'Es ist ein Laboratorium, ein Laboratorium für Worte'. Experiment und Literatur 1980-2009

'Es ist ein Laboratorium, ein Laboratorium für Worte'. Experiment und Literatur 1980-2009

Veranstalter
Förderprofessur für Literaturwissenschaft ETH Zürich
Veranstaltungsort
Zürich
Ort
ETH Zürich
Land
Switzerland
Vom - Bis
15.01.2009 - 15.01.2009
Deadline
15.01.2009
Von
Martina Wernli

Call for Papers

„Es ist ein Laboratorium, ein Laboratorium für Worte“. Experiment und Literatur 1890-2009

Tagung an der ETH Zürich, 1.-3. Oktober 2009

Zur Ergänzung des Programms dieser Tagung sind noch Vorträge zu vergeben. Wir bitten um Exposés zum Komplex von Experiment und Literatur ausschliesslich für den Zeitraum ab ca. 1980.

Die Ausrichtung der Veranstaltung ist untenstehend beschrieben.

Einsendeschluss ist der 15. Januar 2009.

Der Begriff ‚Experiment‘ bezeichnet seit dem 17. Jahrhundert ein zunehmend an Bedeutung gewinnendes, bestimmendes Moment der gesellschaftlichen Moderne. Er meint im allgemeinen Sprachgebrauch eine Haltung des Probierens, die Erkundung eines Neuen, das durch Vorgaben geleitete und kontrollierte Vordringen auf ein unbekanntes Gebiet und stellt so, in seiner konstitutiven Verschmelzung von performativen und repräsentativen Verfahren, eines der wichtigsten Instrumente der neuzeitlichen Wissensproduktion dar. Der ‚Versuch‘ als explorative Praxis ist damit ein gleichermaßen vages wie zentrales Verfahren moderner Kultur; es ist daher für das Selbstverständnis einer Wissensgesellschaft von großem Interesse, seine Tragfähigkeit und Bedeutung in neur-algischen Bereichen seines Gebrauchs zu untersuchen.
Dem Experiment als kultureller Tätigkeit und den sich daraus ergebenden Produkten ist das Projekt „Experimentierkunst. Poetologie und Ästhetik des Versuchs in Neuzeit und Moderne“ gewidmet, das im Rahmen der seit Oktober 2006 bestehenden SNF-Förderprofessur für Literaturwissenschaft an der ETH Zürich verfolgt wird. Die Definitionsmacht über das ‚Experimentelle‘, so der Ansatz des Projekts, liegt nicht prinzipiell bei der Wissenschaft und ihren Praktiken; vielmehr ist die Emergenz einer allgemeinen ‚Kunst des Versuchs‘ während des 17. und 18. Jahrhunderts in verschiedenen Feldern des Wissens, im Speziellen in Literatur und Naturlehre, der Ausgangspunkt, von dem aus der ‚Versuch‘ als epistemologische und poetologische Kategorie sowie als kulturgeschichtliches Konzept erschlossen werden soll. Dabei wird davon ausgegangen, dass auch im 19., 20. und 21. Jahrhundert mehrere Paradigmen und Kulturen des ‚Versuchs‘ nebeneinander existieren und dass die Bedeutung des Experiments für die Moderne deshalb nur einer die Disziplinen übergreifenden Untersuchungsmethode zugänglich wird. Es wird damit, in synchroner wie diachroner Perspektive, nach der Partizipation von Literatur am allgemeinen und spezifizierten Wissen und nach der Bedeutung von Fiktion, Rhetorik und Narrativik für die Wissenschaften gefragt. Das Interesse richtet sich, mit methodischen, theoretischen, systematischen und historischen Fragestellungen, auf die explorative Funktion des Schreibens; untersucht werden die spezifischen Techniken und Möglichkeiten der Schriftlichkeit, ihre repräsentativen und performativen Qualitäten, in verschiedenen Diskursformen. Im Rahmen des Projekts sind den historischen Konzepten der Verbindung von Experiment und Literatur drei Tagungen gewidmet, die sich in zeitlicher Abfolge mit Experimentalkulturen vom 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart befassen.

