'Grenzen' als Dimensionen von Policey, Strafjustiz und Kriminalität vom Mittelalter bis zur Gegenwart

'Grenzen' als Dimensionen von Policey, Strafjustiz und Kriminalität vom Mittelalter bis zur Gegenwart

Veranstalter
Arbeitskreise „Historische Kriminalitätsforschung“ und „Policey/Polizei im vormodernen Europa“; Akademie der Diözese Stuttgart-Rottenburg in Kooperation mit der Stiftung Berliner Mauer und dem Centre de recherches interdisciplinaires sur l’Allemagne Paris. Wissenschaftliche Organisation: Falk Bretschneider, Gerhard Sälter, Gerd Schwerhoff, Eva Wiebel
Veranstaltungsort
Akademie der Diözese Stuttgart-Rottenburg, Im Schellenkönig 61, 70184 Stuttgart
Ort
Stuttgart-Hohenheim
Land
Deutschland
Vom - Bis
17.06.2010 - 19.06.2010
Von
Falk Bretschneider

Im Zuge des spatial turn sind Grenzen erneut auf die Agenda der deutschen Geschichtswissenschaft geraten und nehmen dort derzeit einen prominenten Platz ein. Wer sie zum Gegenstand einer weiteren historischen Fachtagung macht, läuft deshalb zweifellos Gefahr, in Modeverdacht zu geraten. Grenzen im Rahmen einer Beschäftigung mit Policey, Strafjustiz und Kriminalität in der Geschichte zu untersuchen, bietet gleichermaßen aber auch die Chance, das Thema als Forschungsproblem zu konkretisieren, ist es doch mit zentralen Begriffen der Kriminalitäts- und Policeygeschichte wie Macht und Herrschaft, Territorium und Staat, Konflikt und Konfliktlösung, soziale Kontrolle und Eigensinn verbunden, und das über den weiten Zeitraum vom Mittelalter bis zur Gegenwart hinweg. Obwohl sich in dieser langen Zeitspanne die Existenzbedingungen und Bedeutungen von Grenzen verändert haben, gingen und gehen Grenzziehungen nahezu immer mit Regelsetzungen einher und öffnen sich so analytisch einem Zugang, der ihre materielle Existenz im Spannungsfeld von rechtlichen und sozialen Normen, Devianz und Sanktionen einerseits sowie ihrer Administration zwischen obrigkeitlichen bzw. staatlichen Regelungsansprüchen und autonomen Umgangsweisen auf Seiten der Untertanen bzw. Staatsbürger andererseits untersucht. Grenzen und ihre Konstitution gehören dabei nicht nur unmittelbar in den Bereich von Recht, Verwaltung und Sanktionspraxis, sie verweisen darüber hinaus auch auf generelle Mechanismen des sozialen Miteinanders, d. h. auf unterschiedliche Interessen, Werte und Problemlagen sowie deren Verhandlung unter dem Vorzeichen asymmetrischer Machtverteilungen. Eine kriminalitäts- bzw. policeygeschichtliche Perspektive auf Grenzen eröffnet hier insbesondere die Möglichkeit, Grenzziehungen nicht als rein dezisionäre Akte der Herrschaftskonstitution zu interpretieren, sondern ihren performativen Charakter zu begreifen, der aus ihrer doppelten Disposition als Elemente des Ausgleichs und des Befriedens und als Gegenstand von Streit und Konflikt entspringt.

Um einen solchen Zugriff fruchtbar zu machen, ist gleichfalls Beschränkung vonnöten. Der Grenzbegriff ist schillernd und integriert eine nahezu unbegrenzte Bandbreite von realen Phänomenen und mehr oder weniger treffenden metaphorischen Assoziationen. Allein eine grobe Typologie von Grenzformen (naturräumliche, historische, ethnisch-sprachliche, wirtschaftliche, kulturelle usw. Grenzen) driftet rasch ins Unübersichtliche ab. Gegenstand der Tagung sollen deshalb in erster Linie die Konstitution und der Umgang mit Herrschaftsgrenzen (d. h. Grenzen zwischen politisch-geographischen Einheiten) sein, was jedoch nicht nur die territoriale bzw. staatliche Dimension solcher Grenzen meint, sondern z. B. auch ihre impliziten sozialen oder konfessionellen Konturierungen einschließt. Im Zentrum der Diskussionen sollen drei große Themenfelder stehen: Rolle und Funktion von Strafjustiz und Policey bei der Konstitution von Grenzen; Grenzkonflikte als Kristallisationspunkte einer Aushandlung von Herrschaft; Formen devianter Umgangsweisen mit Grenzen und ihre Sanktionierung.

