Deutsch-französisches Nachwuchsseminar 'Natur - Kultur'

Deutsch-französisches Nachwuchsseminar 'Natur - Kultur'

Veranstalter
CIERA (Centre interdisciplinaire d'études et de recherches sur l'Allemagne), KWI (Kulturwissenschaftliches Institut, Essen), DAAD (Deutscher Akademischer Auslandsdienst) und Deutsch-Französische Hochschule
Veranstaltungsort
Ort
Moulin d’Andé
Land
France
Vom - Bis
06.09.2011 - 10.09.2011
Deadline
28.02.2011
Von
Franz Mauelshagen, KlimaKultur, Kulturwissenschaftliches Institut Essen

Der Dualismus von Natur und Kultur gilt als eine der Grundlagen europäisch-westlichen Weltverständnisses. Genauer: Mit ihm wird eine besondere Sicht des Menschen in der Welt und der Geschichte oder seines Verhältnisses zur Welt gefasst. In der europäischen Tradition wurde dieser Dualismus frühzeitig, zu Beginn der Neuzeit, universalisiert, als ein grundlegendes, überzeitliches und überall geltendes Strukturmerkmal des Verständnisses menschlichen Handelns in der Welt. Heute wissen wir um die Relativität dieser Setzung. Die neuere Anthropologie hat gezeigt, dass andere Kulturen diesen Gegensatz nicht kennen und für ihre Bestimmung des Menschen in der Welt nicht benötigen. Zugleich wurden das Aufkommen und die Entwicklung der Begriffe von Natur und Kultur in Europa historisiert. Ihre politische, soziale, ökonomische und weltanschauliche Funktion wurde dekonstruiert.
Dennoch hat diese Relativierung kaum etwas an der Wirkungsmacht des Begriffpaars geändert. Sowohl im öffentlichen als auch im privaten Diskurs sind „Natur“/“Natürlich“ und „Kultur“/“kulturell“ allgegenwärtige Bezugsrahmen für Denken und Handeln. In einer ökologiehistorischen Tiefenperspektive wird der Ursprung des Gegensatzes sogar bis auf die Erfindung der Landwirtschaft in der sogenannten Neolithischen Revolution vor 8-10.000 Jahren zurückdatiert. Schließlich haben die Debatten um Umwelt und Klima, Biologie und Genforschung, nachhaltige Entwicklung und Ressourcenverteilung, das Verhältnis von Natur- und Sozial- bzw. Geisteswissenschaften – um nur einiges zu nennen – dem Dualismus von Natur und Kultur eine neue Aktualität verliehen und ihn zugleich auf neue Weise problematisch gemacht. Die Relativierung der zuvor universalistisch gedachten Begriffe hat paradoxerweise zu einer geradezu inflationären Verwendung geführt, die Natur und Kultur als normativen Argumentationsrahmen voraussetzt, und zwar nicht nur in einzelnen gesellschaftlichen Gruppierungen, sondern auch in transnationalen Organisationen wie der UNESCO oder der EU.
Im geplanten Seminar sollen Aspekte dieser Problematisierung aufgegriffen und in einem interdisziplinären Dialog diskutiert werden. Dabei geht es thematisch nicht nur um auf den ersten Blick im Zentrum stehende Felder wie Umwelt, Bioethik oder Ethologie. Vielmehr gehen wir von einer breiten Problemstellung aus, die allen sozial- und kulturwissenschaftlichen Fächern den Einstieg in die Diskussion ermöglicht. Zu dem Themenspektrum gehören Landschaft und Gärten, Körper und Körperlichkeit, Ökologie, Naturkatastrophen und Epidemien, Dekadenz und Jugendbewegung, Verhaltenstheorien und Benimmbücher, Stadt- und Raumplanung, Agrartechniken, Rassentheorien und Soziobiologie, Gesundheitspolitik und Hygiene – und vieles andere mehr. Alle diese Themen sollen sowohl in historischer wie in gegenwartsbezogener Perspektive behandelt werden.

Ablauf und Bewerbung

Die sechs Themengebiete (s. Programm) werden in jeweils halbtägigen Sektionen bearbeitet. Jede Sektion wird von einem/einer „Seniorforscher/in“ mit einem Vortrag eröffnet, anschließend folgen Präsentationen und Diskussion der Thesenpapiere von Nachwuchsforscher/innen.
Es werden insgesamt 25 Nachwuchsforscher zur Teilnahme am Seminar zugelassen. Die Teilnehmer (15 „Autoren“ und 10 „Kommentatoren“ – siehe unten) werden in Zweiergruppen eingeteilt, die jeweils aus einem Autor und einem Kommentator bestehen. Das Auswahlgremium des CIERA entscheidet darüber, wie die Zweiergruppen zusammengesetzt sind.
Besonderer Wert wird auf die Interdisziplinarität der Arbeit gelegt. Es ist deshalb wichtig, bei der Vorbereitung eines Textes darauf zu achten, dass ein möglichst breites Spektrum an Fachrichtungen berücksichtigt wird (Geschichte, Geografie, Germanistik, Romanistik, Literaturwissenschaften, Kunstgeschichte, Soziologie, Wirtschaft, Rechtswissenschaften, Philosophie, Anthropologie, Psychologie, usw.).
Ein halber Tag wird der Gruppenarbeit gewidmet, bei der die Nachwuchsforscher die Aufgabe haben, die Ergebnisse der Sektionen zusammenzufassen, um sie am Samstagmorgen in der Abschlusssitzung vorzustellen. So besteht auch die Gelegenheit, auf Fragen zurückzukommen, die während der Diskussionen aufgekommen sind, und sie gemeinsam weiter zu vertiefen.

