Religion, Gedächtnis und Transformation - Vergangenheit und Vergegenwärtigung in religiösen Erinnerungsprozessen

Religion, Gedächtnis und Transformation - Vergangenheit und Vergegenwärtigung in religiösen Erinnerungsprozessen

Veranstalter
Arvid Deppe, Jennifer Kunstreich, Melanie Möller, Jonas Richter
Veranstaltungsort
Universität Göttingen
Ort
Göttingen
Land
Deutschland
Vom - Bis
17.09.2010 - 18.09.2010
Deadline
31.03.2010
Website
Von
Jonas Richter, Arbeitsstelle Mittelhochdeutsches Wörterbuch, Göttinger Akademie der Wissenschaften

Gedächtnis und Erinnerungen sind ein so grundlegender Bestandteil des menschlichen Daseins, dass sie uns zwar in unterschiedlichsten Formen und vielfältigsten Funktionen begegnen, aber leicht als „einfache Gegebenheiten“ nicht näher hinterfragt werden. Das Gedächtnis in all seinen Spielarten bildet aber nicht nur ein wichtiges Fundament von Religion(en), sondern ist identitätsbildend und sinnstiftend sowohl für religiöse Gemeinschaften als auch für den einzelnen Menschen. Erst im Rückbezug auf die Vergangenheit lassen sich die gegenwärtige Identität und Gemeinschaft konstruieren.

Mündliches und schriftliches Überliefern von Erinnerungen und umgekehrt Mechanismen des Vergessens führen zu sozialen Traditionen, zu kollektiven und kulturellen Gedächtnissen (Halbwachs, Assmann u.a.). Heilige Texte und religiöse Spezialisten sind als Überlieferungsträger ebenso zu nennen wie Gedächtnisorte oder z.B. kalendarische Ordnungen der Zeit. In den Prozess des Erinnerns ist immer der gesamte Mensch mit seiner Umgebung eingebunden: Der Mensch benutzt nicht nur sein Gedächtnis, sondern hält Erinnerungen in Büchern, Musik, Kunst, Architektur etc. fest, um abstraktes Wissen oder konkrete Wahrnehmungen zu konservieren. Hierbei ist die Erinnerung aber keine objektive Beobachterin, sondern unterliegt Konstruktions- und Transformationsprozessen. Das Abrufen und Aktualisieren von Gedächtnisinhalten, gleich ob im Ritual oder in individueller Selbstvergewisserung, bedeutet Erneuerung der Erinnerung durch fortwährend neue Interpretation. Kontinuität und Wandel sind gleichermaßen auf die Tradition bezogen.

Auf individueller wie auch auf institutioneller Ebene erzeugt die wahrgenommene Kontinuität der Erinnerung eine relative Stabilität. Gleichwohl unterliegt auch diese gewisse Stabilität Transformationen, die Flexibilität bedeuten und z.B. Neuorientierungen in der religiösen Biographie des Einzelnen ermöglichen oder notwendig werden lassen. Das persönliche Religionsverständnis kann sich hierdurch wandeln – von minimalen Änderungen bis zu Konversion oder Apostasie. Ebenso können neue oder veränderte Erinnerungen einen Wandel in Ritualpraxis oder Lehre mit sich bringen und sogar zur Spaltung von Glaubensgemeinschaften führen.

Die Tagung widmet sich Fragen im Spannungsfeld zwischen Religion, Gedächtnis und Transformation: Welches transformative Potential haben religiöse Erinnerungen, und welche außerreligiösen Kräfte wirken auf das religiöse Gedächtnis ein? Welche Rolle spielt die Transformation von Erinnerungen in religiösen Biographien, welchen Einfluss hat sie in religiösen Gemeinschaften? Inwiefern unterliegen materielle Gedächtnisträger wie Schriftstücke, Tempelanlagen oder Reliquien transformativen und interpretativen Prozessen (z.B. Umbau von Gebäuden, Glossierung oder Palimpsest bei Schriftträgern)? Wie werden Erinnerungstransformationen aktiv gestaltet oder beeinflusst? Gibt es heute neue Formen der Erinnerungsbildung und -konservierung (z.B. Blogs), die religiöse Gedächtnisbildungsprozesse ergänzen und beeinflussen? Was lässt sich über religiöses Vergessen sagen? Wie beeinflusst das „Gedächtnis“ wissenschaftlicher Historiographie rückwirkend die thematisierten religiösen Gemeinschaft und ihre Geschichtsentwürfe?

Diese Fragestellungen sollen lediglich der Inspiration dienen. Wir freuen uns über Vorschläge, die neue Aspekte einbringen oder die religionswissenschaftliche Sichtweise durch interdisziplinäre Anknüpfungspunkte erweitern.

Die Tagung richtet sich speziell an promovierende oder frisch promovierte NachwuchswissenschaftlerInnen im Bereich der Religionsforschung (Religionswissenschaft, -geschichte und angrenzende Disziplinen). Im Umfeld der Tagung soll es außerdem ein Treffen zur besseren Vernetzung des religionswissenschaftlichen Nachwuchses geben.

Vorschläge für Beiträge (ca. 250 Wörter) und Kurzvita bitte bis zum 31.03.2010 an tagung.goettingen@gmx.de
Veranstaltungsort ist das Institut für Religionswissenschaft Göttingen, Platz der Göttinger Sieben 2.
Für Fragen und weitere Informationen stehen wir jederzeit zur Verfügung.

Programm

Kontakt

tagung.goettingen@gmx.de


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