Im Rahmen des deutsch-polnisch-russischen Trialog-Projektes findet vom 23.-30. September 2012 in Frankfurt (Oder) eine Sommerschule zum Thema „Grenzen der Erinnerung. Erinnerungslandschaften im Oderraum“ statt.
Die nunmehr dritte Sommerschule des Trialogs beschäftigt sich mit „Grenzen der Erinnerung“ anhand von ausgesuchten Themen aus der Geschichte des Oderraums in ihren verschiedenen kulturellen Diskursen. Dabei sind „Grenzen“ im doppelten Wortsinne zu verstehen: Grenzen befinden sich im steten Wandel und hinterlassen dabei Spuren sowohl in materieller Form als auch in den Vorstellungen der Menschen. Der Oderraum ist von Grenzen verschiedener Art geprägt, gleichzeitig war die Oder fast immer auch eine wichtige Handels- und kulturelle Verbindungslinie, die den schlesischen, brandenburgischen und mecklenburgisch-pommerschen Raum mit dem Ostseegebiet verband.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die Oder Teil einer Grenze zwischen zwei Staaten, der VR Polen und der DDR, die offiziell zwar friedlich zusammenlebten, für die spätestens nach der Erklärung des Kriegsrechts in Polen jedoch die Oder eher eine Barriere als einen Verbindungsweg darstellte. Beide Staaten wiesen neben vielen Gemeinsamkeiten auch starke kulturelle Unterschiede auf und standen darüber hinaus unter dem Einfluss der Sowjetunion, die als siegreicher, ideologischer und sozialistischer Vorbildstaat fungierte und die im Alltag durchaus in Form von Soldaten, Funktionären und Kulturträgern sichtbar und erlebbar war. Die politische Dominanz der Sowjetunion sowohl innerhalb des sozialistischen Lagers als auch als Besatzungsmacht wurde von vielen Menschen bewundert, konnte aber auch auf deutliche Ablehnung stoßen.
An dieser Stelle bekommt „Grenze“ einen weiteren Sinn, angesprochen sind die „Grenzen im Kopf“, die sich in national eingeengten historischen Erzählungen, von Stereotypen geprägten Vorstellungen voneinander und einem Mangel an gemeinsamen positiven Erfahrungen manifestieren. Anders gesagt, an der Oder stießen drei von unterschiedlichem kulturellen und historischen Erleben geprägte Welten aufeinander, deren jeweilige Begrenztheit erst nach 1989 Stück für Stück abgebaut wird.
Mit der Überwindung des Sozialismus und der gemeinsamen Mitgliedschaft in einem zunehmend vereinigten Europa verlor nun die politische Grenze an Oder und Neiße immer mehr an Bedeutung, die Sowjetarmee verschwand und mit ihr ein Großteil der einst spürbaren russisch-sowjetischen Kultur in diesem Gebiet. Was bleibt, sind Spuren aller drei genannten Kulturen links und rechts von Oder und Neiße. Trotz dieser vorhandenen Spuren scheint eine historische Erfahrung von einem gemeinsamen Zusammenleben im Oderraum bisher nicht formuliert zu sein, statt dessen wird Geschichte aus meist national eingeengter Perspektive erzählt, in seltenen Fällen wird ein binationaler Blick auf den gemeinsamen Erfahrungsraum geworfen. Dabei hat eine trinationale Perspektive, abgesehen von einem ohnehin erweiterten Horizont, den Vorteil eines jeweils „unbeteiligten“ Beobachters binationaler Diskurse, der in besonderem Maße zu einem besseren Verständnis beitragen kann. Nicht zuletzt aber kann die Fokussierung auf die Oderregion zeigen, dass Polen, Russen und Deutsche über eine gemeinsame Geschichte in diesem Raum verfügen, die Anlass gibt, sich darüber auszutauschen, sich zu begegnen und miteinander zu forschen.