitenden methodischen Erörterungen) große Resonanz. Heute wissen wir, dass sie alles andere als vorbildlich sind und den selbstgesetzten Standards keinesfalls genügen konnten. Kam schon zu Leibniz' Lebzeiten derartige Kritik nur vereinzelt zum Ausdruck, so wurde sie im weiteren Verlauf der Zeit immer unwesentlicher angesichts der Langzeitwirkung dieser Werke; bereits ein Blick auf die Wolfenbütteler Ausleihbücher des 18. Jahrhunderts gibt Eindruck davon.
Neben der Fernwirkung gab es eine unmittelbare Rezeption; gespiegelt nicht nur in Rezensionen der europäischen Journale, sondern auch und vor allem in Leibniz' Korrespondenz, die zudem ein zentrales Leibnizthema aufscheinen lässt: ein weit gespanntes Netzwerk aus Korrespondenten und anderen Helfern, das bei der Quellenbeschaffung zum Einsatz kam. Freilich: so umständlich bis dramatisch sich der Weg einzelner Quellentexte aus dem Dunkel der Archive und Bibliotheken darstellen kann: die umfangreichsten Materialien fand Leibniz auf welfischem Territorium – in Wolfenbüttel.
Das haben Studien zu den Scriptores und dem Codex ergeben; Untersuchungen, die immer noch Seltenheitswert haben. Dass das Thema "Leibniz als Historiker" Stiefkind der Leibnizforschung sei, ist schon fast ein Gemeinplatz, auch wenn grundlegende Veröffentlichungen und Übersetzungen und die kontinuierliche Erweiterung der Materialbasis durch das Voranschreiten der historisch-kritischen Leibnizedition inzwischen eine Wende eingeleitet haben. Das gilt erst recht für die Editionen: hier ist noch vieles zu klären und zu entdecken – bei einem Thema, das für Leibniz' unmittelbare Wirkungsgeschichte, sein Bild als "öffentliche Person", alles andere als nebensächlich ist, und das die erst im Gang befindliche Neubewertung des späteren 17. Jahrhunderts im Rahmen der Historiographiegeschichte ebenso betrifft wie die Vorgeschichte der großen Quelleneditionen des 19. Jahrhunderts.
Die Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, die bereits zum großen Leibniz-Jubiläum 1996 ein Arbeitsgespräch über Leibniz und Niedersachsen veranstaltet hat, das Leibniz als Historiker in den Mittelpunkt stellte, bietet nun, elf Jahre später, die Möglichkeit zu einer Fortsetzung mit neuem Hauptakzent. Das zweitägige Arbeitsgespräch wendet sich – über die Leibnizforschung hinaus – vor allem an Mediaevisten, Neuzeit-Historiker und Wissenschaftshistoriker. Thematische Schwerpunkte werden sein Quellenbegriff, Quellensammlung und -einsatz, Wirkungsgeschichte.