ZIELSETZUNG
Das Symposium Geschlecht und Erinnerung online hat zum Ziel, die Bedeutung der medialen Verfasstheit von Erinnerung online und die Bedeutung der Kategorie Geschlecht für die Erinnerung an die Shoah interdisziplinär zu diskutieren. Der Fokus des Symposiums liegt dabei auf der Geschichte der Shoah, aber auch andere thematische Beiträge sind möglich. Explizit erwünscht sind Beitragsvorschläge, die didaktische Fragestellungen aufgreifen.
INHALTLICHE EINFÜHRUNG
Die Erinnerung an die Shoah wird in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten zunehmend auch digital resp. online vermittelt. Das Visual History Archive (VHA) der USC Shoah Foundation steht paradigmatisch für diese Entwicklung. Mehr als 48.000 Zeugnisse Überlebender der Shoah sind in diesem Archiv enthalten. Es handelt sich hierbei um teilstrukturierte ZeitzeugInneninterviews, die audiovisuell aufgezeichnet und anschließend digitalisiert sowie archivarisch erfasst wurden. Sie sind nur durch die Benutzung digitaler Medien zugänglich und rezipierbar. Der Quellenkorpus ist in geringem Umfang online zugänglich, der größere Teil ist jedoch nur über lizenzierte Standorte abrufbar. Auch andere Institutionen haben in den vergangenen Jahren verstärkt mit der Integration und Entwicklung digitaler Archive und anderer Angebote begonnen.
Dieser soeben skizzierte mediale Wandel der letzten Jahre ist auf der einen Seite zu reflektieren. Auf der anderen Seite gilt es aber auch, bereits existente Forschungskategorien auf die Arbeit mit dem Visual History Archive und anderen digitalen Angeboten zur Geschichte der Shoah zu beziehen. Das geplante Symposium will hierbei den Blick auf die Kategorie Geschlecht lenken. Geschlecht ist in der Forschung zur Geschichte der Shoah eine seit längerem relevante Kategorie. Die Geschichte der Shoah ist geschlechterdifferent erfahren und erinnert worden. Frauen und Männer hatten während der Shoah unterschiedliche Handlungsoptionen und waren geschlechtlich different von Gewalt bedroht und betroffen. Auch die Erinnerung an die Shoah ist durch den Faktor Geschlecht bestimmt. Hegemoniale Narrative waren oftmals männlich kodiert, gleichzeitig wurden spezifisch weibliche Erfahrungen der Verfolgung selten in die gängigen Narrationen integriert und auch lange Zeit von den Überlebenden selbst nicht thematisiert.
Bisher ist die Kategorie Geschlecht allerdings nur sehr bedingt als Forschungskategorie in Bezug auf den medialen Wandel der Erinnerung an die Shoah betrachtet worden. Wenn Geschlecht als Kategorie bei der Analyse der Zeugnisse des VHA, aber auch anderer digitaler Angebote zur Geschichte der Shoah reflektiert wird, stellen sich diverse neue Fragen. Als weitere Faktoren sind unter anderem die Verlaufsgeschichte der Shoah, ihre Nachgeschichte, aber auch die Bedeutung nationaler Narrative für die geschlechtersensible Erinnerung an die Shoah einzubeziehen.
Die mediale Verfasstheit der Zeugnisse verweist auf die ihnen immanente Bedeutung der Weitergabe von Erinnerung, weswegen auch Aspekte der geschlechtersensiblen Vermittlung höchst relevant sind. Die Vermittlung im Kontext von Lehr- und Lernprozessen in Schule, Universität und anderen Bildungseinrichtungen muss sich daher an Konzepten geschlechtergerechter Didaktik orientieren. Die Kategorie Geschlecht sollte dabei als Analyseinstrument im Unterricht den SchülerInnen transparent gemacht werden, dies gilt auch für die Erinnerung an die Shoah. Während des Symposiums sollen daher neben den epistemologischen Fragen explizit geschichtsdidaktische Problemfelder diskutiert werden.
FRAGESTELLUNGEN
Einige mögliche Fragestellungen für Beiträge während des Symposiums sind daher:
- Welche neuen historischen Forschungsoptionen bieten virtuelle Archive und weitere Datenbanken für die Fragestellung Geschlecht und Erinnerung?
- Inwieweit ist die Entstehung der Zeugnisse ebenso wie die mediale Rezeption der Zeugnisse durch die Kategorie Geschlecht geprägt? Lassen sich geschlechtsdifferente Narrative der Überlebenden herausarbeiten?
- Wie lässt sich die Kategorie Geschlecht in der Vermittlungsarbeit nutzbar machen?
- Wie kann im Sinne eines geschlechterbewussten Geschichtsunterrichts mit historischen Geschlechteridentitäten der Überlebenden der Shoah umgegangen werden?
- Wie können konkrete Konzepte eines geschlechterbewussten Geschichtsunterrichts im Umgang mit digitalisierten Überlebendenzeugnissen ausgestaltet sein?
- Wie de- und rekonstruieren Lehrkräfte gemeinsam mit heutigen SchülerInnen gesellschaftlich und kulturell gebundene Rollenzuweisungen, sodass der Konstruktcharakter von Männlichkeit und Weiblichkeit sowie seine Wandelbarkeit und Kontinuität vermittelbar werden?
ORGANISATORISCHES
Beitragsvorschläge von maximal 1 Seite für einen 20-minütigen Vortrag werden mit einem kurzen CV bis zum 15.10.2012 erbeten an: Alina Bothe (alina.bothe@fu-berlin.de) und Christina Brüning (c.brüning@fu-berlin.de)
Reise- und Übernachtungskosten können in Höhe von max. 150 Euro übernommen werden.
Es wird angestrebt, die Beiträge des Symposiums in einem Sammelband zu veröffentlichen.