Erfahrung – Glauben, Erkennen und Handeln im Pietismus. III. Intern. Kongress für Pietismusforschung

Erfahrung – Glauben, Erkennen und Handeln im Pietismus. III. Intern. Kongress für Pietismusforschung

Veranstalter
Interdisziplinäres Zentrum für Pietismusforschung der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg in Zusammenarbeit mit der Historischen Kommission zur Erforschung des Pietismus und den Franckeschen Stiftungen zu Halle
Veranstaltungsort
Franckesche Stiftungen zu Halle
Ort
Halle an der Saale
Land
Deutschland
Vom - Bis
30.08.2009 - 02.09.2009
Deadline
15.09.2008
Von
IZP, MLU Halle-Wittenberg

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„aus GOttes Wort und eigener Erfahrung gezeiget“.
Erfahrung – Glauben, Erkennen und Handeln im Pietismus

III. Internationaler Kongress für Pietismusforschung

Mit dem Thema, das in spezifischer Weise den Anthropologie-Schwerpunkt des II. Internationalen Kongresses (2005) aufgreift, verbinden sich erstens die Überlegung, einen für den Pietismus in seinen historischen und regional-territorialen Ausprägungen sowie in seinen fachlich-disziplinären Ausdifferenzierungen verbindenden Sachverhalt anzusprechen, und zweitens die nach gemachten guten Erfahrungen begründete Hoffnung, den fruchtbaren Dialog mit der Aufklärungsforschung weiter zu vertiefen.

Ob in der Theologie als alter Wissenschaft, in Medizin und Pädagogik, in Naturwissenschaft, in Ästhetik, Literatur, Kunst und Musik, schließlich in der Psychologie als junger Wissenschaft: Im langen 18. Jahrhundert hatte Erfahrung, bei gleich bleibender Lexik und changierender Semantik, Konjunktur, weshalb sie auch als bedeutungsschillernder Begriff schwer auf den Begriff zu bringen und als reich facettiertes Phänomen schwer zu beschreiben ist.

Wesentliche Aufgabe des Kongresses wird es sein, den nicht unerheblichen, aber bislang weitgehend unerforschten Anteil, den der Pietismus an der Profilierung des 18. Jahrhunderts als dem Zeitalter der Erfahrung hatte, herauszuarbeiten. Dabei ist die Spanne zwischen dem Pietismus als einer passivisch-introvertierten, auf Verinnerlichung und dem Pietismus als einer aktiv-extrovertierten, auf Menschen- und Weltveränderung bedachten Frömmigkeitsbewegung auszuschreiten: die Spanne zwischen pietistischer Selbst- und pietistischer Welterfahrung, die in Theorien, Projekte und Praktiken der Selbst- und Weltgestaltung gemündet haben.
Um für das 18. Jahrhundert den Erfahrungs-Anteil des Pietismus darzustellen und historisch-systematisch zu kontextualisieren, sind Differenzierungen gegenüber Theorien und Praktiken von Erfahrungen erforderlich, wie sie von vorbereitenden und begleitenden Frömmigkeitsbewegungen (Mystik, Puritanismus, Nadere Reformatie), der Lutherischen Orthodoxie und der Aufklärung entwickelt und erprobt worden sind. Zur Schärfung und Erhellung von Begriff und Phänomenen der Erfahrung im Pietismus sind neben dessen Theologie und Frömmigkeitspraxis u.a. vor allem anthropologische Theoriebildungen, soziale und pädagogische Projekte, ästhetische (literarische, musikalische, bildkünstlerische und architektonische) Konzepte und deren Realisierungen, sowie naturkundliche bzw. naturwissenschaftliche, medizinische und pharmakologisch-pharmazeutische Theorien und gegebenenfalls Praktiken zu berücksichtigen.

Einen leitenden Aspekt werden die grundsätzlichen Fragen nach der Theoretisierung, Systematisierung und Funktionalisierung/Pragmatisierung von Erfahrung in historisch spezifischen Formen, Inhalten und Kontexten sowie nach deren Transformierungen bilden. Erfahrung soll nicht als façon de parler dargestellt, sondern als ein nach Innen reflektiertes und nach Außen profiliertes Argument rekonstruiert werden: Was hat der Pietismus Erfahrung genannt? Wie hat er ihr Zustandekommen erklärt? Welche wissenschaftliche, d.h. erkenntnistheoretische und -praktische Valenz, welche ethische Verbindlichkeit und moralische Leitkraft hat er ihr in welchen thematischen, fachlich-disziplinären und lebensweltlich-institutionellen Kontexten zugewiesen? Aber auch: Welche Gefahren – für die Frömmigkeit, für die Wissenschaft, für die soziale Praxis – hat er mit ihr verbunden gesehen? Um diese Fragen zu beantworten, sind aus den Quellen Differenzierungen und Verhältnisbestimmungen erforderlich: zu Offenbarung und Schrift und Natur; Vernunft, Verstand und Sinnlichkeit; Erleuchtung, Erlebnis und Erkenntnis, individueller Erfahrung und standardisierter bzw. normierter Empirie, innerer und äußerer Erfahrung (und, damit wohl zusammenhängend, aber keinesfalls identisch, zwischen geistlicher und weltlicher Erfahrung) sowie (im Sinne von sex oder gender) männlicher und weiblicher Erfahrung. Dabei sind jeweils die Optionen von Koexistenz und Komplementarität, von Konkurrenz und Kontroversalität denkbar.

