Technologietransfer. Analyse der schweizerischen Entwicklung, 18.–20. Jahrhundert/Technology transfers: Switzerland as a case study

Technologietransfer. Analyse der schweizerischen Entwicklung, 18.–20. Jahrhundert/Technology transfers: Switzerland as a case study

Veranstalter
Pierre-Yves Donzé, Kyoto University / FNS ; Cédric Humair, Universität Lausanne / EPFL ; Malik Mazbouri, Universität Lausanne
Veranstaltungsort
Universität Lausanne
Ort
Lausanne
Land
Switzerland
Vom - Bis
06.11.2009 - 07.11.2009
Deadline
15.10.2008
Von
Pierre-Yves Donzé, Kyoto University / FNS ; Cédric Humair, Universität Lausanne / EPFL ; Malik Mazbouri, Universität Lausanne

Call for Papers

Technologietransfer. Analyse der schweizerischen Entwicklung, 18.–20. Jahrhundert

Organisatoren: Pierre-Yves Donzé, Kyoto University / FNS ; Cédric Humair, Universität Lausanne / EPFL ; Malik Mazbouri, Universität Lausanne
Datum : 6. und 7. November 2009
Ort der Tagung: Universität Lausanne

Thema der Tagung
Die Technikgeschichte und die Techniksoziologie sind stark auf die Phasen der Erforschung und der Entwicklung der Innovationen und weniger auf die internationale Verbreitung neuer Techniken und der Entwicklung von deren sozialer Anwendung ausgerichtet. In Realität ist die Innovation im engeren Sinn in einer Volkswirtschaft nur ein ziemlich limitierter Teil der Technikanwendung, während der grössere Teil auf den internationalen Transfer neuer Techniken zurückgeht.
Die bisherige technikgeschichtliche Perspektive hat eine beschränkte Aussagekraft für eine Geschichte, die die grossen Entwicklungslinien gegenwärtiger Gesellschaften analysieren will. Die Innovationen gewähren nur einen beschränkten historisch-analytischen Zugang zu den meisten historischen Fragestellungen. Dies entspricht aber in keiner Weise der Bedeutung der stark verbreiteten Technologien, sei dies im Bereich des Militärs, der Arbeitswelt oder der Medien. Im Rahmen der Wirtschaft ist der Techniktransfer nicht nur im Prozess der Industrialisierung von hervorragender Bedeutung, sondern ebenso in der Entwicklung der Konsum- und Freizeitgesellschaft.
Obwohl noch wenig erforscht, wurde der Techniktransfer während der 1970er- und 1980er-Jahre in der internationalen Literatur namentlich in wirtschaftshistorischer Perspektive schon in mehreren Monographien und Fallstudien Gegenstand systematischer Reflexion. Erste Synthesen wurden von David J. Jeremy und von Kristine Bruland vorgelegt, die die Rolle der Akteure (multinationale Unternehmen, Kartelle, öffentliche Körperschaften etc.) und der Antriebkräfte (Arbeit, Kapital, Märkte, technisches Know-how etc.) im Technologietransfer feststellen. Sie haben auch gezeigt, dass seit der industriellen Revolution die weltweite Ausbreitung der Technologien in gut unterscheidbaren Phasen, zunächst unter britischer Dominanz (1750–1880), dann in multilateralen (1880–1960) und endlich in transnationalen Beziehungen erfolgte (seit den 1960er-Jahren).
Für die Schweiz ist der internationale Techniktransfer noch nicht systematisch untersucht worden. Einige Autoren/innen berührten das Thema in unternehmensgeschichtlichen Monographien oder in Studien über einzelne Wirtschaftszweige. Aber eine gründliche und systematische Auseinandersetzung mit dem Thema fehlt bis anhin. Das bisherige Desinteresse der schweizerischen Geschichtsschreibung ist umso erstaunlicher, als in der Schweiz besonders im 18. und 19. Jahrhundert der Technologietransfer viel öfter und stärker die Basis für die wirtschaftliche Entwicklung bildete als auf schweizerische Wurzeln zurückgehende Innovationen. In der schweizerischen Wirtschaftsentwicklung wurde eine Vielzahl von Verfahren und Techniken übernommen, die vorher in anderen europäischen Ländern, besonders aber in England entwickelt worden waren. In dieser Hinsicht ist der Fall der Textilindustrie besonders ergiebig: Studienreisen, Industriespionage, Import von Maschinen, Abwerbung von ausländischen Technikern etc. Seit dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts entstanden in der schweizerischen Wirtschaft einige spezialisierte Bereiche eigenständiger Technikentwicklung und in diesen hervorragende Unternehmen (Farbstoffchemie, Pharma, Elektrotechnik, Schokolade, Milchverarbeitung etc.). Auch wenn der Technologietransfer vor allem über die Importe bedeutend blieb, gelang es nun zahlreichen schweizerischen Unternehmen, sich in den Prozess der Innovation einzuschreiben, in welchem nun diese ihrerseits zu Exporteuren von Technologien wurden. Dies traf in besonderem Masse auf multinationalen Unternehmen zu, deren Know-how nun als Direktinvestitionen und als Lizenzproduktion exportiert wurde.

