Internationale und interdisziplinäre Tagung
Die Emmy-Noether-Gruppe „Aufrichtigkeit in der Goethezeit“ (Universität Paderborn) lädt interessierte Forscherinnen und Forscher aus der Philosophie, Katholischen und Evangelischen Theologie, Germanistik sowie benachbarten kulturwissenschaftlichen Fächern zu einer internationalen Tagung zum Thema Gewissen ein. Die Tagung findet – vorbehaltlich der Bewilligung ihrer Finanzierung – vom 2. bis 6. Oktober 2012 an der Universität Paderborn statt.
Die Tagung wird aus interdisziplinärer Perspektive das Gewissen als ein Phänomen zwischen Vernunft und Gefühl untersuchen. Gewissen erscheint im 18. Jahrhundert als jene moralische Instanz, die im Spannungsfeld von theologischer Tradition, neuen moralphilosophischen Definitionen und literarischen Inszenierungen zentrale Bedeutung erlangt. Während sich dabei die Moraltheologie als Reaktion auf den Rationalismus zunehmend an naturrechtlichen Theorien orientiert, entwickelt die Kasuistik konkrete Verhaltensregeln, die die ursprünglich dem Gewissen zukommende Funktion der Beurteilung von Handlungen aufheben. Dagegen nimmt die Philosophie traditionelle christliche Vorstellungen wie den ‚inneren Gerichtshof‘ oder die ‚Stimme Gottes‘ auf, überführt sie aber zugleich in neue Definitionen des Gewissens. Die Literatur schließlich produziert nicht nur sprachliche Bilder und Personifikationen für die abstrakte Instanz des Gewissens, sondern inszeniert in zahlreichen Varianten den Gewissenskonflikt als wesentliches Handlungselement.
Wie weitreichend die Gewissensproblematik im 18. Jahrhundert sein kann, lässt sich vielleicht anhand von Waitwells Spruch in Lessings ‚Miss Sara Sampson‘ erahnen: „Das Gewissen ist doch mehr als eine ganze uns verklagende Welt.“ Im Rahmen einer aufklärerisch bestimmten Forderung nach Mündigkeit scheint der diskursive Einsatz des Gewissens mindestens ambivalent zu sein: Als beispielsweise überholtes Konzept im Lichte der entlastenden Kasuistik geschwächt, wird seine Funktion andererseits im Kontext einer Verlagerung der Verantwortung auf das Individuum gestärkt. Im Zuge dieser Entwicklungen wird das Gewissen zum Bestandteil von Bildungstheorien, die sich – im Sinne der ‚großen Erzählungen‘ – der Menschheit (am Beispiel geschichtsphilosophischer Entwürfe) oder – als selbsterforschende ‚kleine Erzählung‘ – dem Einzelnen (beispielsweise im Bildungsroman oder in der Autobiographie) widmen.
Die Tagung will daher nicht nur grundlegende Tendenzen der Gewissensdiskussion innerhalb dieses Spannungsfeldes rekonstruieren und die rhetorischen, moralischen, handlungstheoretischen und literarischen Funktionen des Gewissens bestimmen. Es soll auch ebenso sehr um jene spezifischen Ausprägungen des Gewissens gehen, die dieses problematisch werden lassen: etwa das ‚irrende Gewissen‘, das ‚schlechte Gewissen‘, die ‚Gewissensbisse‘ oder das ‚richtende Gewissen‘. Neben führenden Positionen und Autoren sollen ebenfalls weniger bekannte berücksichtigt werden, um dadurch einen Überblick über die verschiedenen kulturellen Entwicklungen, die das Gewissen im 18. Jahrhundert erfahren hat, zu ermöglichen.
Die Vorträge können u.a. an folgende Punkte anknüpfen:
- Unterscheidung von Wahrscheinlichkeit und Gewissheit in der Analyse des Gewissens
- Scham, Reue und Gewissensbisse im moralphilosophischen und theologischen Kontext
- Naturrechtliche Argumente und theologische Perspektiven bei der Begründung der Prinzipien und der Urteile des Gewissens
- Das Gewissen in der katholischen Kasuistik
- Kultivierbarkeit des Gewissens
- Rolle von Metaphern und Bilder für den Diskurs des Gewissens (der ‚innere Gerichtshof‘, das ‚Herz‘, die ‚Gewissensbisse‘, die ‚innere Hölle‘, etc.)
- Funktion von Gewissenskonflikten in dramatischen Handlungen
- Gewissen als Individualisierungsstrategie in literarischen Texten
Abstracts für Vorträge (max. 1 Seite) werden bis zum 15.11.2011 per Mail an roselli@mail.uni-paderborn.de erbeten.
Eine Übernahme der Reise- und Übernachtungskosten ist vorgesehen. Eine Publikation der Beiträge ist geplant.