Weiterhin wird zu fragen sein, in welchem Maße ‚pietistische Erfahrung’ (als Selbst- und Welterfahrung) die sich ausdifferenzierende Wissens- und Wissenschaftslandschaft des 18. Jahrhunderts mitgestaltet hat. Vorausgesetzt, dass Erfahrung im Jahrhundert der Aufklärung, wie es sich in alten und neuen künstlerischen und wissenschaftlichen Disziplinen und Fächern konfiguriert, keine unausgesprochen einheitliche, geschweige denn eine ausdiskutiert verbindliche Bedeutung hatte, ist zu zeigen, wie sich Erfahrung in unterschiedlichen Fächern und Disziplinen manifestiert und wie Erfahrung zugleich die Ausbildung und Profilierung von Fächern und Disziplinen befördert hat (Hermeneutik, [Bibel-]Exegese, Medizin, Psychologie, Pädagogik, Naturwissenschaft). Hier anschließend sind auch Institutionalisierungs- und (denen häufig verbundene) Vergemeinschaftungsprozesse und -formen für den Pietismus (Universität, Schule, Akademie, Sprach- und Dichtergesellschaft; Konventikel, Glauchasche Anstalten, Herrnhut, Herrnhaag) einzubeziehen.

Fraglos steht die für das 18. Jahrhundert auf verschiedenen Ebenen anzusetzende Frage nach Individualisierungsprozessen als Ausdifferenzierungsprozessen auch im Zeichen der Erfahrung. Zugleich mit der Ausbildung von Fächern und Disziplinen gilt dies für Verschriftlichungs- und Veröffentlichungsprodukte, d.h. für die Ausbildung von (in einem weiten Sinn) literarischen Formen, die zwischen Diskursen und Disziplinen angesiedelt sind, die keine klaren Gattungsmerkmale und Funktionen aufweisen bzw. solche erst entwickeln. So sind z.B. für die pietistische Theologie und Frömmigkeitspraxis die „Bedenken“, psychagogische Traktate, paränetische Abhandlungen, Bekehrungsberichte, Seelenbriefe, die exemplum-Literatur, der Lebenslauf, das „Sprechen“, für die Medizin und die Psychologie (Einzel-)Fallgeschichten und Diätetiken, für die Pädagogik Lehrpläne, Instruktionen, für die (schöne) Literatur Verhaltenstraktate, moralphilosophisches (Klein-)Schrifttum, Moralische Wochen- und Monatsschriften, Ego-Dokumente wie Tagebuch, Autobiographie sowie im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts die „Erlebnislyrik“, für die Bildende Kunst das Porträt, die Naturdarstellung, missionarische und ethnographische Interessen verbindende Schriften etc. nach Erfahrungsbedingtheit, Erfahrungssättigung und der Wertschätzung von Erfahrung zu befragen.

Erfahrungen wurden nicht im luftleeren Raum gemacht, sondern in Räumen, die ihrerseits den Charakter der Erfahrungen durchaus mitprägt haben. Es waren dies für den Pietismus zum einen (hier sei abgesehen vom seelischen, psychischen Innenraum), traditionelle, aber z.T. auch neue Arbeits- und Funktionsräume, wie neben der Bibliothek und dem Kirchenraum das Kunst- und Naturalienkabinett, das Laboratorium, das theatrum anatomicum bzw. der Seziersaal, die Krankenstube, die Schulstube, schließlich die Schulstadt wie überhaupt die architektonischen Formgebungen für ein pietistisches Gemeinschaftsleben. Und es waren dies zum anderen Außenräume, wie in zunehmendem Maße der Raum der Welt und der Natur, die als außerordentlich reich facettierte erfahren wurden, in der auszulotenden Spanne von unberührter Wildnis, missionarischem Wirkungsgebiet, naturkundlichem Forschungsterrain, ökonomischem Nutzungsgelände, ästhetisch empfundener (und gestalteter) Landschaft.

Aus diesen Überlegungen lassen sich die folgenden Sektionen entwickeln:

1. Das lange 18. Jahrhundert – Zeitalter der Erfahrung: Theoretisierungen, Systematisierungen und Funktionalisierungen von Erfahrung im historischen Kontext von Pietismus, Lutherischer Orthodoxie und Aufklärung

2. Die prominenten Beispiele „pietistische Erfahrungs-Theologie“ und „pietistische Erfahrungs-Pädagogik“

3. Pietistische Engführungen und Ausdifferenzierungen im Zeichen der Erfahrung (Medizin, Pharmazie, Naturkunde, Naturwissenschaft, Literatur, Bildende Kunst, Architektur, Musik)

4. Institutionen, Disziplinen und Fächer der Erfahrung im Zeichen des Pietismus

5. Textsorten und literarische Gattungen der Erfahrung im Umkreis des Pietismus

6. Räume der Erfahrung im Pietismus

Ihren Vorschlag (Sektion, Arbeitstitel, 500 Zeichen Erläuterung) für ein Referat (von 20 Min.) richten Sie bis zum 15. September 2008 bitte an folgende Adresse:

PD Dr. Christian Soboth
Interdisziplinäres Zentrum für Pietismusforschung der
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg in Verbindung mit den
Franckeschen Stiftungen zu Halle
Stichwort: Erfahrung
Franckeplatz 1, Haus 24
06110 Halle a.d. Saale

Programm

Kontakt

PD Dr. Christian Soboth

IZP, Franckeplatz 1, Haus 24, 06110 Halle a.d. Saale

christian.soboth@pietismus.uni-halle.de

www.pietismus.uni-halle.de