Wissenschaft zwischen Ost und West. Der Kunsthistoriker Richard Hamann als Grenzgänger

Wissenschaft zwischen Ost und West. Der Kunsthistoriker Richard Hamann als Grenzgänger

Veranstalter
Universitätsbibliothek Marburg (Dr. Bernd Reifenberg) in Kooperation mit Sichtwechsel - Agentur für Kunst und Kulturgeschichte
Veranstaltungsort
Universitätsbibliothek, Kanada-Raum
Ort
Marburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
13.06.2008 - 14.06.2008
Deadline
31.01.2008
Von
Ruth Heftrig

Im Laufe des Jahres 2007 wurde der Nachlass des Kunsthistorikers Richard Hamann (1879-1961) aus dem Bestand der Universitätsbibliothek Marburg archivarisch erschlossen. Ergebnis ist eine Datenbank, die einen Überblick über Werke und Korrespondenzen sowie Forschungs- und Lehrtätigkeit bereit stellt; sie wird ab dem Frühjahr 2008 über die Homepage der Universitätsbibliothek Marburg zugänglich sein. Die Tagung soll Hamanns Rolle als „pendelnden“ Wissenschaftler nach 1945 analysieren und in den zeithistorischen Zusammenhang einordnen. Richard Hamann gilt bis heute als einer der wichtigsten Vertreter der Kunstgeschichte im 20. Jahrhundert. Seine ungewöhnlich lange Karriere (1902 Promotion, 1958 Emeritierung) gewinnt zusätzlich dadurch an Bedeutung, dass sie sich über fünf staatliche Systeme hinweg fortsetzte. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges übernahm Hamann 1947 neben einer Professur in Marburg die Lehrstuhlvertretung an der Berliner Universität (ab 1948 Humboldt-Universität zu Berlin), von der er gegen seinen Willen „entpflichtet“ wurde. Er blieb bis zu seinem Tod 1961 weiterhin als Mitglied der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin Leiter der dortigen Arbeitsstelle für Kunstgeschichte. Eine Vielzahl von Dokumenten des Nachlasses beleuchtet die ungewöhnliche Doppelfunktion des Kunsthistorikers, der sich privat und öffentlich als Bewahrer der geistigen deutschen Einheit zu profilieren versuchte. Mögliche Vortragskomplexe aus den Bereichen Zeit-, Wissenschafts- und Kunstgeschichte werden im folgenden vorgestellt.

Wissenschaftler zwischen Ost und West:
Richard Hamann war einer von mehreren (Geistes-)Wissenschaftlern, die sowohl in der Bundesrepublik als auch in der DDR tätig waren (wie zum Beispiel auch der Romanist Werner Krauss, der Publizistik-Professor Walter Hagemann oder der Germanist Hans Mayer). In einer vergleichenden Analyse sollen die kultur- und wissenschaftspolitischen Bestrebungen von Gelehrten in der frühen Nachkriegszeit bis zum Mauerbau untersucht werden. Konzepte einer geistigen bzw. kulturellen Einheit können hier ebenso thematisiert werden wie Abwägungen zwischen den vermeintlichen Vor- und Nachteilen der beiden staatlichen Systeme. Im Nachlass finden sich zu dieser Thematik u.a. folgende Quellen: Rede Hamanns beim Festakt zum 100jährigen Bestehen der Germanischen Nationalmuseums Nürnberg (1952), in dem der Einheitsgedanke explizit zum Ausdruck kommt; Korrespondenz zwischen dem Marburger bzw. Leipziger Romanisten Werner Krauss; Rede des Publizistik-Professors Walter Hagemann vor dem Nationalrat der DDR (1958); eine Petition westdeutscher Wissenschaftler, Erzieher und Künstler an die vier Außenminister (1955); ein offener Brief Bertold Brechts an die deutschen Künstler und Schriftsteller, 1951; Korrespondenz mit dem Hessischen Landesausschuss für deutsche Einheit (1952); Unterlagen des deutschen Volkskongresses (1947); Briefwechsel zwischen Hamann und dem gerade zum Bundespräsidenten ernannten Theodor Heuss bezüglich der Einheit des deutschen Volkes (1949). In diesem Rahmen können auch die umstrittenen Niederlegungen von historischen Baudenkmalen in Ost-Berlin thematisiert werden. Der Nachlass enthält Dokumente zum Abriss des Berliner (1950) und des Potsdamer Stadtschlosses (1960) sowie der Berliner Bauakademie (1961/62), zum Beispiel Korrespondenzen Hamanns mit Otto Grotewohl und dem Verband deutscher Kunsthistoriker.

