Gefühlsräume – Raumgefühle. Zur Verschränkung von emotionalen Praktiken und Topografien der Moderne

Gefühlsräume – Raumgefühle. Zur Verschränkung von emotionalen Praktiken und Topografien der Moderne

Veranstalter
DFG-Forschergruppe „Kulturen des Wahnsinns“ und Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Forschungsbereich Geschichte der Gefühle
Veranstaltungsort
MPI für Bildungsforschung, Lentzeallee 94
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
10.01.2013 - 11.01.2013
Deadline
01.06.2012
Website
Von
Benno Gammerl und Rainer Herrn

Menschen fürchten, den Zug zu verpassen, freuen sich auf ein Wiedersehen mit der oder dem Geliebten, steigen – aus Angst vor einem Zugunglück – weder in den ersten noch in den letzten Wagen, sehnen sich nach fernen Reisezielen, betrachten argwöhnisch einzeln stehende Gepäckstücke, ärgern sich über Rempeleien im Gedränge oder versuchen mit gelangweilter Routine im Pendlerzug einen Fensterplatz in Fahrtrichtung zu ergattern: Auf diese Weise evozieren und produzieren Bahnhöfe Gefühle. Umgekehrt bestimmen und formen diese Emotionen wiederum spezifische Vorstellungen und Nutzungen von Orten moderner Mobilität und Kommunikation. So eingängig die Beispiele sind, so selten wurde bisher aus historischer Perspektive systematisch danach gefragt, wie Raumstrukturen, -imaginationen und -wahrnehmungen mit emotionalen Mustern und Praktiken interagierten. Welche Konvergenzen, Ambivalenzen und Widersprüche bringt dieses Wechselspiel hervor und auf welche Weise lassen sich die dabei entstehenden Dynamiken analytisch wie empirisch fruchtbar machen?

Obgleich bereits seit einigen Jahren sowohl von einem spatial als auch von einem emotional turn die Rede ist, gibt es bisher nur wenige Untersuchungen, die Räume und Gefühle als historisch wie kulturell variable Dimensionen in ihrem Wechselverhältnis betrachten. Unser Workshop möchte das Potenzial einer solchen Perspektive auf die Moderne anhand von verschiedenen Fallstudien ausloten. Dabei sollen konkrete Orte, wie beispielsweise die Männertoiletten eines Opernhauses, und ihre räumlichen Abstraktionen nicht nur als leere Container, sondern als gelebte und erlebte Formationen in den Blick genommen werden, die vielfältige soziale Praktiken – vom schamvoll-begehrlichen Seitenblick über das weltmännisch-beiläufige Zurechtzupfen der Abendgarderobe bis hin zum gepflegten Herrenwitz – ermöglichen und einfordern. Die Untersuchung solcher Schwellenräume, die zumindest scheinbar weniger strikten Normen unterliegen, könnte sich als besonders fruchtbar erweisen. Gleiches gilt für die Reibungen zwischen konkreten Raumerfahrungen und medial vermittelten Raumimaginationen, die Überschreitungen und Unterwanderungen von gesellschaftlich vorgegebenen Raumnutzungen und Grenzen ermöglichen. In ähnlicher Weise sollen auf der anderen Seite nicht nur die sozialen Standards für den Ausdruck von Gefühlen, sondern auch Verstöße gegen Gefühlsregeln und Kollisionen unterschiedlicher geschlechts-, kultur- oder generationsspezifischer emotionaler Stile und moralischer Topografien in den Fokus der Untersuchung rücken. So kann Angst, je nachdem wer sie in welcher Situation empfindet und äußert, als vernünftiger Schutzmechanismus geschätzt, als Ausdruck von Empfindlichkeit abgetan oder als psychiatrisch relevanter Affekt pathologisiert werden.

Gerade derlei Uneindeutigkeiten verweisen auf die historische Gewordenheit und den politischen Charakter solcher Konventionen zugleich aber auch auf ihre Verschiebbarkeit.
Entscheidend ist es, räumliche Arrangements und emotionale Muster gleichermaßen als dynamische Größen zu verstehen. Deswegen gilt es, Praktiken der Raum- und Gefühlsproduktion sowie unterschiedliche Konzeptualisierungen von Räumlichkeit und Emotionalität in ihrer Variabilität und Ambiguität zu untersuchen. Dabei können die historischen Fallstudien entweder bestimmte Gefühle in unterschiedlichen Räumen verfolgen – Trauer auf dem Friedhof, auf dem Standesamt oder im Fußballstadion – oder von bestimmten Räumen aus auf unterschiedliche Gefühle blicken, z.B. Reue, Schadenfreude oder Hass im Gerichtssaal. Als besonders spannend könnten sich hier Orte wie die Nervenklinik erweisen, die sowohl Gefühle hervorriefen, vorgaben und bewerteten als auch der Produktion von Wissen über Gefühle dienen sollten. Aber auch andere Fragen versprechen interessante Einblicke: Wie prägten beispielsweise Ängste und Hoffnungen historisch spezifische Formen räumlicher Kontrolle – von der Verhinderung spontaner Straßenunruhen bis zur Sicherung bestimmter Wohngegenden? Oder wie wirkten sich umgekehrt die Anordnung von Räumen und Apparaten beispielsweise in der Börse auf die dort ausgeübten emotionalen Praktiken aus?

Wir freuen uns über geschichts- und kulturwissenschaftliche, ethnologische, soziologische, geografische und andere Beiträge zum Thema. Die Veranstaltung wird getragen von der DFG-Forschergruppe „Kulturen des Wahnsinns“ und dem Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Forschungsbereich Geschichte der Gefühle, in Berlin, wo der Workshop stattfinden wird. Kosten für Reise und Unterbringung können übernommen werden. Vorschläge bitte mit einem Abstract (max. 400 Wörter) bis zum 1. Juni 2012 an rainer.herrn@charite.de. Das Workshop-Programm wird bis zum 15. Juli fertiggestellt. Die etwa 15 Seiten umfassenden Beiträge müssen bis zum 14. Dezember 2012 vorliegen, so dass sie von allen Teilnehmer_innen bereits vor dem Workshop gelesen werden können (precirculated papers).
Rückfragen richten Sie bitte an Benno Gammerl (gammerl@mpib-berlin.mpg.de) oder Rainer Herrn (rainer.herrn@charite.de).

Programm

Kontakt

Benno Gammerl

MPI für Bildungsforschung
Lentzeallee 94
14195 Berlin

gammerl@mpib-berlin.mpg.de


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Sprach(en) der Veranstaltung
Deutsch
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