Das Institut für Musik und die Fakultät für Sprach- und Kulturwissenschaften der Universität Oldenburg sind gegenwärtig dabei, einen Forschungsschwerpunkt Transkulturalität einzurichten. Angesichts der bildungspolitischen Herausforderungen will sich das Institut für Musik dabei auf Fragen der transkulturellen Musikvermittlung konzentrieren.
Mit diesem Call for Participation möchten wir diejenigen Nachwuchswissenschaftler_innen ansprechen, die Interesse und Voraussetzungen mitbringen, den konkreten Stand der Forschung im angesprochenen Feld während eines Symposiums mit Workshopcharakter am 23./24.09.2011 in Oldenburg auszuloten. Im interdisziplinären Austausch wollen wir Potentiale und Anforderungen an die konzeptionelle Entwicklung eines Forschungsund Lehrschwerpunktes Transkulturelle Musikvermittlung formulieren.
Das Symposium soll einen aktiven Beitrag zur Entwicklung des jungen Forschungsfeldes und Lehrschwerpunktes Transkulturelle Musikvermittlung leisten. Im Anschluss an das Symposium werden die Beiträge aller Teilnehmer_innen publiziert (voraussichtlich im Frühjahr 2012).
Wenn es die Voraussetzungen erlauben, soll zum Ende des Jahres 2011 im Rahmen des Heyne-Programms der VW-Stiftung eine Juniorprofessur mit der Denomination Transkulturelle Musikvermittlung beantragt werden.
Das Thema: Transkulturelle Musikvermittlung
Pluralisierung, Hybridisierung, Multiethnizität, Kreolisierung, Interkulturalität, Diversität – diese gewiss unvollständige Aufzählung von Begriffen aus dem wissenschaftlichen sowie politischen Sprachgebrauch der Gegenwart versucht einen Prozess begrifflich zu fassen, der keineswegs erst seit Ende des vergangenen Jahrhunderts das Zusammenleben von Menschen und deren kulturell codierte Ungleichheiten kennzeichnet.
Die unterschiedlichsten Formen von Migrationsprozessen und solche der Globalisierung sämtlicher gesellschaftlicher Austausch- und Kommunikationsprozesse haben dazu geführt, dass "andere" Kulturen zu Referenzsystemen im positiven wie negativen Sinne wurden. Die aktuellen politischen Debatten um Integration und Einwanderungspolitik sind ein Indiz dafür, dass Menschen offensichtlich nicht selbstverständlich miteinander leben können, Verschiedenheit nicht akzeptieren bzw. aushalten können, stereotype Zuschreibungen und Vorurteile sich hartnäckig halten, Differenz zum Problem wird, soziale Ängste in der Projektion auf das scheinbar Fremde und dessen Ablehnung artikuliert werden. Nation, Leitkultur und der Kampf der Kulturen bzw. Religionen stehen den Proklamationen und Hoffnungen auf Pluralität, Diversität, friedlichem Miteinander und Anerkennung (in) der Differenz gegenüber.
Ein in der Tradition des philosophischen Idealismus (Herder) stehender Kulturbegriff, der auf der Einheitlichkeit der jeweiligen Lebensformen (1), einer ethnischen Fundierung in einem konkreten territorialen Raum und seinen sprachlichen Grenzen (2) und der Separierung bestimmter Volksgruppen (3) basiert, ist nicht in der Lage, die Binnenstrukturen einer durch die Vielfalt unterschiedlichster Lebensformen und Lebensstile gekennzeichneten Gegenwart zu erfassen. „Transkulturalität“ als Konzept – so der Vorschlag von Wolfgang Welsch1 – hingegen geht von der Annahme aus, dass Gesellschaften der Gegenwart in sich vertikal und horizontal stark differenziert und ethnisch heterogen sind. Prozesse der Vernetzung und eine transkulturelle Prägung der Individuen sind wesentliche Kennzeichen der gesellschaftlichen Realität.
Das Konzept Transkulturalität geht auf die Suche nach mehrfachen kulturellen Anschlüssen, wie man sie beispielsweise heutzutage in den mediatisierten Jugendmusikkulturen ebenso auffinden kann wie in denjenigen artifizieller musikalischer Experimente. Nicht Nationen, Ethnien, Territorien oder „Kulturkreise“ werden zum Maßstab der Differenzbildung bzw. Identifikation, sondern Querstände von sozialen, ökonomischen und habituellen oder auch imaginierten Ressourcen.
Der Begriff der Interkulturalität verengt die Perspektive auf das „Wir“ (Mehrheitsgesellschaft) und die „Anderen“ (Menschen mit Migrationshintergrund) und reproduziert damit tendenziell die alten Ängste gegenüber Fremden. Wie schwierig sich dieser Verständigungsprozess gestaltet, davon zeugen die seit Jahren ungelösten Probleme kultureller Teilhabe, die ausstehende Öffnung des institutionalisierten Kulturbetriebes, Fragen der Bildungscurricula, Integration, gegenseitigen Akzeptanz etc.
