Sommerschule: Paul Cézannes ‚Rettung der Dinge‘ als kulturwissenschaftliche Herausforderung

Sommerschule: Paul Cézannes ‚Rettung der Dinge‘ als kulturwissenschaftliche Herausforderung

Veranstalter
Prof. Dr. Christoph Jamme / Kristin Drechsler, Abteilung Philosophie Institut für Kulturtheorie, Kulturforschung und Künste, Leuphana Universität Lüneburg
Veranstaltungsort
Université de Provence (Aix-Marseille)
Ort
Aix-en-Provence
Land
France
Vom - Bis
18.09.2012 - 23.09.2012
Deadline
15.06.2012
Website
Von
Kristin Drechsler

Einladung zur Sommerschule: Paul Cézannes ‚Rettung der Dinge‘ als kulturwissenschaftliche Herausforderung
18.-23. September 2012 an der Université de Provence (Aix-Marseille)

Call for Papers

An der Schwelle zum 20. Jahrhundert gipfeln industriekulturelle Entwicklungen in einer zunehmenden Beschleunigung des Alltäglichen und eine nie zuvor da gewesene Mannigfaltigkeit an massenhaft produzierten Dingen weitet sich aus. Die Vorstellung einer wissenschaftlich fassbaren Welt findet eine weitreichende Ausprägung, die sich auch in einem universellen Fortschrittsglauben äußert. Lange vorbereitete Prozesse der Säkularisierung, Industrialisierung und Urbanisierung formen das Umfeld, in dem sich die zunehmend als abstrakt und flüchtig charakterisierte Begegnung des Menschen mit seiner Umgebung ereignet.

Diese Veränderungen evozieren ein Krisengefühl, das sich innerhalb der Kunst als Rede vom Verlust der Dinge artikuliert. Vor dem Hintergrund der sich ausbreitenden Massenproduktion ist dieses Empfinden nicht auf einen quantitativen Mangel an Objekten zu beziehen, sondern zunächst auf das Fehlen eines gemeinsamen Bezuges von Dingen und Menschen – schließlich verlangen die massenhaft hergestellten Objekte, gerade weil sie auf den Ge- und Verbrauch hin ausgerichtet sind, kein intensives Auseinandersetzen mehr und werden zu austauschbaren Nebensächlichkeiten. Darüber hinaus wird jegliche Erscheinung den Grenzen wissenschaftlicher Weltauslegung untergeordnet und unterliegt so ganz dem Glauben an die Möglichkeit, mittels technischer Innovationen die Unterwerfung der Natur zugunsten einer fortschreitenden, zivilisatorischen Entwicklung voranzutreiben.

Der französische Maler Paul Cézanne (1839-1906) blickt diesem Wandel mit Sorge entgegen: „Es steht schlecht. Man muss sich beeilen, wenn man noch etwas sehen will. Alles verschwindet“. Sein künstlerischer Ausdruck fordert die spezifisch moderne Ausdeutung der Welt als kalkulierbares, passives Element heraus und antwortet der als Bedrohung empfundenen alltäglichen Zerstreuung und Flüchtigkeit mit einer Konzentration auf die substantielle Beständigkeit der Dinge. Einer Technik, die sich auf der Grundlage einer anthropozentrischen Weltanschauung entfaltet, also auf der Annahme der möglichen Berechenbarkeit aller Phänomene beruht, stellt er eine Bewusstseinshaltung entgegen, die in den Dingen keine verfügbaren, berechenbaren Objekte sieht. Seine Bilder und die mit ihnen verbundene Arbeitsweise bedeuten gerade die Absage an einen im Vorhinein festgelegten Maßstab, der von statischen Grenzen durchzogen ist und die Dinge ihrer eigenen Dynamik und Lebendigkeit beraubt. Sein Anliegen, eine den Motiven eigene Gesetzmäßigkeit in den Blick zu rücken, verlangt eine radikal veränderte Betrachtungsweise und kann als Versuch einer Rettung der Dinge bezeichnet werden.

