Semantik als Grundbegriff der Soziologie?

Semantik als Grundbegriff der Soziologie?

Veranstalter
Universität Bielefeld, Institut für Wissenschafts- und Technikforschung
Veranstaltungsort
Ort
Bielefeld
Land
Deutschland
Vom - Bis
12.06.2008 - 13.06.2008
Deadline
15.01.2008
Website
Von
Fran Osrecki

Seit den späten 1970er Jahren haben Reinhart Koselleck und Niklas Luhmann den Begriff der Semantik aus dem engeren linguistischen Kontext gelöst. Semantik wurde zum Grundbegriff einer historischen Begriffsgeschichte (Koselleck 1979) und im Anschluss daran zum Grundbegriff einer Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft (Luhmann 1980). Seither hat der Begriff eine erstaunliche Eigendynamik entwickelt. So gilt die Unterscheidung von Struktur und Semantik als eines der einflussreichsten Exportprodukte der soziologischen Systemtheorie, und es zeichnet sich eine Karriere ab, in welcher der Semantikbegriff seinen Weg von der Linguistik über die Begriffsgeschichte zur Soziologie fortsetzt und nun auch in weiteren sozial- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen Resonanz erzeugt. Unzählige empirische Studien, die sich konkreten semantischen Phänomenen widmen, verwenden eine an Koselleck und/oder Luhmann angelehnte Terminologie um ihre Gegenstände analytisch zu fassen und in gesellschaftstheoretische Zusammenhänge einzubetten. Allerdings hat die Eigendynamik des Semantikbegriffs auch zu einer Abkopplung von den ursprünglichen Theoriekonzeptionen geführt. Einerseits entstehen so Probleme bezüglich der theoretischen Kohärenz, andererseits bieten sich auch erweiterte Möglichkeiten der Anwendung. Entsprechend haben sich in den letzten Jahren mehrere theoretisch ausgerichtete Aufsätze der Aufgabe gewidmet, die Logik der Unterscheidung von Semantik und Struktur auszubuchstabieren (Stäheli 1998, Kogge 1999, Stichweh 2000).

Niklas Luhmann hatte ein sehr spezifisches wissenssoziologisches Programm verfolgt, in dem es ihm um den Nachweis einer Korrelation zwischen der ernsthaften Semantik und der primären Differenzierungsform einer Gesellschaft ging. In diesem Programm ist
bereits eine Unschärfe in den zentralen Begriffen angelegt: Wie ist das Verhältnis zwischen Semantik als höherstufig generalisiertem, relativ situationsunabhängig verfügbarem Sinn und Semantik als autonomem, philosophisch imprägniertem Wissen? Mit anderen Worten: wie „gepflegt“ muss Semantik sein? Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, mit welchen Strukturen diese Semantik korreliert wird: Geht es um die mit jedem Sinnprozess einhergehenden Selektionsbeschränkungen, oder nur um die hoch voraussetzungsvollen Großstrukturen der Gesellschaft, d.h. um ihre primäre Differenzierungsform?

Die Schwierigkeiten der Begriffsbildung zeigen sich schließlich auch darin, dass Semantik selbst Struktur ist: werden demnach zwei Typen von Strukturen korreliert? Die Tagung widmet sich, ausgehend von den angesprochenen Problemen, folgenden
Fragen:

1. Gibt es eine gepflegte Semantik der funktional differenzierten Gesellschaft? Oder hat man es vielmehr nur noch mit funktionsspezifischen Semantiken zu tun?

2. Kann von einer „wechselseitigen“ Beeinflussung von Gesellschaftsstruktur und Semantik ausgegangen werden? Oder gibt es eine einseitige Abhängigkeit der Semantik von der Struktur?

3. Was unterscheidet den Begriff der Semantik von anderen soziologischen Grundbegriffen (Diskurs, Deutungsmuster, Schemata, Topoi, Selbstbeschreibungen)?

4. Ist der Begriff der Semantik auf den Gegenbegriff der Struktur angewiesen? Oder wäre es sinnvoller, Semantik selbst als eine besondere Form von Struktur auszubuchstabieren?

5. Wie lässt sich der Begriff der Semantik außerhalb der Soziologie fruchtbar machen? Und wie ist das Verhältnis von linguistischen, begriffsgeschichtlichen und soziologischen Semantikbegriffen?

Das Ziel der Tagung ist, diese Fragen sowohl anhand empirischer Fallbeispiele wie auch theoretischer Ansätze zu diskutieren. Im Vordergrund steht dabei weniger die konkrete
Beantwortung der Fragen, als vielmehr eine offene Diskussion, in der die theoretischen Probleme im Kontext von aktuellen empirischen Forschungen expliziert werden sollen.
Es geht demnach nicht einfach um eine Klärung des systemtheoretischen Vokabulars, sondern auch um den Versuch, Semantik unabhängig von der systemtheoretischen Einbettung als einen Grundbegriff der Soziologie zu etablieren.

Geplant und vorläufig zugesagt sind Vorträge von Niels Åkerstrøm Andersen (Kopenhagen), Alfons Bora (Bielefeld), Andreas Göbel (Duisburg-Essen), Heiko Hausendorf (Zürich), André Kieserling (Bielefeld), Werner Kogge (Berlin), Urs Stäheli (Basel) und Rudolf Stichweh (Luzern).

Wir laden hiermit interessierte DoktorandInnen und WissenschaftlerInnen der Sozial-, Geschichts, Sprach- und Kulturwissenschaften ein, insbesondere empirisch ausgerichtete Beiträge zum Themenkomplex der Tagung beizusteuern und mit den eingeladenen Referenten zu diskutieren. Wir bitten um die Zusendung von Abstracts (max. 400 Wörter) bis zum 15. Januar 2008 an David Kaldewey (david.kaldewey@uni-bielefeld.de) und Fran Osrecki
(fran.osrecki@uni-bielefeld.de).

Programm

Kontakt

Fran Osrecki

Universität Bielefeld, IWT, Postfach 100131, 33501 Bielefeld

fran.osrecki@uni-bielefeld.de


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