Themenvorschläge
Der schweizerische Rahmen bietet sich zur Erforschung der Fragen des Techniktransfers in besonderem Masse an. Er erlaubt das Studium einer Reihe von Themen, die für den Zeitraum vom 18. bis zum 20. Jahrhundert weit über die engere Technikgeschichte hinausführen und sowohl die wirtschaftliche, als auch die soziale und kulturelle Entwicklung mit einschliessen. Es ist das Ziel der Tagung, eine Anzahl origineller Beiträge zu vereinigen, die verschiedene Seiten des Technologietransfers in die Schweiz und aus der Schweiz erfassen. Dabei können etwa die folgenden Themen behandelt werden.
1) Die erste Phase der schweizerischen Industrialisierung zeichnet sich durch einen massiven Technologietransfer aus. Dieser Befund stellt die Frage nach den konkreten Möglichkeiten des Importes neuer technischer Objekte. Welches sind die wichtigsten Antriebskräfte des Technologietransfers? Wie und wo verschafften sich die Industriellen das notwendige technische Know-how, um diese Technologietransfers zu realisieren? Diese Frage stellt sich besonders angesichts der Tatsache, dass es in der Schweiz bis in die 1850er-Jahre keine Möglichkeit zur höheren polytechnischen Ausbildung gab. Welche Rolle spielte der fehlende Patentschutz, der in der Schweiz noch bis 1888 andauerte?
2) Der Prozess von der Einführung neuer Technologien bis zum Produktionsprozess verlief in der Schweiz nicht einförmig. Während der Genferseeregion über das ganze 19. Jahrhundert hinweg hinsichtlich des Transfers von Transport- und Energietechnologie eine Pionierrolle zukam, begannen nur wenige Unternehmen eine entsprechende eigene Produktion. Im Gegensatz dazu wurden Technologien wie das Dampfschiff oder die Drahtseilbahn in der Ostschweiz erst später eingeführt, wo sie sich aber zu wichtigen exportorientierten Produktionszweigen entwickelten. Wie ist dieser unterschiedliche Umgang mit dem Technologietransfer zu erklären? Waren die Produktionsfaktoren oder die Handelsbeziehungen in der Westschweiz ungünstiger? Oder waren dafür kulturelle Gründe wie mangelnder Unternehmergeist oder das Misstrauen der Elite gegenüber der Industrie ausschlaggebend?
3) Der Import der Technologie und der Übergang zur Produktion erfolgten in einem selektiven Prozess. Während die schweizerische Wirtschaft gewisse Techniken schnell adaptierte, wurden andere nicht oder nur mit einer gewissen Verspätung aufgenommen. Dieses Phänomen kann mit technischer Pfadabhängigkeit oder mit ökonomischen Gründen (Kartelle; kleine militärische Nachfrage) erklärt werden. Aber es sind auch die sozio-kulturellen Bedingungen zu bedenken, so beispielsweise die Opposition gewisser Berufsgruppen gegen die Einführung neuer Techniken.
4) In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gelangte die schweizerische Wirtschaft in einigen Sparten der Technologie an die Spitze, nachdem sie in diesen in kurzer Zeit den Übergang vom Technologietransfer zur Innovation vollzog. Wie wurde dieser Übergang möglich? Welche Bedingungen waren notwendig für die hochtechnologische Produktion – Kapital, technische Ausbildung, Patentschutz?
5) Vor dem Ersten Weltkrieg haben die meisten Industriezweige, die Spitzentechnologie exportierten (Chemie, Maschinen, Nahrungsmittel), ihre Produktion ausgesprochen multinational organisiert. Welche Rolle spielten die Multinationalen und die Kartelle im internationalen Transfer schweizerischer Technologie? In welchem Mass und in welcher Form hatte der schweizerische Technologieexport Teil an der wirtschaftlichen Entwicklung der importierenden Länder?
6) Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts spielten die öffentlichen Körperschaften, im Speziellen der Bund und die staatlichen Unternehmungen, eine wichtige Rolle im Technologietransfer. In einigen Bereichen wie dem Transport, der Energie und auch der Militärgüter hatten sie aktiven Anteil am Import neuer Technologien. Ausserdem unterstützen sie den Transfer anderer Technologien auf verschiedene Weise: durch die Schaffung infrastruktureller Voraussetzungen, durch Absatzgarantien, durch den protektionistischen Schutz des Binnenmarktes oder durch den Erlass besonderer Sicherheitsvorschriften. Welches sind die diesbezüglichen schweizerischen Besonderheiten? Wie und worin unterscheiden sie sich von denen anderer Staaten?

