Das Ziel der Konferenz ist es, zwei unterschiedliche europäische Adelslandschaften in ihrer Struktur und in ihrem Wandel über vier Jahrhunderte hinweg, etwa von der Mitte des 15. Jahrhunderts bis zum frühen 19. Jahrhundert zu vergleichen. Im Mittelpunkt soll dabei der Hochadel stehen, in Böhmen also der Herrenstand, in Südwestdeutschland die Grafen und Herren einschließlich der gefürsteten Grafen, jedoch ohne die älteren reichsfürstlichen Familien, denen es gelungen war größere Territorialherrschaften aufzubauen. Im Einzelfall soll aber auch der niedere Adel einbezogen werden, also die Reichsritterschaft respektive der Ritterstand in Böhmen. - In Tschechien hat die Adelsforschung in den letzten 15 Jahren einen deutlichen Aufschwung genommen namentlich für die Epoche vor 1620, aber in etwas geringeren Umfang auch für die zwei Jahrhundert nach der Schlacht am Weißen Berg. Hatte vorher der Marxismus in partieller Verbindung mit einer stark nationalistischen Geschichtsdeutung eine angemessene Würdigung der sozialen, kulturellen und politischen Bedeutung des Adels nahezu unmöglich gemacht, so wird jetzt die Adelsgeschichte viel stärker als früher als integraler Bestandteil der eigenen Geschichte anerkannt. Ziel der geplanten Konferenz ist es, den Dialog zwischen der tschechischen Forschung und der deutschen Forschung – und hier besonders der landesgeschichtlichen Forschung zu Südwestdeutschland – zu intensivieren.
Die Konferenz soll auf die folgenden thematischen Schwerpunkt ausgerichtet sein:
Adelskultur und Repräsentation adliger Herrschaft
Nicht zuletzt im Zeichen der neueren Kulturgeschichte ist man sich stärker denn je bewußt geworden, daß Ansprüche auf Status, Rang und Herrschaft stets auch einer kulturellen Vermittlung etwa durch symbolische Darstellung bedürfen. Hier ist an Bauten und Architektur ebenso zu denken wir an den gesamten adligen Lebensstil, der die Aristokratie vom Rest der Bevölkerung abgrenzen und ihre Überlegenheit demonstrieren sollte. Dieser Abschnitt soll u. a. die Frage nach dem Wandel der Adelskultur vom späten Mittelalter bis zum Ende des Ancien Régime stellen. Kann man eine stärkere Abgrenzung der Kultur der Elite von der ländlichen Bevölkerung bei gleichzeitigem Verfall einer eher integrierenden traditionellen Festkultur beobachten, wie das für Westeuropa oft konstatiert worden ist? In welchem Ausmaß wird auch auf den Landsitzen des Adels der Einfluß des Hofes sichtbar und welche Impulse der gelehrten und urbanen Kultur nimmt der Adel auf seinen Landsitzen auf? Wird für die Selbstdarstellung (man denke etwa an das Bildprogramm von Festsälen) eine bewußt archaisierende Form gewählt, oder distanziert man sich zumindest im 18. Jahrhundert eher von der mittelalterlichen Vergangenheit des eigenen Hauses und des Adels insgesamt? In die Analyse sollen überdies nach Möglichkeit auch Grabmäler und kirchliche Kunstwerke, soweit sie im weitesten Sinne der eigenen Selbstdarstellung dienten, einbezogen werden.
Wirtschaftsführung und ländliche Adelsherrschaft
Die wirtschaftlichen Grundlagen adliger Herrschaft sind in jüngster Zeit eher etwas vernachlässigt worden, obwohl es an wichtigen Arbeiten etwa zum Wandel der Grundherrschaft in Böhmen nicht fehlt. In Zeiten einer gewissen Dominanz der Kulturgeschichte ist es jedoch – auch in Ergänzung zum vorherigen Abschnitt der Konferenz - – wichtig daran zu erinnern, daß eine noch so gelungene Form der symbolischen Darstellung des eigenen Status die Einkünfte aus Gütern, Hoheitsrechten, Ämtern und gegebenenfalls auch aus einer im weitesten Sinne des Wortes unternehmerischen Tätigkeit nicht ersetzen konnte. Dieser Abschnitt soll u. a. die Frage stellen, in welchem Umfang die adlige Grund- und Gutsherrschaft im Laufe der Neuzeit – entgegen dem Vorurteil von der Unfähigkeit des Adels zu rationalem wirtschaftlichem Handeln – zur Selbstmodernisierung in der Lage war und wie sich dies auf die Beziehungen zur bäuerlichen Bevölkerung auswirkte. Denn etwa für Böhmen ist unübersehbar, daß es im Laufe des 17. Jahrhunderts zu einer Intensivierung der adligen Herrschaft auch auf Kosten der bäuerlichen Untertanen kam. Schließlich sollten auch wirtschaftliche Initiativen, die über die Landwirtschaft hinausgingen, in die Betrachtung einbezogen werden.
