"Gemeinsinn", Themenheft der Zeitschrift für Kulturwissenschaften

"Gemeinsinn", Themenheft der Zeitschrift für Kulturwissenschaften

Veranstalter
Dr. Kathrin Audehm / Dr. Iris Clemens, Redaktion Berlin der Zeitschrift für Kulturwissenschaften
Veranstaltungsort
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
01.09.2012 - 30.11.2012
Deadline
30.11.2012
Von
Gießmann, Sebastian

Kann es aktuell angesichts von immer neuen globalen ökonomischen wie ökologischen Krisen noch etwas wie Gemeinsinn geben? Auf welches geographisches und kognitives Territorium könnte er sich beziehen? Wie könnte er verfasst sein? Oder genügt nicht vielleicht ein pragmatisches Miteinander, wie es der Philosoph Kwame Anthony Appiah in seinen Überlegungen zum Kosmopoliten proklamiert? Denn wir können durchaus einer Meinung darüber sein, was zu tun ist, ohne über die Gründe des Warums übereinstimmen zu müssen...

Ein möglicher Ausgangspunkt zur Frage nach der Bedeutung und Funktion von Gemeinsinn ist der historische, westliche Zusammenhang von Bürgersinn und sozialem, politischem oder kulturellem Engagement. Aus bürgerschaftlichem Engagement sind Organisations- und Kulturformen hervorgegangen, mit denen sowohl ein kulturelles Erbe als auch ein interkultureller Austausch gepflegt werden können – wie öffentliche Bibliotheken, Vereine, NGOs, ökologische Bewegungen, Stadtteil- oder Kinderläden, um nur diese zu nennen. Hier wäre es beispielsweise interessant zu untersuchen, wie die dabei entstandenen Gemeingüter historisch und aktuell auf Formen von Gemeinsinn bezogen sind. Welche Paradigmen halten hier Einzug und wirken auf die Formierung von Gemeinsinn zurück, wie etwa das Leistungs- und Sicherheitsparadigma oder die Marktgängigkeit?

Die etablierten Formen des Gemeinsinns waren jedoch bislang lokal verankert und regional wirksam. Einen weiteren Ausgangspunkt zur Frage nach der Aktualität des Gemeinsinns bilden deshalb Überlegungen zur Wirksamkeit der Neuen Medien und allgemein die Entwicklungen hin zu einer Weltgesellschaft bzw. komplexen Relationen zwischen Lokalem, Glokalem und Globalem, die den Nationalstaat als Bezugsrahmen suspendieren – inklusive neuer Oppositions- und Bewegungsformen, wie sie derzeit beobachtbar sind. Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie Migrations- und Flüchtlingsbewegungen bzw. kulturelle Diaspora auf Gemeinsinn rekurrieren. Geht Humanität wirklich vor Nationalität, wie der Gustav Stresemann zugerechnete Ausspruch meint? Und hat die Geschichte das Gegenteil nicht bewiesen? Wie aber kann sich Gemeinsinn konkret unter globalisierten Verhältnissen entwickeln und etablieren – als ethischer Horizont, normative Haltung, demokratisches Prinzip und/oder Gemeinwohlpraxis, oder doch eher als pragmatischer Vollzug? Wie stellt sich dabei das Recht der „Anderen“ dar, und wer ist eigentlich noch der Eigene und der Andere? Welche Rolle spielt dabei die wiederkehrende Konjunktur einer Philosophie und Ästhetik der Gemeinschaft?

Dabei wird deutlich, dass „Gemeinsinn“ ein ganzes Spektrum von unterschiedlichen Begriffen widerspiegelt. Gemeinsinn kann sich u. a. geistig auf den „gesunden Menschenverstand“, den common sense und Alltagsverstand, auf theoretische wie praktische Vernunft beziehen. Politisch kann ein am Gemeinwohl orientiertes Engagement verschiedene Formen annehmen: spontane oder ritualisierte Zivilcourage, Gemeindearbeit bzw. langfristiges, zivilgesellschaftliches Engagement und so fort. Immer scheint dabei Allgemeinheit im Spiel zu sein: allgemein Gültiges, Verbindliches, Verpflichtendes, Anerkanntes – aber auch allgemein Abgelehntes, Ausgeschlossenes oder Auszuschließendes. Im Gemeinsinn steckt Gemeines, aber auch unser Verhältnis zu dem, was Gemeingüter sind und seien sollen.

Schließlich kann Gemeinsinn sich auf eine als eigene wahrgenommene Gruppe beziehen und beispielsweise in prekären Verhältnissen von Migration oder Illegalität zu Solidarität bzw. Unterstützungshandlungen führen und damit gleichzeitig u. U. den Gemeinsinn der Mehrheitsgesellschaft herausfordern. Gemeinsinn hat dann paradoxerweise sowohl Inklusion als auch Exklusion zur Folge.

Weiterführende Fragen für mögliche Beiträge könnten sein: Welche interkulturellen Differenzen gibt es in der Formierung von Gemeinsinn? Wie viel Gemeinschaft verträgt Gemeinsinn? Wie lässt sich das Verhältnis von Gemeinsinn und Egoismus beschreiben? Und wie verhält sich Gemeinsinn zu Identität? Wer sind die Akteure des Gemeinsinns? Greifen hier noch Bezeichnungen wie „Avantgarden“ oder „Eliten“ und Intellektuelle versus „Massen“? Und wer bzw. welches Geschlecht bewältigt die alltägliche Arbeit am Gemeinsinn? Wie verhält sich Gemeinsinn zu dominanten ökonomischen Formen?

Die Berliner Redaktion freut sich auf Abstracts im Umfang von 250 Wörtern. Insbesondere Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler sind herzlich zur Beteiligung eingeladen.

Abstracts bitte zugleich per E-Mail an kathrin_audehm@web.de und iris_clemens@web.de.

Programm

Kontakt

Dr. Iris Clemens: iris_clemens@web.de

Dr. Kathrin Audehm: kathrin_audehm@web.de

http://www.zfkw.net