Völker der Endzeit. Apokalyptische Vorstellungen und politische Szenarien / Peoples of the Apocalypse. Eschatological Beliefs and Political Scenarios

Völker der Endzeit. Apokalyptische Vorstellungen und politische Szenarien / Peoples of the Apocalypse. Eschatological Beliefs and Political Scenarios

Veranstalter
Rebekka Voß, Seminar für Judaistik, Goethe-Universität; Wolfram Brandes, Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte; Felicitas Schmieder, Fernuniversität Hagen
Veranstaltungsort
Goethe-Universität, Campus Westend, Casino 1.802
Ort
Frankfurt am Main
Land
Deutschland
Vom - Bis
23.10.2011 - 25.10.2011
Von
Voß, Rebekka; Brandes, Wolfgang; Schmieder, Felicitas

Im Fokus unserer dritten Endzeiten-Tagung stehen die endzeitlichen Völker. Alle drei monotheistischen Kulturen kennen in ihren unterschiedlichen Spielarten legendäre und utopische Völker, die am Ende der Zeiten eine mehr oder weniger fest umrissene Rolle wahrnehmen können. So hoffen die Juden auf die Rückkehr der sogenannten verlorenen zehn Stämme Israels, die bei der Eroberung des Nordreichs Israel durch die Assyrer im 8. Jahrhundert v.Chr. verschleppt worden waren. Der Legende nach leben sie seitdem an einem unbekannten Ort hinter dem tosenden Fluss Sambatjon, wo sie ungeduldig auf die Ankunft des Messias warten. Den Christen und Muslimen war ein jüdisches Volk der Endzeit nicht fremd. Im deutschen Sprachraum fürchtete man die zehn Stämme gar als „rote Juden“. Diese roten Juden würden gemeinsam mit dem Antichrist kommen und über die Christenheit herfallen. Es war dies dasselbe imaginäre Volk in umgekehrter Wertung: Während die Juden auf die zehn Stämme als Retter warteten, evozierte ihre Ankunft bei den Christen Furcht und Zähneklappern. Auf der interreligiösen apokalyptischen Landkarte liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zu den zehn Stämmen schließlich das Reich des mythischen Priester Johannes sowie der Söhne Moses, der Leviten, die nach der Bibel weinend an den Wassern Babylons saßen und die arabische Quellen als Banu Musa kennen, denen der Prophet Mohammed selbst einen Besuch abgestattet haben soll.

Diese endzeitlichen Völker, die zehn Stämme Israels, die roten Juden, die biblischen Zerstörer Gog und Magog aus dem Buch Ezechiel und der neutestamentlichen Offenbarung des Johannes, die Kinder des Lichts und die Kinder der Finsternis aus den Schriftrollen vom Toten Meer, die Ismaeliten aus der Pseudo-Methodius Prophetie, um nur einige zu nennen, wurden zu unterschiedlichen Zeiten mit verschiedenen, in unserem heutigen Verständnis realeren Völkern identifiziert. So fürchtete man im 13. Jahrhundert die in Europa einfallenden Mongolen als Gog und Magog – wie man schon in der Spätantike die Goten oder Hunnen (u.a.) mit ihnen identifizierte und sie später Eingang in den Koran fanden – und meinte nach der Entdeckung Amerikas, in den Indianern die zehn Stämme wiederzuerkennen. Noch in der Moderne berichteten Reisende begeistert, die zehn Stämme Israels nun endlich in China, Äthiopien oder dem Jemen gefunden zu haben. Heute nutzt die politische Rhetorik Wendungen wie „Achse des Bösen“ oder „Schurkenstaaten“, um ein endzeitliches Bedrohungsszenario zu entwerfen.

Wir wollen uns zum einen die Frage stellen, welche Vorstellungen in Judentum, Christentum und Islam in ihren verschiedenen kulturellen Ausprägungen mit den jeweiligen Endzeitvölkern verbunden wurden und werden. Welche Gruppe ist am Ende der Zeiten zu erwarten? Was tut sie, welche Aufgaben nimmt sie wahr? Welche Ängste vor dem Fremden oder Hoffnungen auf Hilfe werden auf sie projiziert? Welche Legenden kreisen um die Angehörigen dieses Volkes? Wie werden sie charakterisiert, was für ein Leben führen sie? Sind sie den guten oder den bösen Helden der Endzeit zuzuordnen? Woran kann man die Endzeitvölker erkennen, wie kündigen sie sich an? Dabei interessiert uns vor allem der interkulturelle Vergleich und weitergehend eine mögliche wechselseitige Beeinflussung sowie der Austausch von Ideen. Wie auf den beiden anderen Tagungen möchten wir zum anderen die politischen Implikationen der Naherwartung eines endzeitlichen Volkes untersuchen. Mit welcher realen ethnischen oder gesellschaftlichen Gruppe wurde ein imaginäres Volk der Endzeit gleichgesetzt und vor allem warum? Wo wurde es in der Kartographie verortet? Welche Konsequenzen hatte diese Erkenntnis für die eigene Geschichtsdeutung und das gegenwärtige Handeln? Wozu wurde die Identifikation (aus)genutzt? Welche Rolle spielte sie insbesondere im interreligiösen Diskurs, sowohl in der polemischen Auseinandersetzung als auch im informativen, freilich nie wertneutralen Dialog?

