Neun Jahre nach der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ im Jahr 1968 erhielt die Menschenrechtsbewegung, begünstigt durch internationale Abkommen im Rahmen der weltweiten Entspannungspolitik (z. B. durch den Helsinki- Prozess seit 1975) neuen Aufwind. Am 01. Januar 1977 veröffentlichten 242 Bürger/innen der CSSR ein Schreiben an die Prager Regierung, die Charta 77, in der die Einhaltung der Menschen- und Bürgerrechte gefordert wurde.
Die in der Charta gegenüber den Herrschenden erhobenen Anschuldigungen wogen schwer: Die CSSR, angeblich auf dem Weg in eine freie und klassenlose Gesellschaft, sei in Wirklichkeit ein gesetzloser Leviathan, dessen Untertanen von einem unkontrollierten Parteiapparat als permanente Geiseln gehalten würden.
Erste Sprecher der Charta waren der Philosophie- Professor Jan Patocka, der ehemalige Außenminister Jirí Hájek und der Schriftsteller Václav Havel. Bald hatten über tausend Bürger/innen die Charta unterzeichnet, die zu einem Fanal wurde. Damit vollzog sich ein bis dato in der Geschichte der osteuropäischen Dissidentenbewegung einmaliger Vorgang: Ungeachtet aller Folgen hatte sich ein Großteil der geistigen und kulturellen Elite gesammelt, um ein unterschriftliches Bekenntnis zu den Menschen- und Bürgerrechten abzulegen.
Die staatliche Macht hat diese Initiative von vornherein als Umsturzversuch gewertet und geahndet. Patocka starb an den Folgen der Verhöre, Hájek erhielt Hauarrest und Havel und viele weitere wurden zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Letzterer spielte durch sein Werk und Handeln über die tschechoslowakische Dissidentenszene hinaus innerhalb der osteuropäischen Opposition eine herausragende Rolle. Trotz aller Repressalien wirkt die „Charta 77“ weiter, als Idee und als Sprachrohr.
Das Seminar verfolgt zum einen die Absicht, die Entstehungsgeschichte, Ziele und Wirkungen der „Charta 77“ als oppositionelle Plattform aufzuzeigen; zum anderen sollen im Spiegel des Lebens und Werkes Václav Havels (geb. 1937) Widerstand und Ansätze einer demokratischen Kultur innerhalb des autoritären Systems der damaligen CSSR beleuchtet werden.
Referenten:
Prof. Dr. Jaroslav Sabata ist Philosoph, Psychologe, Politiker. Er war Sprecher der "Charta 77" und Mitbegründer der "Bewegung für die Freiheit der Bürger" 1988. Er lebt in Brno.
Wolfram Tschiche studierte Theologie und war Mitglied in der Friedens- und Bürgerrechtsbewegung der DDR. Heute arbeitet er als Freiberufler in der politischen und philosophischen Bildung.
Sascha Möbius studierte Anglistik und Geschichte und ist seit 2006 Leiter der Gedenkstätte Moritzplatz Magdeburg für die Opfer politischer Gewaltherrschaft 1945-1989.
Das Seminar richtet sich an alle am Thema Interessierten.
Es ist anerkannt als Lehrerfortbildung unter WT1/08-060-12 LISA.