Politik des Staatssekretariats für Hochschulwesen:
Das Staatssekretariat für Hochschulwesen (SfH), war verantwortlich für die zentrale Planung und Leitung des Hoch- und Fachschulwesens, für Aus- und Weiterbildung sowie für die Forschungstätigkeit in diesem Bereich. Richard Hamann war als Mitglied desselben an der Entwicklung der Studienpläne für das Fach Kunstwissenschaft maßgeblich beteiligt. Im Nachlass sind Briefwechsel mit dem Staatssekretär Wilhelm Girnus bezüglich der Zukunft des Faches Kunstwissenschaften in der DDR enthalten, z.B. über den wissenschaftlichen Kaderbedarf oder die Entwicklung von Studienplänen. Eine sehr aufschlussreiche Quelle sind Unterlagen eines bislang nicht identifizierten Mediziners über seine Tätigkeit beim SfH und sein Ausscheiden aufgrund eines wissenschaftspolitischen Richtungswechsels innerhalb 1957, die detaillierte Kritik- und Anklagepunkte gegen die DDR-Regierung enthalten.

Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin:
Richard Hamann verfolgte über Jahre die Einrichtung eines kunsthistorischen Forschungsinstituts in Berlin. Nach zähem Ringen erfolgte schließlich 1953 die Gründung einer Arbeitsstelle für Kunstgeschichte bei der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, der Hamann – und zu Beginn auch Edgar Lehmann – als Leiter vorstand. Zu ihren Aufgaben zählten groß angelegte Forschungs- und Publikationsprojekte. Die Akten des Nachlasses ergänzen die Berliner Überlieferung der Akademie.

Nationalpreis der DDR:
Richard Hamann wurde 1949 als einer der Ersten mit dem Nationalpreis der DDR ausgezeichnet, der jährlich für herausragende wissenschaftliche Leistungen verliehen wurde. Zu den weiteren Preisträgern von 1949 gehören u.a. Heinrich Mann, Fred Oelßner und Hermann Abendroth. Der Nachlass dokumentiert die große Resonanz auf die Preisverleihung Hamanns sowie die Verwendung des Preisgeldes für den Ankauf eines großen Fotobestandes für das Kunstgeschichtliche Seminar der HU Berlin aus dem Fundus des Bildarchivs Foto Marburg.

Richard Hamann und Ludwig Justi:
Ludwig Justi (1876-1957) versuchte ebenso wie der fast gleichaltrige Richard Hamann nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs Einfluss auf die kunstpolitischen Entscheidungen in der neu gegründeten DDR zu nehmen. Als früherer Direktor der Berliner Nationalgalerie, der 1933 abgesetzt worden war, versuchte er nach 1945 an seine frühere Tätigkeit anzuknüpfen. Im Alter von 69 Jahren zum Generaldirektor der ehemaligen Staatlichen Museen Berlin ernannt, stieß er im Bereich der Sammlungspolitik seit der Teilung Deutschlands auf Widerstand. Hamanns Nachruf auf seinen verstorbenen Kollegen löste eine Flut von Leserzuschriften aus, wie der Nachlass ausführlich dokumentiert; eine Auswertung wäre evt. erhellend für die Museumspolitik der frühen DDR.

Entlassung Hamanns 1957 und Neubesetzung des Lehrstuhls der HU Berlin:
Im Jahr 1957 wurde Richard Hamann gegen seinen Willen von seiner langjährigen Lehrstuhlvertretung am Kunstgeschichtlichen Seminar der Humboldt-Universität „entpflichtet“; im Nachlass finden sich bislang unbekannte Dokumente zu diesem Vorgang. Auch für die Frage der Neubesetzung des Ost-Berliner Lehrstuhls liefert der Nachlass neue Dokumente.

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Wünschenswert ist Ihre Bereitschaft, unmittelbar mit den neu erschlossenen Quellen in Marburg zuarbeiten und diese für Ihren Vortrag auszuwerten. Bitte senden Sie Ihre Vortragsskizzen (Umfang max. 4000 Zeichen) bis zum 31.1.2008 per E-Mail oder Post an Ruth Heftrig. Die Publikation der Tagungsbeiträge in der Schriftenreihe der Universitätsbibliothek Marburg ist vorgesehen. Bis zur Publikation der Findmittel auf der Homepage der UB Marburg im Frühjahr 2008 richten Sie Ihre Fragen zu einzelnen Bestandsgruppen bitte ebenfalls an Ruth Heftrig.

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