Im 19. und frühen 20. Jahrhundert emigrierten Deutsche, aber auch Angehörige anderer Nationalitäten in großer Zahl aus Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa nach Übersee, um wirtschaftlich schwierigen Verhältnissen, Armut, Arbeitslosigkeit und politischer Unfreiheit in der Heimat zu entrinnen. In der Hoffnung auf bessere Lebensbedingungen machten sie sich über Häfen in Westeuropa (darunter auch Hamburg, Bremen, Bremerhaven und Amsterdam) auf den Weg in die USA, nach Kanada, Südamerika, Australien bzw. in die deutschen Kolonien in Übersee. Eine besondere Rolle spielten dabei Reedereien, die mithilfe von professionellen Auswanderungsagenten gezielt ausreisewillige Menschen im östlichen Europa anwarben und damit die Emigration förderten. Nach mehrwöchigen Überfahrten mit dem Schiff im Zielland angekommen, mussten sich die Auswanderer den dortigen Einreisebehörden stellen, in der Hoffnung, aufgenommen zu werden. Noch heute führen zahlreiche Menschen in den USA und anderen Ländern ihre familiären Wurzeln auf deutsche Auswanderer zurück.
Die Tagung möchte aus volkskundlicher Perspektive die Auswanderung von Deutschen aus dem östlichen Europa analysieren. Ziel ist es, folgende Fragen zu beleuchten: Was bewegte die Menschen, ihre Heimat zu verlassen? Welche Hoffnungen waren mit der Auswanderung verbunden? Wie gelangten die deutschen Auswanderer aus dem östlichen Europa zu den Überseehäfen? Was fand sich in ihrem Gepäck? Wie nahm man sie in Übersee auf? Welche Auswirkungen hatte die Auswanderung auf Herkunfts-, "Durchgangs-" und Aufnahmeländer? Welchen Niederschlag fand die Auswanderung in verbalen Überlieferungen wie Erzählstoffen, Liedern und Briefen, in materiellen Zeugnissen (Architektur, Inschriften, Friedhöfen etc.) und Gewohnheiten? Soziale, gesellschaftliche und insbesondere kulturelle Bedingungen und Folgen der deutschen Auswanderung sollen in den Blick genommen werden. Außerdem sollen Fragen der Identität, der Integration, der Akkulturation bzw. Assimilation der Einwanderer in ihrer "neuen" Heimat beleuchtet werden. Ein spannender Aspekt dabei könnten Kontinuität bzw. Wandel interethnischer Beziehungen im Prozess der Auswanderung sein, z.B. die Interaktionen von Deutschen, Polen, Tschechen und Ungarn in amerikanischen Industriestädten wie Chicago und Detroit.