Die Betrachtung der Endzeitvölker ist nicht neu. Doch liegt der wichtige Beitrag unserer dritten interdisziplinären Endzeiten-Tagung wiederum gerade in ihrem interkulturellen Vergleich sowie in der Einbeziehung eines chronologisch bedingten Wandels von Ideen und ihren politischen Auswirkungen von der Antike bis zur Gegenwart.

Programm

Sonntag, 23. Oktober

14:00
Anmeldung und Kaffee

14:15 – 14:45
Begrüßung und Einführung

14:45 – 16:00
Veronika Wieser (Wien): Bewegungen des Untergangs. Barbaren und ihre apokalyptische Deutung während deR Völkerwanderungszeit

Wolfram Brandes (Frankfurt): Gog, Magog und die Hunnen. Anmerkungen zur eschatologischen „Ethnographie“ der Völkerwanderungszeit

Kaffeepause

16:30 – 18:30
Katharina Enderle (Tübingen): Beobachtungen zur byzantinischen Apokalyptik um 500 n. Chr.

Lutz Greisiger (Jerusalem): Opening the Gates of the North in 627. War, Anti-Byzantine Sentiment and Apocalyptic Expectancy in the Near East prior to the Arab Invasion

Lars Hoffmann (Frankfurt): Die slawischen Völker und die Bulgaren als Vorboten der Apokalypse in der Wahrnehmung der Byzantiner bis zur ersten Jahrtausendwende

18:30
Empfang

Montag, 24. Oktober

9:00 – 11:00
Asma Hilali (London): Who are the Peoples of the Apocalypse in Hadith Literature?

David Cook (Houston): The Image of the Turk in Muslim Apocalyptic Tradition

Anna Akasoy (Oxford): The Andalusians in Islamic Eschatology

Kaffeepause

11:15 – 13:15
Faustina Doufikar-Aerts (Amsterdam): Religiöses, Fabulöses und Böses. Gog und Magog im islamischen Raum

Mohammad Masad (Dubai): Banu Al-Asfar in Islamic Apocalyptic Literature

Zara Pogossian (Rom/Bochum): Romans, Armenians, Jews and the Infidel. Peoples and Destinies in Armenian Apocalyptic Texts

Mittagessen

14:30 – 16:30
James Palmer (St. Andrews): Apocalyptic Outsiders and their Uses in the Early Medieval West

Katie Cubitt (York): Nation shall rise up against Nation. The Vikings and Apocalyptic Fears in England around the year 1000

Anke Holdenried (Bristol): The Suffering People: Christian Tribulation, Eschatological Narrative, and the Eleventh-Century Ecclesiastical Reform Movement

Kaffeepause

17:00 – 19:00
Delia Kottmann (Paris/Dresden): Der Kampf gegen das regnum. Die Konzeption des Bildprogramms des romanischen Apokalypsezylus in Saint-Savin-sur-Gartempe als Kampf gegen die Völker Satans, Gog und Magog

Anna Milne (Canterbury, Neuseeland): Agency in Mendicant Appropriation of Political Prophecy

Pavlina Cermanova (Prag): Gog und Magog. Die Völker des Weltendes im Hussitismus

Dienstag, 25. Oktober

9:00 – 11:00
Ulrike Wuttke (Gent): Tatars and Greeks. An Unholy Alliance in the ‚Lekenspiegel‘ (The Laymen’s mirror) of Jan van Boendale (14th c.)

Petra Waffner (Hagen): Der altfranzösische Livre de Sidrac und die Endzeit

Courtney Kneupper (Chicago): The Wirsberger Brothers' Prophetic Letter to the City of Nürnberg

Kaffeepause

11:15 – 12:30
Anselm Schubert (Erfurt): Der Heilige Rest als Volk der Endzeit. Münster und christlicher Messianismus in der Reformationszeit

Andreas Pečar (Halle): Der letzte Angriff der Gottesfeinde Gog und Magog? Die Bedrohung Englands durch die spanische Armada

Mittagessen

14:00 – 15:15
Sabine Schmolinsky (Erfurt): Juden, "Heiden" und "Ketzer" in der Endzeit

Alexandra Cuffel (Bochum): Lost Tribes of Israel in Medieval Islamic Apocalyptic Speculation and Polemic

Kaffeepause

15:45 – 17:00
Moti Benmelech (Jerusalem): The Ten Lost Tribes in Sixteenth-Century Jewish Messianic Discourse

Rebekka Voß (Frankfurt): Die roten Juden. Jüdische und christliche Färbung

------------------------------
gefördert durch die
Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung

KOSTENFREIE TEILNAHME
KEINE ANMELDUNG ERFORDERLICH

Kontakt

Bei Interesse bitte wenden an:
sekr-judaistik@uni-frankfurt.de

http://www.judaistik.uni-frankfurt.de/aktuell/index.html