Das „Reichskommissariat Ostland“ – Tatort und Erinnerungsobjekt: Konstruktionen

Das „Reichskommissariat Ostland“ – Tatort und Erinnerungsobjekt: Konstruktionen

Veranstalter
Institut für schleswig-holsteinische Zeit- und Regionalgeschichte (IZRG) der Universität Flensburg; Militärgeschichtliches Forschungsamt; Deutsches Historisches Institut Warschau
Veranstaltungsort
Universität Flensburg, Auf dem Campus 1, 24943 Flensburg
Ort
Flensburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
28.05.2009 - 30.05.2009
Von
Dr. Sebastian Lehmann

Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion wurde aus den eroberten baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland sowie Teilen Weißrußlands das sogenannte „Reichskommissariat Ostland“ (RKO) gebildet und Schleswig-Holsteins NSDAP-Gauleiter und Oberpräsident Hinrich Lohse als Reichskommissar mit Sitz in Riga zum Chef der dortigen deutschen Zivilverwaltung ernannt. Das RKO wurde – formal – gesteuert vom Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete. Zu den wesentlichen Funktionen der zivilen deutschen Aufsichtsverwaltung gehörte die Ausbeutung der materiellen und menschlichen Ressourcen des „Ostlandes“ für die deutsche Kriegsführung. Die Einrichtung von Wirtschaftsverwaltungen, mit Sonderaufgaben und Sonderrechten ausgestattet, gehörte dabei neben massiven „Arisierungen“ und Requirierungen zu den wesentlichen Instrumenten. Der ‚Lebensraumkrieg‘ sah zudem immense ‚Umvolkungen‘ vor. Schließlich bildete das Reichskommissariat eine Kernregion der Ermordung der europäischen Juden.

Bezogen auf die Täter, d.h. in erster Linie die deutsche Zivilverwaltung und Polizei im Reichskommissariat, ergibt sich ein enger räumlicher Bezug zu Schleswig-Holstein: Von hier stammte ein nicht unerheblicher Teil des deutschen Personals, zumindest in den höheren und mittleren Führungsschichten. Dieses Personal kam am Ende des Krieges überwiegend nach Schleswig-Holstein zurück und kreierte die Legende von der „sauberen“ Zivilverwaltung im „Reichskommissariat Ostland“. Nach Schleswig-Holstein bzw. Westdeutschland gelangten am Ende des Krieges aber auch führende baltische Kollaborateure und Helfer des Genozids, die ihre Legenden kommunizierten und sich – meist erfolgreich – in die westdeutsche Nachkriegsgesellschaft integrierten, wobei sie die Vertuschungsstrategien der deutschen Täter und die Umstände des West-Ost-Gegensatzes nutzen konnten.

Die Legendenbildungs- und Vertuschungsstrategien erwiesen sich als in Teilen sehr erfolgreich und so zählebig, dass sie in der allgemeinen Erinnerung die Erkenntnisse aus den Strafprozessen und staatsanwaltschaftlichen Komplex-Ermittlungsverfahren in den 1960er und 1970er Jahren überlagerten. Neben der Betrachtung der Besatzungs- und Verwaltungspraxis sind in der Historiographie der jüngeren Zeit die Untersuchung des Holocausts und der Kollaboration der einheimischen Bevölkerung verstärkt in den Mittelpunkt gerückt. Mit der Wiedererlangung der Eigenstaatlichkeit und im Vorfeld ihres Beitritts zur Europäischen Union gelangten diese Themen auch auf die Tagesordnung der Geschichtswissenschaft in den baltischen Staaten.

Die Tagung ‚Das „Reichskommissariat Ostland“ – Tatort und Erinnerungsobjekt: Konstruktionen’ will nicht nur das „Reichskommissariat Ostland“ als „Tatort“ deutscher Besatzungspolitik, baltischer Kollaboration oder nationalsozialistischen Genozids behandeln, sondern auch als Gegenstand von Erinnerung, Konstruktion und Erzählung des „Ostlands“, also das „Ostland“ als „Erinnerungsobjekt“ diskutieren.

Konzeption und Leitung
Sebastian Lehmann, Robert Bohn, Uwe Danker

Die Tagung wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert.

Es wird keine Tagungsgebühr erhoben.

