Was heute in der Bundesrepublik passiert, erscheint paradox: Auf der einen Seite ist ein erstaunliches Wirtschaftswachstum zu konstatieren, so dass für Bayern und Baden-Württemberg sogar schon von Vollbeschäftigung die Rede war; auf anderen Seite mehren sich die Nachrichten vom Abschmelzen der gesellschaftlichen Mitte, von wachsender Kinderarmut und von einer ungerechten Verteilung der Bildungschancen. Die Bundesrepublik gehört zu den Globalisierungsgewinnern der letzten Dekade, aber innerhalb des Landes wird eine Politik beklagt, die immer mehr Menschen zu Globalisierungsverlierern macht.
Diese widersprüchliche Situation hat zu einer Veränderung des Parteiensystems geführt, indem sich eine Partei zum Sprachrohr der untergründigen Ängste und der schwelenden Wut macht. Sind die etablierten Volksparteien noch in der Lage, zu verstehen und zu artikulieren, was die Menschen beschäftigt?
Vor diesem Hintergrund ist eine soziologisch korrekte Beschreibung der Lage vonnöten.
Geraten wir in eine neue Phase der gesellschaftlichen Entwicklung, für die die Vokabeln des sorgenden Sozialstaats, der nivellierten Mittelstandsgesellschaft und der kooperativen Systemsteuerung nicht länger stimmen? Lässt sich von einer sozialen Spaltung der Gesellschaft sprechen, die sie auseinander treibt? Zu fragen ist, wer sich noch ums Ganze kümmert, wenn alle nur noch schauen, wo sie bleiben.
Prof. Dr. Heinz Bude, Soziologe; Leiter des Arbeitsbereichs „Die Gesellschaft der Bundesrepublik“ des Hamburger Instituts für Sozialforschung, Professor für Makrosoziologie an der Universität Kassel
Moderation: Natalie Grimm, Dipl.-Sozw., Soziologin; wissenschaftliche Mitarbeiterin im Arbeitsbereich „Die Gesellschaft der Bundesrepublik“ des Hamburger Instituts für Sozialforschung