Wie an den Schulen in Deutschland, so stehen auch an ihren Universitäten und Musikhochschulen bisher nahezu ausschließlich europäische Kunstmusiktraditionen im Fokus. Die Musikpädagogik in Deutschland ging bis in die 1980er-Jahre sogar davon aus, dass wir in einer Gesellschaft leben, die musikkulturell eindimensional strukturiert sei2. Fragen der Heterogenität und Vielfalt kultureller Erfahrungen und Ansprüche wurden in der Konzentration auf die Vermittlung des kulturellen Erbes entlang der Kategorien von Werk – Autor – Epoche überblendet. Gewiss haben sich Musikpädagogik und Musikwissenschaft längst modernisiert, ihre Gegenstände erweitert und eine Methodenvielfalt entwickelt, die es ihnen ermöglicht, Musik als diskursives System verstehbar zu machen. Gender, Medien, Globalisierung und damit auch die Kernbegriffe der Transkulturalitätsforschung wie Differenz, Identität, Subjektivität, Hybridität gelten als aktuelle Herausforderungen der Musikforschung.
Eine theoretisch fundierte, gleichzeitig auf die musikwissenschaftliche und musikvermittelnde Praxis zielende Bündelung der genannten Wissensbestände konnte bisher jedoch nicht erreicht werden. Es braucht Konzepte und Projekte für die Lernorte vorschulischer, schulischer und außerschulischer Bildung, die mit einem entwickelten Verständnis von Transkulturalität alle in modernen Migrationsgesellschaften lebenden Menschen erreichen.
Zumeist leider nur in bzw. in der Nähe von „Schule“ treffen alle Kinder und Jugendlichen direkt aufeinander. An vorschulischen und schulischen Lernorten sind hochgradig heterogene Lerngruppen aufgrund von Migrationsprozessen (neben anderen Differenzlinien wie Geschlecht, Religion oder Bildungshintergrund) Realität und stellen die Lehrenden vor besondere Herausforderungen. Insbesondere dort – auch am Institut für Musik der Universität Oldenburg – wo in überwiegendem Maße Lehrerinnen und Lehrer ausgebildet werden, kann von den Inhalten transkultureller Forschung und Theoriebildung profitiert werden. Hierzu bedarf es umfangreichen Orientierungswissens und der Selbstreflexion der Lehrenden und Lernenden.
Im Rahmen der Musikpädagogik hat sich im Laufe der vergangenen 30 Jahre eine bemerkenswerte, jedoch nur punktuell – insbesondere was die Praxis angeht – wirksame Diskussion und Publikationstätigkeit3 um die so genannte Interkulturelle Musikerziehung entwickelt. Die Vertreter_innen der Interkulturellen Musikerziehung fordern eine wissenschaftlich qualifizierte Auseinandersetzung mit anderen als der deutschen Musik(hoch)kultur und wenden sich gegen eine Reduzierung anderer musikbezogener Ausdrucksformen auf Folkloristisches bzw. Exotisches. Die Interkulturelle Musikerziehung hat es sich zum Ziel gemacht, Verständnis und Toleranz für andere Musikkulturen zu befördern4. Dabei sucht auch die Interkulturelle Musikerziehung nach Schnittstellen zwischen den Musikkulturen, nach ihren Gemeinsamkeiten, v.a. aber nach Unterschieden. Letztendlich zielt sie damit, wie von ihrer fachwissenschaftlichen Schwester – der Musikethnologie – längst kritisiert, auf den Vergleich zwischen unterschiedlichen Musikkulturen. Dennoch gibt es interessante inhaltliche und methodische Ansatzpunkte und zugleich Reibungsflächen für einen Forschungsschwerpunkt und ein Lehrgebiet, das bisher in Deutschland im Kontext von Musikpädagogik und Vermittlung immer nur nebenbei bzw. am Rande, niemals jedoch in konzentrierter Konsequenz betrieben werden konnte.
Ein Schwerpunkt Transkulturelle Musikvermittlung würde ein Novum darstellen und zugleich das Profil des Institutes für Musik im fachlichen Anschluss an die innovativen Lehr- und Forschungsfelder (hier insbesondere Musik und Medien und Kulturgeschichte der Musik, Musikpädagogik) stärken. Kooperationen innerhalb der Universität sind möglich und erwünscht (EMMIR – European Master in Migration and Intercultural Relations, IBKM – Interdisziplinäres Zentrum für Bildung und Kommunikation in Migrationsprozessen). Das kulturelle Leben in der Stadt, der Region und dem Land Niedersachsen bietet ebenso vielfältige Anknüpfungspunkte.
1 Welsch, Wolfgang 1997: Transkulturalität. Zur veränderten Verfassung heutiger Kulturen, in:
Schneider, Irmela / Thomsen, Christian W. (Hg.): Hybridkultur. Köln, 67-90.
2 vgl. Schütz, Volker (1998): Transkulturelle Musikerziehung, in: Claus-Bachmann, M. (Hg.): Musik
transkulturell erfahren. Anregungen für den schulischen Umgang mit Fremdkulturen, (http://ww-
w.ethnomusicscape.de/clabalitpdf/volkers.pdf)
3http://www.interkulturelle-musikerziehung.de/literaturverzeichnis.htm (zusammengestellt von
Wolfgang Martin Stroh)
4 vgl. Schütz, Volker (1998): ebd.