Programm

Donnerstag, 28.5.2008
Tatort „Reichskommissariat Ostland“

14.30
Eröffnung der Tagung
Grußwort des Präsidenten der Universität Flensburg
Robert Bohn (Flensburg/Schleswig): Einführung

Moderation: Robert Bohn

15.00-16.30
Täter-Perspektiven:
Ernst Piper (Berlin): Zwischen Unterwerfung und Vernichtung. Die Politik des Reichsministeriums für die besetzten Ostgebiete
Andrej Angrick (Hamburg/Berlin): Von den Pogromen zu der Beseitigung der Spuren – Phasen der Vernichtungspolitik im Baltikum

Kaffeepause

17.00-18.30
Opfer-Perspektiven:
Christoph Dieckmann (Keele/GB): „Kollaboration“ und Widerstand in Litauen 1941-1944
Martin Dean (Washington): Ghettos in the „Generalkommissariat Weißruthenien“ Patterns of Ghettoization, Physical Conditions, and Jewish Responses

19.30-20.30 Uhr
Abendvortrag:
Wolfgang Benz (Berlin): Im Schatten von Auschwitz? Der Holocaust im Baltikum

Freitag, 29.5.2008

Moderation: Winfried Heinemann (Potsdam)

9.00-10.30 Uhr
Wissenschafts-Perspektiven:
Malte Gasche (Helsinki): Die Vor- und Frühgeschichtsforschung im „Reichskommissariat Ostland“ 1941-1944
Anastasia Antipova (Tübingen): Nationalsozialistische Sprachpolitik in Weißruthenien

Kaffeepause

11.00-12.30 Uhr
Baltische Perspektiven:
Tilman Plath (Flensburg/Schleswig): Widerstand und Kollaboration. Reaktionen der Bevölkerung der lettischen Region Latgalen
Matthew Kott (Oslo): Waffen-SS Recruitment in the „Reichskommissariat Ostland“: The Elusive Synthesis

Mittagspause

Erinnerungsobjekt „Reichskommissariat Ostland“

Moderation: Jochen Boehler (Warszawa)

13.30-15.00
Täter-Perspektiven:
Uwe Danker (Flensburg/Schleswig): Geschichten und Geschichts-Konstruktionen für Gerichte und Öffentlichkeit: Täternarrationen am Beispiel des Hinrich Lohse
Peter Klein (Hamburg/Berlin): Bedingt sühnebereit. Otto Bradfisch (EK 8) und Artur Wilke (SiPo Minsk) in bundesdeutscher Strafhaft.

Kaffeepause

15.30-17.00
Opfer-Perspektiven:
Paul Levine (Stockholm): Is History Fair? Jewish Views of the Post-War Historiography of „Reichskommissariat Ostland“
Habbo Knoch (Celle/Göttingen): Der Blick auf die Opfer – Fotografische Repräsentation des Holocaust in der deutschen Erinnerungskultur

17.30-19.00 Uhr
Verfolger-Perspektiven:
Mats Deland (Stockholm): Hand of Vengeance Stayed: The Swedish Passivity towards Baltic War Criminals
Robert Bohn (Flensburg/Schleswig): Juristische Aufarbeitung von Kollaboration und Genozid im „Reichskommissariat Ostland“ in der Bundesrepublik Deutschland: Das Beispiel des Arajs-Verfahrens

Samstag, 30.5.2008

Moderation: Uwe Danker

9.00-10.30 Uhr
Wissenschafts-Perspektiven:
Jörg Hackmann (Szczecin): Das „Reichskommissariat Ostland“ im Blick der deutschen Historiographie nach 1945
Klaus Bästlein (Berlin): Historiographische Aufarbeitung von Völkermord und Kollaboration im „Reichskommissariat Ostland“

Kaffeepause

11.00-12.30 Uhr
Baltische Perspektiven:
Karlis Kangeris (Riga): Probleme der Geschichtsschreibung über Okkupation und Genozid in den baltischen Staaten am Beispiels Lettlands
Markas Zingeris (Vilnius): Holocaust and the New Lithuania: Challenges of Independence

Uwe Danker (Flensburg/Schleswig): Schlusswort

Kontakt

Sebastian Lehmann
IZRG
Prinzenpalais 1b
24837 Schleswig
04621 861890
04621 36545
lehmann@izrg.de

http://www.izrg.de
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Sprach(en) der Veranstaltung
Englisch, Deutsch
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