Vorschläge sind bin spätestens den 15. Oktober 2008 zu richten an:
py.donze@gmail.com ; cedric.humair@unil.ch ; malik.mazbouri@unil.ch .

Wir bitten um eine Skizze (max. 1 A4-Seite) des vorgeschlagenen Beitrags (französisch, deutsch oder englisch) und um ein kurzes CV. Die Teilnehmenden werden Mitte November 2008 informiert.
Die Papers (30–40'000 Zeichen) müssen bis Ende Juli 2009 französisch, deutsch oder englisch eingereicht werden.
Die Präsentation an der Tagung erfolgt französisch oder englisch.
Eine Auswahl der präsentierten Beiträge wird in der Zeitschrift traverse publiziert (erscheint 2010).
Call for contributions

Technology transfers: Switzerland as a case study
between the eighteenth and twentieth centuries

Organizers: Pierre-Yves Donzé, Kyoto University / FNS; Cédric Humair, University of Lausanne / EPFL; Malik Mazbouri, University of Lausanne
Dates: 6 and 7 November 2009
Place: University of Lausanne

Forum theme
The history and sociology of technologies have overwhelmingly focused on the R&D phase of innovation, neglecting the international dissemination of new technologies and the ways in which their social uses have evolved. In reality, endogenous innovation represents only a relatively small share of the technologies used by a national economy, as the bulk comes from the international circulation of innovation.
This evolution of the history of technologies has limited its integration into a history aimed at analysing major changes in modern-day societies. Innovation is of limited use in explaining most historical questions. This is not at all the case with broadly disseminated technologies, whether it is in the military, the world of work or the media. Accordingly, within the economic sphere, technology transfer plays a key role, not only in the process of industrialization, but also in the development of a consumer and leisure society.
Although this topic has not been studied in depth, some preliminary analyses have been conducted abroad, essentially from an economic history perspective, giving rise first to several monographs and case studies in the 1970s and 1980s, then to consolidated essays by David J. Jeremy and Kristine Bruland, who highlighted the role of actors (multinationals, cartels and state, regional and local authorities) and vectors (men, capital, markets, technological know-how, etc.) in the transfer of technology. They demonstrated that the circulation of technologies worldwide, since the industrial revolution, has fitted into clearly defined, successive phases, characterized first by a predominance of flows from the United Kingdom to the rest of the world (1750–1880), then by the multilateralization of trade (1880–1960) and lastly by a transnational outlook (from the 1960s onwards).
In Switzerland, however, the international circulation of innovations has not been analysed systematically. A few authors have indeed taken up the question in monographs on specific companies or economic sectors, but a more in-depth, systematic assessment has never been carried out. The lack of interest shown by Swiss historiographers is all the more surprising given that technology transfer, much more than innovation, has underpinned Switzerland’s economic development, especially in the eighteenth and nineteenth centuries. As a “follower” economy, Switzerland has travelled a great many paths to acquire certain technologies developed in other European countries, especially in England. The textile industry is a particularly interesting case in point, featuring study tours, industrial espionage, machine imports and the poaching of foreign technicians. Starting in the last quarter of the nineteenth century, the Swiss economy has managed to carve out a few technological niches in which its companies have excelled, such as colouring chemistry, pharmaceuticals, electrical engineering and milk chocolate. Even though technology transfer remains a key factor as far as imports are concerned, many Swiss producers have joined the innovation process. They have become exporters of technology, particularly through multinationals which export their know-how in the form of direct investment and licensed manufacturing.