Adel, Konfession und religiöse Selbstinszenierung
Es muß kaum betont werden, daß die Konfessionsspaltung für den Adel eine erhebliche Herausforderung darstellte, ihm aber auch Chancen zum selbständigen Handeln bot. Für Böhmen hat man von einer Konfessionalisierung der Untertanen durch den Adel gesprochen, aber einzelne Adlige suchten sich ihren Weg zum Teil auch außerhalb der großen Bekenntnisgemeinschaften und förderten im 16. und frühen 17. heterodoxe religiöse Bewegungen. Das Böhmen benachbarte Mähren bietet hierfür besonders prominente Beispiele, aber gewisse Parallelen dazu lassen sich auch in Böhmen oder im Einzelfalls in Südwestdeutschland finden. Namentlich dort, wo er sich wie in Böhmen am Ende doch den konfessionellen Vorgaben des Landesherren unterwerfen mußte, brachte die Konfessionsspaltung aber auch neue Formen der adligen Selbstlegitimation und des Selbstverständnisses hervor. Für die Habsburgermonarchie hat etwa Thomas Winkelbauer am Beispiel Gundakers von Liechtenstein sehr gut zeigen können, wie sehr die Zusammenarbeit des Fürsten mit der regierenden Dynastie, aber auch seine ganze Selbstdeutung durch den tridentinischen Katholizismus geprägt war. Die Grafen und Herren des südwestdeutschen Raumes (und in geringerem Maße auch die Reichsritter) waren in der Entscheidung für eine bestimmte Konfession freier als es die böhmischen Herren nach 1620 – vorher hatte auch hier die Wahl zwischen unterschiedlichen Optionen bestanden –, aber auch hier war etwa eine Klientelbindung an das Haus Habsburg und den Kaiser eigentlich immer mit der Festlegung auf den Katholizismus verbunden. Deutlich ist ferner, daß eine konfessionelle Entscheidung die anfänglich vielleicht auch taktisch bedingt war, im Laufe von Generationen zu einem „Identitätskapital“ werden konnte, das ein Haus nur schwer aufgeben konnte, so daß man an dieser Entscheidung dann unter Umständen auch unter widrigen Umständen festhielt, wie das Schicksal der böhmischen Exulaten nach 1620 zeigt.
Der Adel und die dynastischen Zentren der Habsburgermonarchie
Wie auch in anderen Regionen Europas agierte der Adel in Böhmen und in Südwestdeutschland in einem Spannungsfeld zwischen seinen eigenen ländlichen Herrschaftssitzen einerseits und dem Hof des Monarchen, aber auch den großen administrativen Herrschaftszentren (die im Falle der Habsburgermonarchie wie Prag auch nach 1620 Sitz der Ständeversammlungen blieben und durchaus ein erhebliche Eigengewicht behielten) andererseits. In der Habsburgermonarchie – und das gilt natürlich für den Reichsadel des schwäbischen Kreises noch sehr viel stärker – wurde der hohe Adel nie so stark zum Hofadel wie in Frankreich, aber Präsenz und Einfluß in der Umgebung des Kaisers wurden dennoch vor allem nach 1648 von zunehmender Bedeutung. Wie verband der Adel seine Rolle als Inhaber ausgedehnter und immer noch relativ autonomer (das galt bis 1740/48 auch für Böhmen) lokaler Herrschaftsrechte mit einer möglichen Position als Amtsträger, Offizier oder Höfling? Wie gewann man Zugang zum Patronagenetzwerk des Kaisers und in welchem Form vollzog sich die Kommunikation zwischen Zentrum und Peripherie? Wie schließlich demonstrierte man Präsenz und Status im Umfeld des Hofes oder am Hofe selber?