Die „Autor/innen“

Die Nachwuchsforscher, die sich als Autoren bewerben, werden zunächst aufgefordert, bis zum 28. Februar 2011 einen Themenvorschlag von etwa 3000 Zeichen (Leerstellen inbegriffen) zu unterbreiten, der sich in eines der sechs Themengebiete einfügt. Diesem Themenvorschlag sollte ein akademischer Lebenslauf und eine kurze Zusammenfassung der Forschungsarbeiten (3000 Zeichen, Leerstellen inbegriffen) beigefügt werden. Die Kandidaten, die von der Kommission ausgewählt werden, müssen dann bis zum 1. Juni 2011 einen Text von maximal 40.000 Zeichen unterbreiten, der auf der Webseite des CIERA veröffentlicht wird und über ein Passwort allen Teilnehmern des Seminars zugänglich gemacht wird. Während des Seminars werden diese Texte nicht von den Autoren selbst, sondern von den Kommentatoren vorgestellt und analysiert. Daher bitten wir die Autoren, bei der Verfassung ihrer Texte die Interdisziplinarität der Gruppe zu berücksichtigen.

Die „Kommentator/innen“

Die Kommentatoren werden gebeten, dem CIERA bis zum 28. Februar 2011 einen akademischen Lebenslauf und eine Zusammenfassung ihres Forschungsprojekts zukommen zu lassen.
Ihre Aufgabe ist es, die Texte ihrer Kollegen vorzustellen und zu analysieren. Die Kommentare sollten maximal 15 Minuten dauern. Es folgt eine halbstündige Gruppendiskussion. Ziel des Kommentars ist nicht, den Text zusammenzufassen, sondern Fragestellungen herauszuarbeiten, die es in der anschließenden Gruppendiskussion ermöglichen, die vorgestellten Thesen zu hinterfragen und vertiefen.
Damit der interdisziplinäre Charakter der Veranstaltung gewährleistet ist und sich verschiedene wissenschaftliche Ansatzpunkte ergänzen können, werden Kommentatoren gebeten, einen Text zu analysieren, der nicht unbedingt ihrer eigenen Fachrichtung entstammt.

Programm

Das Seminar wird in fünf thematische Sektionen gegliedert:

1. Epistemologische und historische Voraussetzungen
Begriffsbestimmung und Begriffsgeschichte von Natur und Kultur.

Erkenntnistheoretische Implikationen, wissenschaftsgeschichtliche Konsequenzen (Naturwissenschaften/Kulturwissenschaften), Begriffsgeschichte oder Diskursgeschichte, Naturphilosophie, der „natürliche Ursprung“ von Kultur, Grenzverschiebungen, Zusammenhang von Modell und Empirie, usw.

2. Jenseits der „zwei Kulturen“: Ansätze in den heutigen Wissenschaften zur Überwindung des Gegensatzes von Natur- und Geistes-/Kultur-/Sozialwissenschaften

Das Problem des Determinismus, Sozialökologie, „biologistische“ bzw. evolutionistische Sozialtheorien, Global Change-Forschung, Ökodynamik von Gesellschaften und die Anthropozän-Hypothese, Ansätze zur Überwindung des Natur-Kultur-Gegensatzes in der Sozialtheorie (u.a. Bruno Latour), usw.

3. Natürliche Ressourcen und kulturelle „Tools“ der Nutzung von und des Umgangs mit Natur

Naturbeherrschung, Umwelt, Umweltpolitik, Stadt- und Raumplanung, Agrartechniken, Bio-Bewegungen, Hygiene, „Naturheilkunde“ , Naturschutz, Heimatpflege, Seuchen und Seuchenbekämpfung, nachhaltige Entwicklung, Verrechtlichung von Natur, rechtliche Regulierung von Natur, Ökologie als politische und soziale Differenzierungsbewegung,usw.

4. Natur als kulturelle Metapher

Landschaft und Landschaftsgestaltung, Naturlandschaft vs Kulturlandschaft, künstlerische Inszenierungen von Natur, Natur und Mémoire, Naturkatastrophen und ihre kulturelle Verarbeitung, Veränderungen des Rassebegriffs, Soziobiologie, Kulturevolutionstheorien, Kulturkrise und Kulturkritik, Jugendbewegung, Naturalisierung von Kultur und Gesellschaft, Kulturalisierung von Natur, usw.

5. Der menschliche Körper als Träger des Dualismus von Natur und Kultur.

Körperlichkeit, Rolle des Körpers in Anthropologie, Psychologie, Medizin, Darstellung des Körpers in Kunst und Literatur, Jungendlichkeit und Altern, Körperlichkeit und Gedächtnis, Organtransplantationen und Neubestimmung des Individuumsbegriffs, usw.

6. Große Transformationen als Wandel im „Naturverhältnis“ und „natürliche Globalisierung“

Neolithische Revolution, Kolonialismus und die Globalisierung bestimmter Pflanzen- und Tierarten, industrielle Revolution: Arbeitsteilung und Urbanisierung als Entfernung von der Natur, Naturverhältnis in der modernen Ökonomietheorie: Transformation von „Natur“ in Ressourcen, usw.

NB: Die Listen sind „natürlich“ keineswegs vollständig. Die jeweiligen Stichwörter sind nur als Möglichkeiten zum Einstieg in die Thematik gedacht.

Kontakt

Virginie Ransinan

CIERA – Centre interdisciplinaire d’études et de recherches sur l’Allemagne - Maison de la recherche
28 rue Serpente – F-75006 Paris
01 53 10 57 37

ransinan@ciera.fr

http://www.ciera.fr
Redaktion
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