Topics proposed
The Swiss framework therefore lends itself to a reflection on the question of technology transfer. It enables researchers to tackle a series of problems, which transcend the history of technologies to touch on not only economic but also social and cultural evolution of Switzerland in the eighteenth to twentieth centuries. The aim of the forum is to gather together a body of original contributions making it possible to understand the various aspects of technology transfer to and from Switzerland. The following topics could be taken up.
(1) The first phase of Swiss industrialization, which was marked by massive technology transfer, poses the question of Switzerland’s ability to import new technological objects. What are the primary vectors of this technology transfer? Given the lack of advanced technological training, how did industrialists acquire the necessary technological know-how for this flow of technologies? What was the impact of the legislative vacuum with regard to the protection of inventions which persisted in Switzerland until 1888?
(2) The shift from importing to producing technologies was not the same throughout the country. Whereas the Lemanic Arc (northern shore of the Lake Geneva area) played a pioneering role in technology transfer in the field of transportation and energy throughout the nineteenth century, few companies in the region embarked on production. Technologies such as steamboats and funiculars, introduced at a later date in the eastern part of Switzerland, became major branches of production that were primarily export-oriented. How can we explain these disparities in the use of technology transfer? Were cultural blocks in French-speaking Switzerland due to the poor quality of production factors or the lack of commercial prospects? Or were these cultural blocks caused by a lack of corporate spirit and a distrust towards the industry among the elites?
(3) Technology imports and the shift to production followed a selective process. Whereas the Swiss economy was quick to transfer certain technologies, others either failed to take root or were slow to do so. This is partly due to technological causes (path dependence) or economic factors (cartels, small volume of defence spending). Yet socio-cultural factors also played a part, as in the case of opposition in certain professions to the introduction of new technologies.
(4) During the second half of the nineteenth century, the Swiss economy managed to become a leader in some technological fields, moving rapidly from the transfer of technology to innovation. How was this transition possible? What ingredients were needed to carve out high-tech production niches – capital, technological training or patent law?
(5) Prior to the First World War, most of the branches of industry which exported advanced technologies (chemicals, machines, food) had developed a multinational organizational structure for production and produced all over the world. What role did the multinationals and cartels play in the international circulation of Swiss technology? To what extent did the various forms of exports of Swiss technology further the economic development of the importing countries?
(6) From the second half of the nineteenth century onwards, state, regional and local authorities, particularly the Federal State and its public corporations, have been major players in technology transfer. In some fields, such as transportation, energy or arms, they have actively sought to import new technologies. In addition, they have facilitated the transfer of technology in various ways: by building the necessary infrastructure for certain technologies, by placing orders and thereby launching production; by ensuring customs protection for the domestic market; and by passing laws guaranteeing the safety of users and the general public. What are the characteristics of intervention by the Swiss authorities? Are they different from those of other countries?

Proposals should be sent by 15 October 2008 to the following three addresses:
py.donze@gmail.com ; cedric.humair@unil.ch ; malik.mazbouri@unil.ch .

Please send a summary (maximum 1 A4 page) of the proposed contribution, as well as a brief CV. The participants selected will be informed by mid-November 2008.
Papers, which should be between 30,000 to 40,000 signs, should be sent by the end of July 2009.
The forum languages are English and French, but papers may also be sent in German. A selection of the contributions presented will be published in the review Traverse (to appear in 2010).

Programm

Kontakt

Donzé, Mazbouri, Humair

Université de Lausanne, Anthropôle

py.donze@gmail.com ; cedric.humair@unil.ch ; malik.mazbouri@

http://www.unil.ch/hist/page14404.html