Die ersten beiden Tagungen im Dezember 2007 und Oktober 2008 beschäftigten sich mit den historischen Abschnitten 1580-1790 beziehungsweise 1790-1890. Untersucht wurde so zunächst die Beziehung von Erfahrungswissenschaft und Literatur für eine Zeitspanne, in der sich die beiden Bereiche selbst in einer Etablierungs- und Restrukturierungsphase befanden, während die zweite Veranstaltung sich der Periode von 1790 bis 1890 zuwandte und nach der Relevanz des ‚Experiment‘-Konzepts unter den medialen, erkenntnistheoretischen und ästhetischen Bedingungen einer sich konstituierenden funktional differenzierten Gesellschaft fragte, in der Wis-senschaft und Kunst eigenständige Systeme ausbildeten und sich aus Konstellationen der zunehmenden Distanz neue Formen des Austauschs und der Übertragung ergaben. Für die Großepoche von 1890 bis 2009 nun ist konstitutiv, dass Begriff und Praxis des ‚Experiments‘ verstärkt in den verschiedensten Bereichen hervortraten und dort neue Semantiken entwickelten beziehungsweise – vor allem im populären Wortgebrauch – ihre spezifischen Bedeutungen weitgehend verloren. Die Emergenz des ‚Experiments‘ in Epistemologie (Wittgenstein), Philosophie (Mach, Vaihinger), Medientheorie (Benjamin, Brecht), Soziologie (Chicago School of Sociology) und Politik (Popper) hat zum einen mit dem weiter fortschreitenden Prestigegewinn der Naturwissenschaften zu tun, der eine Anleihe bei deren Methodik nahelegte. Zum anderen verdeutlichten sich damit aber auch Tendenzen eines allgemeinen Hangs zur Wissens- und Handlungstechnik ‚Experiment‘, die seit dem 17. Jahrhundert bestehen und sich in einer die Moderne kennzeichnenden generellen ‚Experimentalität‘ manifestieren – in einer Disposition also, Innovation mit unvollständigem und unsicherem Wissen unter Inkaufnahme eines beträchtlichen Risikos aus gesicherten Ausgangsbedingungen in kontrollierten, aber zukunftsoffenen Verläufen voranzutreiben.
Zudem ist die flagrante Experimentalisierung der Welt im 20. Jahrhundert als Weiterführung von schon länger in verschiedenen Feldern sich manifestierenden spezialisierten Experimentalkulturen zu verstehen. Dies gilt auch für die Literatur. So setzen sich hier nach 1890 literarische Experimentierweisen aus früheren Epochen fort, so etwa die poetologische Auseinandersetzung mit den Naturwissenschaften, die Narrativierung und fiktionalisierende Fortschreibung wissenschaftlicher Szenarien (Science Fiction), Selbstexperimente und ihre Aufzeichnungstechniken sowie andere Praktiken der Erkenntnisgewinnung im Bereich der menschlichen Psyche. Weiter erhalten Verfahren Konjunktur, die sich mit neu akzentuierten anderen Experimentalkulturen verbinden, so etwa das Schreiben in Ausnahme- und Extremsituationen (Lager, Exil) oder die Herausforderung der Literatur durch die Neuen Medien. Und schließlich gewinnen Bewegungen entscheidend Raum, die schriftstellerische Arbeit als Experimentieren mit Sprache, Schrift, Worten und Schreiben verstehen. Seit dem Erscheinen der Zeitschrift Transition (1927-1930), die von Eugene Jolas herausgegeben wurde und den Untertitel „An International Quarterly for Creative Experiment“ trug, verbindet sich das Wirken der literarischen Avantgarde mit dem Etikett des ‚Experimentellen‘. Vor allem die Neoavantgarden haben sich auf diese Bezeichnung positiv bezogen.
Diese vielfältigen und divergierenden Phänomene sollen wie schon in den vorangegangenen Tagungen vor allem hinsichtlich dreier Aspekte und der damit sich verknüpfenden methodischen und inhaltlichen Problemstellungen fokussiert werden: erstens in Bezug auf den wechselseitigen Austausch zwischen den Wissensformen und die jenseits etablierter Disziplinen und Diskursformen konstituierten experimentellen Zwischenräume des Wissens, zweitens durch die Weisen der Reflexion von anderen experimentellen Wissensbeständen durch die Literatur und die Künste, und drittens hin auf eine spezifische literarische Traditionsbildung des ‚Versuchs‘. Was ein ‚Experiment‘ unter diesen Umständen sei, auf welche Prozeduren und Verfahren es sich stützt, was es dabei hervorbringt, wie es dargestellt wird und welche Ziele und Zwecke es verfolgt, muss dabei von Fall zu Fall neu diskutiert werden.
Erbeten werden methodisch reflektierte Beiträge, die sich kritisch mit dem Konzept des literarischen Versuchs beziehungsweise den poetologischen Dimensionen von wissenschaftlichen und anderen Experimenten im fraglichen Zeitraum auseinander setzen. Besondere Aufmerksamkeit soll dem Schreiben als performativer und repräsentativer Praktik des Wissens zukommen. Dabei gilt es, ‚Experiment‘ beziehungsweise ‚Versuch‘ nicht bloß als metaphorischen Ausdruck für innovatives Schreiben zu verwenden; konstitutiv soll für die Beiträge das historisch spezifizierte Interesse an Verfahren der Wissensproduktion, -repräsentation und -bearbeitung sein, die sich mit Begriff und Konzept des ‚Experiments‘ in der Literatur und deren Verhältnis zur Wissenschaft auseinander setzen.

Exposés (maximal zwei A4-Seiten) zum Komplex von Experiment und Literatur ausschliesslich für den Zeitraum ab ca. 1980 schicken Sie bitte bis zum 15. Januar 2009 an martina.wernli@gess.ethz.ch.

Weitere Informationen finden Sie unter www.lw.ethz.ch

Programm

Kontakt

lic.phil. Martina Wernli

Förderprofessur für Literaturwissenschaft
Rämistr. 101, 8092 Zürich

martina.wernli@gess.ethz.ch

http://www.lw.ethz.ch
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Deutsch
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