Programm

Vorläufiges Tagungsprogramm (Stand: 03.05.2010)

Donnerstag, 17.6.2010

13.30 Uhr
Begrüßung und Vorstellungsrunde

14.00 Uhr
Einleitung

1. Sektion: Grenzen fixieren: Räume und Territorien begrenzen

15.00 Uhr
Dominik Collet: ‘Moral economy’ von oben? Getreidesperren als Inszenierung territorialer und sozialer Grenzen

16.00 Uhr
Kaffee/Tee

17.00 Uhr
Karl Härter: Grenzübergreifende Strafverfolgung im 18. und 19. Jahrhundert: Auslieferung, Asyl und Rechtshilfe in Strafsachen

17.30 Uhr
Philippe Hebeisen: Eine umstrittene Grenzüberwachung : Neuenburg und die Eidgenossenschaft 1848-1857

18.30 Uhr
Abendessen

19.30 Uhr
Andreas Pudlat: Staatsgrenzen und polizeilicher Grenzschutz – Produzenten von Kriminalität und kriminalgeographischen Räumen?

Freitag, 18.6.2010

2. Sektion: Grenzen verhandeln: Konflikte um Grenzen

9.00 Uhr
Johannes Staudenmaier: Grenzerfassung und Grenzkonflikte im Hochstift Bamberg um 1600

10.00 Uhr
Christophe Duhamelle: Gerterode (Eichsfeld): unsichere Grenze, selbstsichere Akteure?

11.00 Uhr
Kaffee/Tee

11.30 Uhr
Patrick Oelze: Grenzkonflikte im Umland von Schwäbisch Hall in der Frühen Neuzeit

12.30
Mittagessen

3. Sektion: Grenzen ignorieren: Devianz an und mit Grenzen und ihre Sanktionierung

14.00 Uhr
Sarah Pichlkastner: „daß das streichende Bettlgesindt auß der Stadt unnd Purckhfridt gebracht werde“ – Grenzen und BettlerInnen im Wien des 16. und 17. Jahrhunderts

15.00 Uhr
Michael Kempe: „Keinen Frieden jenseits der Linie“? Piraterie und die maritimen Grenzen Europas in der frühen Neuzeit

16.00 Uhr
Kaffee/Tee

16.30 Uhr
Vera Kallenberg: Eine Grenze kommt selten allein – Jüdische Grenzüberschreitungen in Frankfurt und Umgebung um 1800 vor Gericht

17.30 Uhr
Ulrich Huemer: Haft als Teil der Grenzsicherung in der DDR der 80er Jahre

18.30 Uhr
Abendessen

19.30 Uhr
Informationen und Planung

anschließend: Feier 20 Jahre Arbeitskreis "Historische Kriminalitätsforschung"

Samstag, 19.6.2010

Freie Sektion

9.00 Uhr
Alexander Kästner: Tödliche Geschichte(n). Selbsttötungen und Suizidversuche in Kursachsen, 1547-1815

9.45 Uhr
Sabine Freitag & Désirée Schauz: Kriminalpolitische Reformen im Zeichen der Wissenschaft. Britische und deutsche Reformgesellschaften im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert – ein Vergleich

10.30 Uhr
Kaffee/Tee

11.00 Uhr
Alexandra Ortmann: „wie verschieden alles zugeht“ – Eine Kulturgeschichte der Strafjustiz 1879–1924

11.45 Uhr
Anja Suter: Zwischen Natur und Evangelium: Die Organisation des Frauenstrafvollzugs in der Schweiz, 1942–1966

12.30
Mittagessen/Tagungsende

Kontakt

Falk Bretschneider
EHESS/CRIA
96 boulevard Raspail
75006 Paris

bretschn@ehess.fr

http://www.akhk.org