Diese ‚Rettung‘ wird dem Maler zur existentiellen Notwendigkeit. So erwecken seine Darstellungen den Eindruck, als zeigten sie „Momente vor dem Erdbeben“, als antworteten sie jenem „Bedürfnis nach Dauer“, das inmitten einer Welt aus flüchtiger und fragmentierter Erfahrung laut wird. Die Birnen, Pfirsiche, Äpfel und Zwiebeln, die Vasen, Schalen und Flaschen seiner Stillleben erscheinen, „als seien diese Dinge die letzten“. So erwecken sie den Anschein einer „Fortifikation des Wirklichen“ und vollziehen damit eine „Bergung der Dinge in Gefahr“. (Handke, 1980)

Cézannes Ziel, in ein ‚geschwisterliches Verhältnis‘ zu den Dingen einzutreten, kann als radikaler Kommentar zu den durch den Triumph der modernen Wissenschaften verursachten Zerstörungen gelesen werden und hält dazu an, die moderne Frage nach dem Verhältnis Mensch-Welt einer Revision zu unterziehen. Somit beschreitet der Maler mit seinem Werk Grenzräume modernen Vorstellens.

Zwar wird seine spezifische Bildästhetik zu einem zentralen Forschungsgegenstand der Kunstgeschichte und sein Leben und Werk diente zahlreichen bildenden Künstlern vom Kubismus bis heute als ein wichtiger Bezugspunkt, jedoch zeigt sich das Potenzial seines Schaffens gerade auch mit einem Blick auf eine weitreichende Rezeption, die die Grenzen zwischen den Bereichen von Künsten, Philosophie und Wissenschaft be- und überschreitet. So ist zum einen in der Literatur eine wesentliche Auseinandersetzung auszumachen, wie zum Beispiel bei Rainer Maria Rilke, Robert Walser sowie Peter Handke und Klaus Böldl. Weiter ist es besonders eine phänomenologisch orientierte Philosophie, der Cézanne zur Herausforderung wird. Auch filmischen Darstellungen wird die Figur des Malers zum Punkte des Interesses.

Cézannes Position öffnet also den Raum für eine Begegnung zwischen den Disziplinen und vermag es so, statische Grenzziehungen in Bewegung zu versetzen. Dies verlangt eine entsprechende Annäherung. Hierin liegt das Potenzial einer spezifisch kulturwissenschaftlichen Perspektive, die, als Vermittlerin verschiedener Weltzugänge verstanden, eine Annäherung und Aktualisierung des Cézannschen Programms unterstützen kann.

Die Sommerschule Paul Cézannes ‚Rettung der Dinge‘ als kulturwissenschaftliche Herausforderung, die vom 18.-23. September 2012 an der Université de Provence (Aix-Marseille) stattfinden wird, möchte in diesem Sinne eine Begegnung und gegenseitige Befruchtung unterschiedlicher Disziplinen ermöglichen und so die Aktualität der Cézanneschen Position in den Blick rücken.

Im Zentrum der Sommerschule steht die Frage und das Interesse, inwiefern die mit Cézanne eingeleitete Blickwendung die Grenzen moderner Weltordnungen unterläuft und somit eine alternative Sicht auf die Wirklichkeit zulässt.

Über Beiträge, die sich dem hier verhandelten Themenkomplex annähern, freuen wir uns sehr und möchten besonders NachwuchswissenschaftlerInnen eine Möglichkeit des Austausches und der Präsentation geben. Die Einreichung der Vorschläge wird bis zum 15. Juni 2012 erbeten.

Der genaue Programmablauf ist derzeit in Arbeit.

Programm

Kontakt

Prof. Dr. Christoph Jamme / Kristin Drechsler
Abteilung Philosophie
Institut für Kulturtheorie, Kulturforschung und Künste
Leuphana Universität Lüneburg

Ansprechpartnerin: Kristin Drechsler
Kontakt: sommerschule_frankreich@gmx.de